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Stehen wir am Beginn einer neuen Umweltbewegung? Erste Anhaltspunkte
Wenn man von einer neuen Bewegung spricht, einer neuen gesellschaftlichen Strömung, dann ist das Gerede darüber mit Vorsicht zu genießen. Immer am Anfang einer Bewegung kann man nur Splitter und Anzeichen zusammensuchen. Man kramt aus allen Ecken der Welt Anhaltspunkte (APs), die das Gefühl untermauern: Hier passiert doch gerade etwas! Es ist, als setze man ein Puzzle zu einem Bild zusammen, das nach Gesprächen, nach dem Lesen diverser Zeitungen und Magazine diffus im Kopf steht. Die Gewichtung der einzelnen Bestandteile bleibt jedem selbst überlassen. Wir wollen es versuchen: Wie groß ist die Welle, auf deren Scheitel Al Gore gerade zu surfen scheint?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Houston, USA, im vergangenen August. Zu sehen sind die Überschwemmungen, die der Hurrikan Katrina auslöste. (Foto: dpa) AP 1: Das Zeitalter der grünen Technologie ist da Das US-Magazin Wired hievt in der Mai-Ausgabe Al Gore auf den Titel und proklamiert den "Pro-Tech Fight" gegen die globale Erwärmung. Darum geht es Gore: technische Lösungen finden, mit denen der globalen Erwärmung Einhalt geboten werden kann. Energie ist teuer, das Öl endlich, viele Menschen sagen: Wir brauchen neue Energie, sonst nehmen Heimsuchungen wie der Hurrikan Katrina zu. "Greentech" könnte der Industriezweig unseres Jahrhunderts werden, es könnte nun ein echter Markt für Umweltenergien und Umweltprodukte entstehen. Wired weiter: Die Tage der Ökologie-Bewegung seien gezählt, es geht nicht mehr um Ideologie sondern um Kosten und Nutzen. Umweltschutz bedeutet demnach nicht mehr, sich beim täglichen Konsum zurückzuhalten und ein weniger anspruchsvolles Leben zwischen Jutetaschen und Kerzenlicht zu verbringen oder die Bären in Alaska zu schützen. Er bedeutet vielmehr, neue Technologien zur Energienutzung zu entwickeln, die den CO2-Ausstoß und damit die Klimaerwärmung mindern. Sonst werden die Bären im geschmolzenen Gletscherwasser ertrinken, ehe sie aussterben können. AP 2: Das Upgrade der Zivilisation Alex Nikolai Steffen betreibt die Internetseite worldchanging.com und gab das Buch "A User´s Guide for the 21st Century" heraus. Er spricht davon, dass es einen "Upgrade" unserer Zivilsation brauche. Er sagt, wir müssen schnell erneuerbare Energien nutzen, wir müssen Energie sparen und vor allem einen qualitativ besseren Lebensstil pflegen. Steffen sagt, nur wenn wir nach "immer besser" streben und nicht nach "immer mehr", werden wir auch länger leben. AP 3: Kleine Schritte sind in Mode Die Entwicklung von Technologien kann unserer Erde helfen, genauso aber können wir in kleinen Schritten in unserem eigenen Leben ein Umdenken einleiten. Von Gores Homepage climatecrisis.net kann man sich zehn einfache Tipps runterladen, mit denen man der Umwelt Gutes tut. Darunter: Einen Baum pflanzen - der verbraucht CO2. Oder: Weniger Autofahren, weniger heißes Wasser verbrauchen. Simple Tipps, wie bei der Initiative We are what we do. In einem kleinen Büchlein stehen 50 Vorschläge, die Welt ein Stück besser zu machen. In den ersten zwei Monaten nach Erscheinen wurden von dem Buch allein in Deutschland 60.000 Exemplare verkauft. Einer der Tipps: Kauf da ein, wo du wohnst. AP 4: Hollywood pusht "grün" In Hollywood ist Öko-Engagement en Vogue. Die Zeitschriften Vanity Fair und Elle liegen mit ihren Mai-Ausgaben in den USA im "grünen Kleid" am Kiosk. Die Fotografin Annie Leibovitz hat für das Vanity FairCover die Umweltschützer George Clooney, Julia Roberts, Al Gore und Robert F. Kennedy jr. geknipst. AP 5: Der Egoist kauft grün - und rettet sich Der deutsche Trendforscher Peter Wippermann sagte der Tageszeitung taz: "Die Umweltbewegung hat sich stark verändert. Früher solidarisierte man sich und versuchte gemeinsam etwas zu verändern. Heute kauft man stattdessen ein T-Shirt der Marke American Apparel." Die Firma hat weltweit Erfolg, baut die Ökolinie aus und zahlt faire Löhne. Umweltengagement fußt also nicht mehr auf einer ideologischen Anschauung sondern hat mit dem eigenen Nutzen zu tun. Das ist im Kern das marktwirtschaftliche Denken, von dem Al Gore spricht: Umweltschutz muss sich rechnen und wird sich rechnen. Wippermann: "Man ist nicht mehr so altruistisch wie früher, wo man der Meinung war, man müsse die Erde in gutem Zustand an die nächste Generation übergeben."