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Telefonterror

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Wenn mein Telefon klingelt, ist das für mich immer, wie wenn jemand ohne anzuklopfen in mein Zimmer läuft. Vielleicht sogar in mein Badezimmer. In der Arbeit zu telefonieren, ist dagegen irgendwie okay. Ich habe ja mit einem Vertrag eingewilligt, dass ich an einem bestimmten Ort und unter einer bestimmten Nummer erreichbar bin. Alle anderen Anrufe sind mir bis auf seltene Ausnahmen zuwider. Und mir ist es völlig egal, dass ein klassischer Anruf einfacher ist und unmissverständlicher und schneller und bla. Ich hasse Telefonieren einfach.

Das ist sicher seltsam, aber wenigstens bin ich nicht alleine seltsam. Dank SMS, diversen Messengern, Skype und Emails sank in den vergangenen Jahren die durchschnittliche Zeit, die wir telefonierend am Telefon verbrachten, immer mehr. Damit könnte bald Schluss sein. „Wir werden unser Telefon ... zum Sprechen benutzen“, schrieb das Online-Magazin Matter eben in seiner optimistischen Jahresvorschau „Why 2015 won’t suck“. Wir sprechen bald also wieder in unsere Telefone, wenn auch anders, nicht zum Telefonieren im klassischen Sinn. Ich atmete kurz auf nach dieser Zusatzinformation. Doch es wird viel schlimmer!

Derzeit erscheinen immer mehr Apps, mit denen man sich gegenseitig Audioaufnahmen schicken kann. Mit denen man nicht mehr schlampig weil eilig „Komme 10 minzuten später“ ins Handy tippen muss, während man zur U-Bahn läuft und versucht, nicht auf der Treppe zu stolpern. Sondern einfach ins Smartphone spricht: „Hey, sorry, der Bus kam nicht, jetzt muss ich die U-Bahn nehmen und komme zehn Minuten zu spät. Wir sehen uns gleich!“ Apps, mit denen man ein Lied singen und es aufnehmen und verschicken kann. Oder eine ironische Bemerkung, die als Text haufenweise Smileys oder Emojis bräuchte, um am Ende auch wirklich richtig verstanden zu werden.

„Die nächste Welle digitaler Kommunikation“

Apps wie Zello, Chitchat , Cord und Voxer sollen unser Kommunikationsverhalten revolutionieren. Dem Technikportal The Verge zufolge sind Audio-Nachrichten „die nächste Welle digitaler Kommunikation“. Thomas Gayno and Jeff Baxter, die Gründer von Cord, sind zwei ehemalige Google-Mitarbeiter, was in der Szene so viel heißt wie: Das wird was.

Mit den Apps kann man mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand, begrenzt oder unbegrenzt lange Audio-Botschaften versenden. Zum Teil werden die Nachrichten abgespielt, ohne dass man auf „Play“ drückt. Manche Apps löschen die Nachrichten nach dem Anhören oder nach einer bestimmten Zeit. Auch Apple hat im neuen iPhone-Betriebssystem eine solche Funktion, genau wie der Facebook-Messenger, Whatsapp, Skype und SIMSme, der Messenger der Deutschen Post.

Nun hat das gesprochene Wort schon Vorteile. Lange Nachrichten zu tippen, so groß die Smartphone-Displays auch sind, macht keinen Spaß. Gesprochen kann man alles viel schneller mitteilen. Ausführlicher auch, weil das Tippen ja nicht so nervt. Wenn man Auto fährt und nicht tippen darf und vor allem nicht wirklich tippen kann, könnte man die Einkaufsliste einfach einsprechen und verschicken. Oder wenn es um Ironie geht, um das, was viele zwischen den Zeilen halt doch nicht herauslesen. Alle wären netter, weil man sich halt doch mehr schreiben als sagen traut. Dialekt müsste man nicht umständlich auszuschreiben versuchen. Und wir haben eh schon genug Text im Leben und sind so technik-übersättigt, dass uns ein bisschen menschliche Nähe, wenn auch nur transportiert über eine Stimme, gut tut. „Stimme ist ein Weg der Kommunikation, der authentisch menschlich ist“, sagte der Zello-Mitgründer Bill Moore. „So viele Menschen sind heute isoliert, weil sie so viel Zeit im Internet verbringen.“

In bestimmten Situationen kann es sicherer sein, Informationen nicht auszuschreiben, weil sie in gesprochener Form zumindest schwieriger sortier- und zurückverfolgbar sind. Zello zum Beispiel wurde im Krieg in der Ukraine viel benutzt: Mit der App hätten die Menschen einander vor Luftangriffen gewarnt, sagte der Mitgründer Alexey Gavrilov, die Push-to-Talk-Funktion macht ein Smartphone quasi zu einem Walkie Talkie. Außerdem werden damit Proteste organisiert, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Venezuela, Thailand und in der Türkei, weil gesprochene Informationen nicht so leicht gefunden werden wie ein Austausch auf Twitter oder andere Plattformen. Manchmal mögen die Audio-Messages unsere Kommunikation ergänzen. Am Ende sind sie aber doch nichts anderes als Anrufbeantworternachrichten, nur dass einen das Gesagte nicht ganz so überrascht, weil man vorher weiß, wer die Botschaft eingesprochen hat, und entscheiden kann, ob man sie hören möchte oder nicht. Und ohne 30 Sekunden Mailbox-Standardtext, den man vor der eigentlichen Nachricht anhören muss.

An der unangenehmen Eigenart der Anrufbeantworterbesprechens, dass man eine Art Selbstgespräch ohne Feedback führt, ändert sich nichts. Darum dürften die Audio-Files hoffentlich am Ende ähnlich unbeliebt sein wie Mailbox-Nachrichten, die jetzt schon fast nur noch unsere Eltern hinterlassen. Oder unbeliebter. Bei vielen Apps werden die Audio-Dateien nämlich im Nachrichtenverlauf gespeichert und das Gestammel zwischen Haustür und U-Bahn auf ewig konserviert. Dann telefoniere ich doch lieber. 

Text: kathrin-hollmer - Illustration: Daniela Rudolf

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