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Springsteen & Morrissey, die Bosse machen weiter. Was geht uns das an?

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Er habe, so ließ Stephen Patrick Morrissey unlängst verlautbaren, seinen Frieden mit der Welt geschlossen. Er habe beschlossen, Sachverhalte wie die Absenz jedweder Liebe in seinem Leben fortan zu akzeptieren. Eine angemessene Portion Demut, deren Einfluss auf die Musik des wohl bedeutendsten Solokünstlers Englands es abzuwarten gilt. Die wichtigere Nachricht ist, dass seine neue Platte, was ihre Entstehungszeit betrifft, noch dort angesiedelt ist, wo Morrissey herkommt. In der Verzweiflung, in einem Leben, in dem die Dinge nicht so funktionieren, wie sie sollen und wo man eben vor allem eines tut: lamentieren. Eine Kunst, die der ehemalige Vorsteher von The Smiths beherrscht wie kein Zweiter und die er auf bemerkenswerte Weise durch seine Lebensabschnitte transportierte. Der juvenile Charme, den Smiths-Songs wie "Heaven Knows I'm Miserable Now" transportierten, fand später seine Entsprechung in grummeliger Lethargie und verstörender Direktheit ("The More You Ignore Me The Closer I Get", 1994). Heaven Knows I'm Miserable Now:

In den vergangenen Jahren schließlich folgte die zweite Laufbahn als Erwachsener, als Lichtgestalt. Gleichzeitig gelang dem Briten die Neuerfindung und die Auslotung neuer Zielgruppen: Songs wie "First Of The Gang To Die" fanden nicht nur bei alten Smiths-Fans Gnade, sondern beschallten auch die Tanzflächen der Indiekids. Die werden bei Bruce Springsteen auch diesmal eher draußen bleiben. Zeitlebens war der Mann aus New Jersey, der heuer seinen 60. Geburtstag feiert, einer, der das Spiel mit der Verschlüsselung ablehnte und auch von Glamour nichts hielt. Stattdessen stand er für Authenzität und Sendungsbewusstsein, für hochgekrempelte Ärmel und kraftvolle Gitarrensoli. Er zeichnete den Alltag auf und gab Amerika Hymnen, auf die sich das ganze Land einigen konnte: "Born To Run", diese unfassbar kraftvolle Vision einer Kleinstadtflucht. Später das von den Konservativen so grässlich missverstandene "Born In The USA" oder das schwüle "I'm On Fire" oder den Titeltrack des Kinodramas "Streets Of Philadelphia". In den letzten Jahren entschleunigte er die Dinge und blickte in "Devils & Dust" zurück. Er nahm ein Album mit Coverversionen des amerikanischen Folksängers Pete Seeger auf. Erst "Magic", seine erste Platte seit über einem Jahrzehnt mit den alten Begleitern der E Street Band, zeigte ihn wieder als Rock-Traditionalisten.

Dass zwei der unbestritten wichtigsten Solokünstler überhaupt ihre Alben im Abstand weniger Wochen veröffentlichen, ist ein feiner Zufall. Beide tun etwas, was oft sträflich unterschätzt wird: Sie bleiben sich treu. Springsteen ändert im Vergleich zu "Magic" nur ein paar Stellschrauben, zitiert aber genüsslich sein eigenes Frühwerk. Ungeheuer gelassen bedient er sich etwa in "My Lucky Day" an genau jenen breit angelegten Melodiebögen, die "Born To Run" nicht nur zu einem grandiosen Song, sondern auch einem Schlüsselalbum machten. "Outlaw Pete" ist, sieht man von dem wirklich abscheulichen Kiss-Querverweis ab, eine ebenso feine wie kernige Ballade, während "Queen Of The Supermarket" fröhlich Richtung Kitsch neigt. Der Titelsong schließlich ist Springsteens vielleicht etwas zu plakativer Beitrag zur Obamanie. Seine Bedeutung für das Amerika der Jetztzeit lässt sich an einer anderen Sache aber fast noch besser festmachen: Vor einigen Tagen spielte er erstmals in der Halbzeitpause der Superbowl. Etwas, das er vorher stets ablehnte. Die Zeit, in der man sich zu seiner Springsteen-Leidenschaft lieber nicht bekennen sollte, scheint indes vorbei zu sein. Mit The Hold Steady und Gaslight Anthem beziehen sich gleich zwei Bands, die sich in vielen Bestenlisten des letzten Jahres fanden, auf den Boss. Springsteen-Show in der Superbowl-Halbzeit:

Morrissey arbeitet sich auf "Years Of Refusal" an seinen Kompetenzen auf eine Art und Weise ab, die etwas ratlos macht. Das Lächeln! Das Baby, das er da auf dem Cover hält, als ob's sein eigenes wäre! Aber dann eben diese Songtitel, die knietief durch die Verzweiflung waten. "There Is No Love In Modern Life" proklamiert er in "Something Is Squeezing My Skull", um anschließend über Diazepam, Temazepam, Lithium and HRT zu raisonieren. Der Kern von "Throwing My Arms Around Paris" ist ein ähnlicher: Auch hier ist das Menschliche etwas, das irgendwo und irgendwann verschütt gegangen ist. Wo andere einen Baum umarmen, wählt Morrissey die Stadt. Eisen und Stahl, das sind die Materialien, die seine Liebe ertragen können. All You Need Is Me:

Die Melodien für Millionen, die sein Comeback Anfang des Jahrtausends zu so einer Bombe machten, die finden sich eigentlich nur einmal: "It's Not Your Birthday Anymore" brilliert mit der großartigen Textzeile "Your heart has a heart of your own" und einer Botschaft, die brutaler nicht sein könnte. Sicher auch mit Lesley Gores 60er-Konsenshit "It's my Party" im Hinterkopf postuliert Morrissey hier zu üppigster Melodie eine gehörige Portion Verachtung. Zuneigung als Schauspiel mit begrenzter Halbwertszeit. "All of the gifts that they gave gave to you can't compare in any way to the love that i am now giving to you right here, right now on the floor", heißt's da. Frieden mit der Welt klingt irgendwie anders.

"Working On A Dream" von Bruce Springsteen ist bereits im Handel. "Years Of Refusal" von Morrissey erscheint am 13. Februar.

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