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Sorry, ich hab' einen Freund...

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Ich bin nicht gut im Anbaggern. Das ist nicht so schlimm, weil ich schon seit ziemlich genau sieben Jahren mit meinem Freund zusammen bin. Ich bin aber auch nicht gut im Angebaggertwerden. Jedes Mal bin ich völlig überrumpelt und nicht mehr fähig, die Botschaft „Vielen Dank für dein Interesse, aber ich bin schon vergeben“ rüberzubringen. Wie vergangene Woche in der Stadt: Ich gehe gerade zur U-Bahn, da bleibt vor der Rolltreppe ein Typ stehen. Er lächelt in meine Richtung. Nur leider nicht flüchtig unverbindlich, wie das freundliche Menschen im Vorbeigehen so machen. Nein, er meint mich.



Da ist er, der Moment, die erste Ausfahrt, wenn man so will. Ich könnte sie noch erwischen, nur ist mir das in dem Moment nicht bewusst, sondern immer erst hinterher. Die erste Ausfahrt, wenn man nicht angebaggert werden will, ist Ignorieren. Ich könnte wegsehen, über sein Lächeln hinweg unauffällig, aber bestimmt in die andere Richtung schauen. Und los: Ich fixiere die Plakate, die entlang der Rolltreppe kleben. Es klappt nicht. Weder das mit dem Unauffälligsein noch das mit dem Ignorieren. Es sieht eher so aus als würde ich mir den Hals verrenken. „Alles ok mit dir?“ fragt er, steigt die Stufen neben der Rolltreppe hinunter und bringt sich wieder in mein Blickfeld. Ich nicke – und sehe das erste Ausfahrtsschild an mir vorbeiziehen.  

„Ich bin Daniel“, sagt er. Normalerweise wollen immer alle wissen, wie man mit jemandem ins Gespräch kommt. Ich wüsste jetzt gern, wie man das vermeidet und warte auf die nächste Ausfahrt: Ich könnte einen Anruf vortäuschen oder einfach angestrengt auf mein Handy starren. Oder sagen, dass ich beschäftigt bin. Nur womit? Mit Rolltreppe fahren? Während ich noch überlege, fragt er, was ich in der Stadt mache. „Ich habe ein Geschenk gesucht“, sage ich ehrlich – und verkneife mir, „Und du?“ zu fragen. Das stört ihn aber nicht. Er erzählt mir trotzdem, dass er zwei T-Shirts gekauft hat und noch auf der Suche nach Schuhen ist. Auch die zweite Ausfahrt habe ich verpasst. Wir sind mitten im Gespräch und je länger ich dabei bleibe, umso schlechter wird mein Gewissen.

Jetzt sagt er auch noch: „Du bist echt süß.“ Wir stehen inzwischen am U-Bahn-Gleis. Hoffentlich hört uns keiner zu. Ich sehe mich um und lächle. Wie kommt man aus so einer Situation raus: Einen Termin vorgeben und abhauen? Wäre nicht richtig. Einfach sagen, dass man kein Interesse hat? Wäre doch ziemlich hart. „Wir könnten uns ja mal treffen oder so?“ legt er nach. Ich lächle wieder und weiß genau: Ich muss ihn irgendwie bremsen. Ich setze gerade mit der Erklärung an, dass ich einen Freund habe, als mir einfällt: Was ist, wenn er sagt, dass er nur Freunde in der Stadt finden will? Wieder eine Ausfahrt verpasst. Die nächste: Flucht.  

Die U-Bahn, die gerade einfährt, ist nicht von der richtigen Linie, aber ich steige trotzdem ein. Halbherzig murmele ich „Ciao“ und hoffe, dass er sich auch verabschiedet. Aber nein: „Ich fahre ein Stück mit“, sagt er. Eigentlich nett. Ich muss jetzt etwas tun, sonst verfolgt er mich bis nach Hause. Er muss doch merken, dass ich ganz abwesend bin, aber er startet noch einen Versuch: „Wenn du mir deine Handynummer gibst, können wir uns mal treffen.“ Schon hält er mir Zettel und Stift entgegen. Ich sehe das Ausfahrtsschild vor mir.

Was soll man da antworten? Eine falsche Handynummer erfinden, damit man schnell seine Ruhe hat? Mir fallen keine Zahlen mehr ein. Und es wäre auch ziemlich gemein. Man merkt ihm an, dass er wirklich bemüht ist. Das hat er nicht verdient. Ich muss in die Offensive gehen, es bleibt nur noch ein Ausweg: „Du... mh... lieber nicht. Tut mir leid“, sage ich. Ich bin noch ganz stolz, dass ich das überhaupt herausgebracht habe, da schlägt er vor: „Soll ich dir meine geben?“. Hartnäckig. Mir seine Nummer geben zu lassen, wäre weniger problematisch, aber wäre es fair? Bevor ich wieder ins Grübeln verfalle, schüttle ich meinen Kopf, halb zu mir selbst, halb zu ihm. Und endlich: Als wir in den nächsten U-Bahnhof einfahren, steht er auf und geht zur Tür. Er sieht auf den Boden und sagt gar nichts mehr.  

Jetzt fühlt es sich nicht so an, als hätte ich eine Ausfahrt genommen, sondern mehr, als hätte ich ihn von der Straße abgedrängt. Vielleicht täusche ich beim nächsten Mal einen Anruf vor. Das ist zwar nicht ehrlich, aber netter als die Wahrheit.

Text: kathrin-hollmer - Illustration: Katharina Bitzl

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