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Teuer = Wertlos?

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Ich habe schon darauf gewartet, dass jemand fragt, wie viel meine neue Laptop-Tasche gekostet hat. Also war ich vorbereitet. Nicht, weil ich mich freue, wenn jemand nach dem Preis fragt, oder ich auf Komplimente aus bin. Sondern weil ich mir vorher genau überlegt habe, was ich antworten werde: „So 50 oder 60 Euro oder so.“ In Wahrheit hat sie doppelt so viel gekostet. Und ganz ehrlich noch ein bisschen mehr.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Bei mir hat sich das zu einer fixen Regel entwickelt: Wenn ich, was nicht besonders oft vorkommt, viel Geld für etwas ausgebe, und mich jemand nach dem Preis fragt, sage ich immer „Och, nicht so teuer“ oder ergänze manchmal: „War schon im Sale“. Wenn mein Gegenüber nicht aufhört, genauer nachzufragen, nenne ich ungefähr die Hälfte des echten Preises. Auf diese Regel bin ich ein bisschen stolz. So kann ich mir meine ausgedachten Preise nämlich merken. 

Eigentlich habe ich keinen Grund zu lügen, außer der Tatsache, dass ich nur wenig so sehr verabscheue wie Angeben. Ich finde es nachhaltiger und ökonomischer, mehr Geld in Qualität zu investieren statt in Günstiges, das man bald ersetzen muss. Trotzdem behalte ich es lieber für mich – aus Angst vor den Reaktionen.

Viel Geld für etwas auszugeben ist das Gegenteil von mühelos und unangestrengt und damit das Gegenteil von cool.

Denn wenn ich erzähle, dass meine Laptop-Tasche ein Zehntel von dem gekostet hat, was der Computer wert ist, könnte ja jemand sagen: „Du musst aber gut verdienen, dass du dir das leisten kannst!“ Ich müsste dann darüber nachdenken, ob ich mir das wirklich leisten kann, und am Ende könnte ich mich gar nicht mehr über das schöne Stück freuen. Oder es könnte jemand sagen, dass mein teuer erstandenes Stück gar nicht aussieht, als hätte es viel Geld gekostet, sondern eher nach Discounter. Dann würde ich meinen Kauf erst recht bereuen.

Hinter meinen blödsinnigen Lügen steckt aber noch etwas anderes: Viel Geld für etwas auszugeben ist das Gegenteil von mühelos und unangestrengt und damit das Gegenteil von cool. So ist es in der Liga Designertasche und Cabrio und so war das schon in der Schule. Gute Noten waren nur cool, wenn man nicht besonders viel dafür tun musste – oder wenigstens allen Klassenkameraden erzählt hat, dass man eigentlich ja überhaupt nicht dafür gelernt hat.

Zunächst klingt es wie ein Paradoxon, dass Dinge in der Wahrnehmung anderer automatisch weniger wert sind, wenn man viel Geld dafür ausgegeben hat. Wenn man sich eine Welt vorstellt, in der das Gegenteil der Fall ist, wird es allerdings schon weniger absurd: Dann würde jemand, der für seine neue Jacke oder Halskette gelobt wird, nämlich sagen: „Hat ja auch ne Stange Geld gekostet, höhö!“ Das ist nicht nur angeberisch, sondern bedeutet auch, dass Stil automatisch teuer und für jeden erhältlich ist. Dabei wollen wir doch vor allem individuell sein und dabei auch noch bescheiden. Erst ein Stück, das man auf dem Flohmarkt gefunden, vererbt bekommen oder nur im Sale als glückliches Schnäppchen gemacht hat, ist etwas Besonderes. Alles andere ist nur Kapitalismus.

Text: kathrin-hollmer - Foto: FemmeCurieuse / photocase.de

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