Pit Lederle und Ralph Kenke
Man blättert durch ein fremdes Fotoalbum, da sind unbekannte Menschen, die lachen, sich umarmen, Skateboard fahren, sie blicken vertrauensvoll in Kamera und Betrachter-Gesicht, weil sie hinter dem Auslöser den Kumpel sehen; man selbst ist nicht gemeint, und deshalb peinlich berührt. "Rollen", heißt das fremde Fotoalbum, ein Skateboard-Band, in
dem die Autoren Pit Lederle und Ralph Kenke so unterschiedliche Dinge wie Fotos, Brett-Designs und Erzählungen gepackt haben. "Rollen" ist eine wilde Collage aus Skater-Prosa, eingeklebten Bus-Tickets und Kritzeleien im Hausaufgabenheft.
"Rollen" sieht aus wie ein Abschieds-Album, das man einem Freund am letzten Abend schenkt, weil der nun weg zieht, zum Studieren in eine ferne Stadt. Das Buch ist offensichtlich ein Produkt der Stuttgarter Skaterszene, ein paar Leute, die sich vor langer Zeit auf dem Brett kennen gelernt haben, heute als Fotograf oder Grafiker arbeiten und nun Erlebnisse und Ergebnisse ihrer Skate-Zeit in einem Buch versammeln. Man muss nicht mit den Autoren befreundet sein, um das Buch zu verstehen, muss nicht die Bäckerei Schmälzle kennen und den leuchtenden Mercedes-Stern in der Nacht. "Rollen" ist ein Buch für alle Leute, die es kennen, das Leben auf Rädern, nein, auf Rollen, on the road und
überall.
"Wir versuchen ernsthaft anders zu sein", heißt es einmal, "und dem
Wahnsinn keine neue Chance zu geben, die Liebe aufrecht und die Scheiße im Rahmen zu halten und stecken doch schon mittendrin." Skateboard gefahren wird nicht nur im schwäbischen Talkessel, sondern auf der ganzen Welt. Die Geschichten sind gleich, und die Bilder gleichen sich.
Es sind Fotos von jungen Menschen die sehr ernst oder sehr betrunken in die Kamera blicken. Rollende Bretter, Überbelichtungen, Stadtteilschnipsel, Mädchenschultern, Diskokugeln im Wald und ein Hochhaus in der Nacht. Auch ein Röntgenbild sieht man, und den kleinen Riss oben links. Bildunterschriften gibt es keine, nur manchmal ein
Gedicht, wie das von Johannes Frinke, "SM Skate": "Mein Board und ich hatten Sex", steht dann da neben einem Foto von einem zerschundenen Mädchengesicht, Ergebnis eines langen Nachmittags. "Der Schmerz ist
schön. Surfpunksex und Lifestyle-Liebe. Ich schließe die Augen und
ersehne den nächsten Schlag."
"Be careful! What you see is not what you get", steht auf der ersten
Seite des Buchs. Der erste Blick: Fotos, Sticker, Souvenirs. Ein fremdes Fotoalbum, und doch erkennt man den Gelbstich auf den Fotos und ein paar Motive. Aus Sätzen, Bildern, Strichen beginnt sich ein Netz zu spinnen, für manche wird daraus eine Hängematte; man legt sich hinein, betrachtet die Fotos und sieht fremde Menschen vertraute Sachen tun. Und sieht sich ein bisschen selbst.
Das Buch "Rollen" ist im Hannibal Verlag erschienen und
kostet 24,90 Euro. Wir verlosen es ab heute im Bilderrätsel.