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Al Gore auf dem Filmfest in Cannes. Dort stellte er seinen Film "An Inconvenient Truth" vor. (Foto: rtr) AP 6: Boom im Bio-Markt Der Markt für Bio-Lebensmittel wächst wie kein anderes Segment in der Lebensmittelbranche. Die Zuwachsraten betragen seit 2003 jedes Jahr zwischen 10 und 15 Prozent. Im vergangenen Jahr kam es bei Bio-Milch oder Bio-Kartoffeln zu Lieferengpässen. Immer mehr Menschen wollen bei der Ernährung weniger belastende Stoffe zu sich nehmen. Der Nebeneffekt: Sie schonen mit ihrem Verhalten die Umwelt. US-Marktforscher sprechen bei diesen Verbrauchern von Menschen mit "Lifestyles of Health and Sustainability". AP 7: Die Wirtschaftspartei wird grün Die FDP ist eigentlich die Wirtschaftspartei schlechthin - zum Parteitag Anfang Mai in Rostock hat sie sich einen kräftigen grünen Anstrich verpasst. "Umweltpolitik kann man intelligenter und effizienter machen", sagt Parteichef Guido Westerwelle und verpasst damit den Grünen einen Seitenhieb. Es gehe darum, eine "liberale Umweltpolitik" zu machen oder "marktwirtschaftlichen Umweltschutz". Das heißt zwar vorerst: die Atomkraftwerke sollen weiter laufen. Die Technik wird aber von der FDP schon als "Übergangstechnologie" bezeichnet. Und das ist bemerkenswert. Zudem sollen Fluggesellschaften in den Emissionshandel einbezogen werden, damit sie weniger Treibhausgase in die Luft blasen oder Gebäude sollen so saniert werden, dass weniger Energie zum Fenster rausgeht. Selbst der Umweltverband BUND weiß diesen Schwenk zu schätzen: "Der Umweltschutz ist wieder im bürgerlichen Lager angekommen", sagt BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm. AP 8: Die Automobilkonzerne forschen intensiv wie nie "Cleantech" gehört die Zukunft, Experten sprechen von der grünen Epoche, die uns bevorsteht: Nahezu alle großen Autokonzerne forschen an der Brennstoffzelle, in der Wasserstoff verbrannt wird. Neu ist: Sie tun das nicht mehr nur, um ihr ökologisches Gewissen zu befriedigen, nein, Ressourcensparen ist wegen der Energiepreise eine handfeste Notwendigkeit. Beispiele: - General Electrics ist das weltgrößte Industrieunternehmen und hat 2004 in Garching bei München ein Forschungszentrum eröffnet, in dem 100 Wissenschaftler die Technik für die Nutzung erneuerbarer Energien fortentwickeln. Der GE-Deutschland-Chef sagt: "Jahrzehnte waren grüne Technologien zwar gut für´s Image, aber strategisch eher nice to have. Heute sind sie in jeder Hinsicht ein must have." - Shell Industries investiert bis zu 400 Millionen Euro in eine Anlage im sächsischen Freiberg, in der aus Biomasse wie Holz künftig ein synthetischer Treibstoff gewonnen werden soll, wie er in dieser Qualität noch nie da war. - BP, British Petroleum, forscht ebenso wie Shell auf dem Gebiet der Treibstoffe aus Biomasse. Und zwar intensivst. Angeblich zählen Shell und BP schon zu den größten Waldbesitzern der Welt. Sie wollen sich den Rohstoff für den Treibstoff der Zukunft sichern. Pflanzen. BP deutet dafür schon mal vorsichtshalber den Firmennamen um und spricht in Werbespots von BP als dem Kürzel für "Beyond Petroleum". AP 9: Wie Deutschland der größte Solarzellenmarkt wurde Die deutsche Regierung hat 2004 das Erneuerbare Energien Gesetz neu aufgelegt. Damit werden die großen Energieversorger verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihres Stromes aus Alternativen Quellen in ihr Stromnetz zu speisen. Der Strom aus diesen Quellen ist ein bißchen teurer, den Mehrpreis tragen alle Stromverbraucher miteinander. Wegen dieses Gesetzes bommt zurzeit die Branche der Solarzellenhersteller in Deutschland. Ein deutscher Hersteller ist nun plötzlich der zweitgrößte Hersteller der Welt und Deutschland ist der größte Markt für solche Zellen. Weil plötzlich ein Markt da ist, haben die Unternehmen auch Lust, die Technik weiterzuentwickeln. Das ist Umweltschutz á la Gore: Staat und Wirtschaft arbeiten zusammen und entwickeln die Technik der Zukunft. AP 10: Kalifornien und Spanien tun es auch Staaten wie Spanien, Griechenland oder nun der US-Bundesstaat Kalifornien haben von Deutschland abgekupfert: Sie haben auch verordnet, dass Strom aus Alternativen Energien gefördert wird.