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Straight outta Hollywood

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Ein wenig skurril mutet es schon an, als Rapper Ice Cube den zum Interview hergerichteten Raum im Berliner Ritz Carlton betritt. Klar, mittlerweile ist Ice Cube nicht mehr nur Rapper, sondern auch ein erfolgreicher Hollywood-Schauspieler, Entertainer und Geschäftsmann. So gesehen passt er da schon hin. Doch er ist eben auch der Typ, der Mitte der Achtzigerjahre so wütend, ehrlich und greifbar vom Leben auf den Straßen von Compton erzählt hat, dass man sich fast selbst auf dem aufgeheizten Asphalt stehen sah; jene Straßen von Compton, in denen man ein Hotel wie das Ritz Carlton bis heute vergeblich sucht. 

Doch Ice Cube ist da. Schwarzes Dodgers-Cap, schwarzes N.W.A-Shirt, schwarze Sneaker. Er wirkt klein; kleiner zumindest als in seinen Filmen oder Musikvideos. Aber vielleicht liegt das auch bloß an seiner weiten Garderobe. HipHop to the fullest. In der Hand hält er einen Pappbecher von Starbucks, auf dem ein anderer Name steht als Ice Cube oder O’Shea, wie er mit bürgerlichem Namen heißt. Selbst geholt hat er sich den Kaffee offenbar nicht. Am Vortag war die Europa-Premiere des Films „Straight Outta Compton“ über seine damalige Rap-Crew N.W.A, der noch Dr. Dre und Eazy-E angehörten. Eazy-E ist mittlerweile tot, die anderen beiden Crew-Mitglieder werden als Väter des Gangstarap gefeiert. Im Anschluss an die Vorführung stand die obligatorische Premieren-Party an. Cube wirkt müde, seine Sonnenbrille möchte er nicht abnehmen. „Glaub mir: Diese Augen willst du nicht sehen!“

Mit der Musik böse Mächte bekämpfen

Ice Cube gilt als einer der versiertesten Lyricists und Geschichtenerzähler der gesamten HipHop-Historie, auf dessen Konto nicht nur Songs wie die zeitlose Anti-Polizei-Hymne „Fuck Da Police“ oder das Meinungsfreiheit propagierende „Express Yourself“ gehen, sondern auch die meisten anderen N.W.A- und Eazy-E-Tracks sowie neun eigene Soloalben. Viele seiner Songs sind mittlerweile Rap-Klassiker. Ihre großen Zeiten hatten N.W.A. allerdings Ende der Achtzigerjahre, Ice Cube ist heute 46 Jahre alt. Kann so einer noch junge Menschen erreichen? Versteht er überhaupt noch etwas von den Themen, die für die Jugend aktuell sind?
Ice Cube ist ein angenehmer Gesprächspartner, der aufmerksam zuhört, wenn man ihm eine Frage stellt. Einer, der erst nachdenkt, bevor er den Mund aufmacht. „Mir geht es mit meiner Musik auch heute noch darum, die bösen Mächte zu bekämpfen, die dafür sorgen, dass Menschen sich gegenseitig umbringen – daran hat sich seit N.W.A nichts geändert“, erklärt Cube. „Aber heute benutze ich dafür nicht mehr nur Rapmusik. Ich mache auch Filme, Serien und setze mich in TV-Shows. Selbst ich als Person inspiriere Leute, indem ich tue, was ich tue – indem ich einfach ich selbst bin und keine Angst davor habe, zu neuen Ufern aufzubrechen. Das macht den Leuten Mut, ihr eigenes Ding durchzuziehen und besser in dem zu werden, was sie tun. Ich zeige den Leuten: Lasst euch nicht aufhalten!“

Das war schon Ende der Achtziger so, als Ice Cube und N.W.A im bereits erwähnten Track „Fuck Da Police“ die skrupellose und unwillkürliche Polizeigewalt gegen Schwarze zu einer musikalischen Steinschleuder machten, mit der sie fortan auf Goliath schossen – auf das LAPD und den gesamten amerikanischen Polizeiapparat. „Wir waren damals die ersten, die das Werken und Wirken der Polizei öffentlich in Frage gestellt haben“, sagt Cube. Doch wenn man sich die jüngsten Vorkommnisse von Polizeigewalt in amerikanischen Städten wie Ferguson, Baltimore und Charleston ansieht, scheint sich in den letzten dreißig Jahren nichts verändert zu haben. „Das ist eine Schande, ohne Frage“, findet Cube. „Aber ein bisschen was tut sich schon. Immerhin wird darüber gesprochen. Ein kollektives Schamgefühl macht sich breit. Und einige Polizisten wurden bereits angeklagt. Hoffen wir also, dass sie ihre gerechte Strafe erhalten.“

<<< Einmal Gangsta, immer Gangsta.



