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Sollen wir über Suizid sprechen?
In der Zeit die man braucht, um diesen Text zu lesen, wird mindestens eine Person versuchen sich umzubringen. Das ist Statistik, denn etwa alle vier Minuten geschieht in Deutschland ein Suizidversuch, einmal pro Stunde ist er auch erfolgreich. Bei Jugendlichen sind Suizide die zweithäufigste Todesursache, nur Unfälle kosten jährlich noch mehr junge Menschen das Leben. Insgesamt begehen rund 10.000 Menschen pro Jahr in Deutschland Suizid. Die Anzahl der Suizidversuche liegt schätzungsweise zehn bis fünfzehn Mal höher.
Diese Zahlen sind beim Statistischen Bundesamt problemlos einsehbar, allerdings wird darüber kaum gesprochen, geschweige denn geschrieben. Denn in den Richtlinien des deutschen Pressekodex steht explizit: "Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung." Hintergrund ist die Angst vor dem Werther-Effekt, benannt nach Goethes Romanfigur, der sich aus unerfüllter Liebe das Leben nimmt. Nach Publikation des Buches brachten sich angeblich zahlreiche Menschen um, auch für die massive Berichterstattung nach dem Tod vom Fußballtorwart Robert Enke ist ein ähnlicher Effekt belegt worden.
Umso zwiespältiger wirkt da auf den ersten Blick die Petition des Berliner Vereins "Freunde fürs Leben": Gemeinsam mit Prominenten wie Klaas Heufer-Umlauf, Markus Kavka oder Jürgen Vogel fordern sie von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine deutschlandweite Aufklärungskampagne zum Thema Suizid unter dem Motto "Rede darüber". Knapp 7000 Unterrschriften hat die Petition bisher, 10.000 bis Anfang November sind das Ziel. Unter der Petition reihen sich im Kommentarfeld Geschichten von Unterstützern aneinander, die selber kurz vor einem Suizid standen oder dergleichen im persönlichen Umfeld erlebt haben. Einer schreibt als Grund für seine Unterschrift: "Weil ich selbst kurz davor war mir das Leben zu nehmen und das Messer schon in der Hand hatte und mich verletzt habe. Ich habe so gerade die Kurve bekommen und die Krisen Telefonnumer angerufen. Ich bin froh, dass es so was gibt um Leute davor zu schützen und das es erst gar nicht soweit kommen muss wie bei mir."
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Auf solche Reaktionen - das Ablassen von den Suizidgedanken und sich stattdessen Hilfe holen, hoffen auch die
Dabei gibt es die
Diesen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Suizid hebt auch Prof. Dr. Carsten Reinemann von der LMU München als besonders wichtig bei einer potenziellen Kampagne hervor. Seit mehreren Jahren forscht er mit seinem Mitarbeiter Sebastian Scherr zum Werther-Effekt und der Darstellung von psychischen Erkrankungen in Medien: "Suizid wird in der Öffentlichkeit immer noch tabuisiert. Das liegt unter anderem daran, dass auch über psychische Erkrankungen immer noch nicht offen gesprochen wird", sagt Reinemann. Zwar wäre in den letzten Jahren über Krankheiten wie Burn-outs oder Depressionen mehr berichtet worden, gänzlich vorurteilsfrei sei die Stimmung allerdings immer noch nicht. Eine bundesweite Kampagne zu dem Thema findet er deshalb wünschenswert: "Es ist wichtig klarzumachen, dass diese psychischen Erkrankungen, zumindest was Depressionen angeht, gut behandelbar sind. Und dass es Handlungsalternativen zum Suizid gibt. Beispielsweise könnten Nummern oder Webseiten angegeben werden, bei denen man sich Hilfe holen kann. Wenn deutlich gemacht wird, dass psychische Erkrankungen ein gravierendes Problem sind, das Leute wie dich und mich betreffen kann, ist das ein guter Ansatz für die Kampagne, sagt Reinemann. Wenn diese Kriterien eingehalten werden, befürchtet er genau wie Joana Hauff von den "Freunden fürs Leben" auch keinen Werther-Effekt: "Sensationalistische Berichterstattung, in der Suizid als einzige Lösung für die Probleme im Leben dargestellt wird, kann solche Effekte auslösen. Allerdings nicht eine Kampagne die klar sagt, was es an Alternativen gibt", sagt Reinemann.
Die BZgA verwies auf die Anfrage, was sie bisher zu den Themen "Depressionen" und "Suizid" anbietet, auf ihre Internetseiten
männergesundheitsportal.de und frauengesundheitsportal.de. Für den Bereich "Suizid" gäbe es hingegen noch keinen eigenen Schwerpunkt, da dieser in Rücksprache mit dem Gesundheitsministerium entwickelt werden müsste.