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Sophie, die Siegerin
"Es ist ein so großer Unterschied dazwischen, wie ich jetzt lebe und wie ich früher gelebt habe", sagt Sophie oft. Ein Satz, der von einer alten Dame stammen könnte. Sophie ist aber nicht alt, sondern 24. Und früher war nicht vor dreißig, sondern vor drei Jahren. Sophie ist damals 21 Jahre alt, studiert in ihrer Geburtsstadt Amsterdam Politik, geht mit Freunden aus, verreist und lebt einfach in den Tag hinein. Bis die Diagnose kommt. Im Dezember 2004 geht sie mit leichten Schmerzen unter den Rippen ahnungslos ins Krankenhaus. Auf die Untersuchungsodyssee folgen drei Worte: "Du hast Krebs." Später wird Sophie darüber schreiben, wie sie bei der Nachricht zusammenbricht, schluchzend unter den nächsten Schreibtisch kriecht. In diesem Moment ist überzeugt, sterben zu müssen. Ihr Leben, das Studium, die Reisepläne, alles ist unwichtig geworden. "Es fühlte sich an, als würde ein Tief kommen, und alle Träume, Wünsche und Liebe mitnehmen, irgendwohin weit weg." Knapp zwei Monate braucht sie, um den Schockzustand zu überwinden und um das zu wirken lassen, was sie die „Medizin der Zeit“ nennt und von der sie sagt, dass sie notwendig war. "Ich musste wohl diese Phase der Trostlosigkeit durchmachen, bevor ich sagen konnte: okay, das schaffe ich." Dann beginnt sie, die Krankheit als solche zu akzeptieren. „Wenn man jeden Morgen in einem Alptraum aufwacht, wird der Alptraum irgendwann Realität. Und in einer Realität, so schlimm sie auch ist, kann man einen neuen Boden finden, auf dem man steht.“ Sophie macht das Krankenhaus zu einem Teil ihres Lebens, scherzt mit den Schwestern, hat wilde Knutschfantasien mit ihrem Lieblingsdoktor. Zusammen mit ihrem „langen Freund“, dem Infusionssständer, besucht sie die Krankenhauskapelle und informiert sich in der Krankenhausbibliothek über ihre Krebsart: Rhabdomyosarcoma heißt die, ist sehr selten und löst aggressive Sarkome in der Muskulatur aus. Und sie liest das Buch von Lance Armstrong, in dem der Radrennfahrer beschreibt, wie er den Hodenkrebs besiegt hat. Sie ist fasziniert von der Kraft, mit der er die Krankheit überwand und kauft sich ein gelbes Gummibändchen für das Handgelenk. Damals ahnt sie wohl noch nicht, dass sie selbst einmal eine berühmte Autorin werden und als "das Mädchen mit den neun Perücken" durch die Medien wandern wird. Noch macht sie nur Notizen für sich selbst. Was sie im Krankenhaus erlebt, schreibt sie auf. Sie schildert die Nächte, in denen sie vor lauter Tumorschweiß viermal das T-Shirt wechseln muss, und wie gerührt sie ist, weil ihre Schwester sich so um sie kümmert. Und sie schreibt auch darüber, wie sie mit dem Haarausfall umgeht. Durch die Chemo verliert sie Haare, Augenbrauen und Wimpern. "Plötzlich hatte ich ein total nacktes Gesicht, ohne Ausdruck". Unter ihrer ersten Perücke - einem biederen Modell mit Mittelscheitel und schulterlangen Haaren - will sie sich erstmal nur verstecken. Als ihr klar wird, dass sie noch ein ganzes Jahr krank sein wird, sucht sie sich neue, andere Haare. Sie begreift, dass eine Perücke mehr sein kann als ein Schutz vor neugierigen Blicken. "Ich habe andere Perücken anprobiert und festgestellt: Wow, ich kann sexy-verrucht sein und in der nächsten Minute lieb und naiv aussehen."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sophie mit platinblonder Perücke
Jede Perücke bietet eine andere Persönlichkeitsfacette ihrer selbst und jede erhält einen Namen. Die Idee dazu entsteht, als sie ein neues Modell mit langen Locken zu einer Verabredung ausführt. "Ich konnte die schwingenden Haare fühlen und ich spürte die Aufmerksamkeit, die ich damit erregte", erzählt sie. "Wie so eine Daisy“, stellt sie damals im Spaß fest. Auf Daisy folgten die teure Blondie und die wilde Sue. Insgesamt neun Perücken legt sie sich während der Krankheit zu, und jede ist eine Etappe auf Sophies Weg zur Gesundheit.
Eines ist allen Frisuren gemeinsam: Sie ändern nicht nur die Wahrnehmung der anderen, sie schaffen auch Distanz: Distanz zu ihrer Angst vor dem Tod, die mit der Zeit weniger wird. "Wenn es etwas gibt, was der Tod uns schenkt, dann sind es Prioritäten. Und ohne die macht das Leben doch wirklich keinen Spaß", findet Sophie.
Eine dieser Prioritäten liegt für Sophie mehr und mehr im Schreiben. Bald wird ihr klar, dass sie ihre Notizen gerne veröffentlichen würde. Sie schickt Vorschläge an Frauenzeitschriften. Auf den ersten Artikel hin meldet sich ein Verlag bei ihr. Die Vorstellung, dass bald Tausende von Menschen die Details ihres Krankheitsverlaufs kennen werden, fällt ihr schwer. Dennoch ist sie sich sicher: "Das Buch wird nur gut, wenn etwas von mir drin steckt. Das ist nicht immer einfach, aber lieber ein gutes Buch, für das ich ein bisschen von mir weggebe, als ein schlechtes Buch."
In den Niederlanden sind die Reaktionen auf ihr Buch enorm: Sie sitzt in Talkshows, gibt Interviews und erhält Leserbriefe. Einen schreibt Chantal, eine junge Frau, die ebenfalls Krebs hat und bald zu einer engen Freundin für Sophie wird. Als Chantal sie in ihren letzten Lebenswochen fragt, ob Sophie über diese letzten Tage schreiben möchte, wird Sophie klar, dass "Heute bin ich blond" nur ein Anfang war, und dass sie genau das möchte: mit dem Schreiben ihr Leben verbringen. "Damit hat sie mir ein unglaubliches Geschenk gemacht", sagt Sophie.
Nach wie vor fühlt sie sich weit entfernt von sich selbst, von ihrem Alter, aber das wird allmählich besser. "Ich suche immer noch nach dem 24-jährigen Mädchen in mir", stellt sie fest. So wie früher wird es wohl nie werden. Und das ist auch in Ordnung. In der Begegnung mit dem Tod hat Sophie gefunden, was sie im Leben möchte. "Ich habe erlebt, dass das Leben nichts wert ist ohne den Tod." Heute sagt sie sogar, dass es ihr nicht unbedingt etwas ausmachen würde, mit 30 oder 40 Jahren zu sterben. "Natürlich wäre das schlimm. Aber vor allem dann, wenn ich das Gefühl hätte, nicht jeden Moment gelebt zu haben."
Jeden Moment leben, damit meint sie, Freunde in Nepal zu besuchen, mit dem Vater in Indien zu wandern und einen Monat in Argentinien zu leben. Und zu schreiben. In zwei Wochen erscheint ihr neuer Roman.
"Heute bin ich blond" ist bei Droemer Knaur erschienen. Auf den nächsten Seiten kannst du sehen, was die Perücken aus Sophie alles machten
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Text: lea-hampel - Bilder: DroemerKnaur