Angefangen hat alles mit der Musik. „Mir ging es nie darum, reich oder berühmt zu werden“, sagt Cube. „Ich wollte im Radio gespielt werden. Und ich wollte von den MCs respektiert werden, zu denen ich damals aufgesehen habe. Beides habe ich erreicht.“ Als er das sagt, lehnt er sich zufrieden auf seinem Ritz-Carlton-Stuhl zurück. So wirkt ein Mann, der mit sich und dem bisherigen Verlauf seines Lebens im Reinen ist.

Aber warum sollte er das auch nicht sein? Immerhin hat er es aus Compton – nach wie vor einer der gefährlichsten Orte der USA – bis nach Hollywood geschafft; neben der Musik hat Ice Cube auch eine ansehnliche Schauspielkarriere hingelegt. Er hat mit seinen Songs nicht nur seiner Stadt, sondern einer ganzen Bevölkerungsschicht ein neues Selbstbewusstsein verpasst. Er hat Dinge verändert und dafür eine Waffe benutzt, deren immense Kraft seinen „Boyz N The Hood“ vorher nicht so bewusst war: das gesprochene Wort.

Trotzdem kann er von dem Leben auf der Straße nur noch aus verblassten Erinnerungen berichten. Unglaubwürdig findet er sich deshalb nicht: „Mir ging es nie darum, Gangstergeschichten nur um der Gangstergeschichten Willen zu erzählen, sondern aus meiner Perspektive über die Umstände auf der Straße zu berichten und meinem Publikum dadurch einen neuen Blick auf die Dinge zu ermöglichen“, sagt Cube. „Das hat mir ermöglicht, Geld damit zu verdienen, ohne mich deshalb verstellen zu müssen. Und an diesem Erfolgsrezept halte ich seit meinen Anfängen fest.“ Sieht er sich denn selbst noch als Gangster, als der er nach wie vor häufig bezeichnet wird? „’Keepin’ it gangsta’ bedeutet nicht nur, kriminell zu sein oder Geschichten davon zu erzählen, sondern auch, den richtigen Business-Deal anzunehmen, sich um seine Familie zu kümmern und seine Kinder großzuziehen. Und wenn man sich meine Musik richtig anhört, wird man feststellen, dass es darin immer schon um sämtliche Aspekte des Lebens ging: auf der Straße, in der Politik, in der Wirtschaft und in Bezug auf ethnische Probleme jeglicher Art. Um alles eben, was das Leben zu bieten hat – wenn auch immer aus meiner Perspektive.“

Old man telling a story?

Ice Cube hat sich nach eigener Aussage bewusst dafür entschieden, keinen Trends mehr hinterherzulaufen. „Mit der Folge, dass ich heute nicht mehr oft im Radio gespielt werde. Aber das ist okay, ich habe einen anderen musikalischen Weg eingeschlagen. Und ich freue mich über jeden, der mich begleitet.“

Vergleichbare Sätze fallen häufig, wenn man auf Künstler trifft, deren größte Zeit vorbei ist. In der Regel schwingt dann ein bisschen Verbitterung darüber mit, dass sich an die alten Triumphe kaum noch Leute erinnern und sich neue Erfolge nicht einstellen wollen. Doch Ice Cube ist eine solche Verbitterung nicht anzumerken. Er hat viel zu erzählen, doch wenig Zeit. Weitere Interviews stehen an, bevor er später nach London aufbrechen muss. So ist er eben, der alltägliche Husstle im Showbiz. Bei der Verabschiedung bedankt sich Cube für das Interesse und das Gespräch, bevor er schlurfend Richtung Foyer verschwindet. Und nach wie vor wirkt er im Ritz Carlton so deplatziert wie ein vor Schimpfworten nur so strotzender Gangstarap-Track im Formatradio. Hollywood hin oder her.


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