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So vertraut, so einfach, so langweilig: Die aufgewärmte Jugendliebe
Er hieß Philip – und war meine große Liebe. Oder vielmehr: meine große Jugendliebe. Ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied, den man gerne und oft verdrängt. Ich, zum Beispiel. Zu schön die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit: Gleiche Schule, gleicher LK, verstohlene Blicke im Deutsch-Unterricht, gemeinsame Theater- und Konzertbesuche. Dann kam die Stufenfahrt nach Barcelona. Dank Unmengen an Sangria wurde beschwipst am Strand geknutscht und auf der Rückfahrt im Bus Händchen gehalten. Von da an waren wir das neue Stufenpaar. Nach dem Abitur kam der Umzug nach Berlin – Soziologie und Spanisch wollte ich dort studieren. Ich trug rote Cord-Schlaghosen, 70er Jahre Ski-Jacken und abgewetzte Camel-Boots. Reiste in den Semesterferien durch Guatemala und verbrachte die Sonntage auf Flohmärkten. Philip studierte in München BWL, trug Segelschuhe und Ralph Lauren-Hemd. Und unsere Beziehung scheiterte. Meine Eltern waren zutiefst bestürzt, sie hatten ihn schon als Schwiegersohn in spe adoptiert. Aber wir fanden, dass die Welten zu verschieden waren, in denen wir lebten.
Es folgte die Zeit ohne Philip. Viel probieren, viel leben und erleben – ich wechselte die Männer, Schwärmereien und Affären, so schnell wie die Städte in denen ich mal länger mal kürzer lebte. Dann, acht Jahre später, das Wiedersehen – und alles war so vertraut, so nah, so einfach. Auch ich war ruhiger geworden und sehnte mich nach Stabilität und einer starken Schulter. Hatte genug vom Städte-Hopping und den daraus resultierenden unverbindlichen Männergeschichten, hatte keine Lust mehr auf die ewige Suche nach dem Einen. Und ein bisschen sehnte ich mich auch nach einem Kind. Und genau in diesem Moment tauchte er wieder auf. Wir trafen uns meinem Lieblingsclub in Berlin – früher hätte er hier keinen Fuß reingesetzt. Viel zu alternativ, nicht stylish genug. Wir redeten die ganze Nacht und den ganzen Tag danach. Alles schien so klar und einfach. Unsere Eltern waren begeistert und wir auch, zumindest am Anfang. Dinkelbrötchen statt Hundehaufen Ich tauschte mein 15qm WG Zimmer in Berlin-Friedrichshain mit seiner 100 qm großen Wohnung in Prenzlauer Berg, genoss es, nicht mehr jeden Morgen einen Slalom um Hundehaufen machen zu müssen, keine schnorrenden Punks vor der Haustür abzuwimmeln und keine Diskussionen mit Mitbewohnern über Spülgewohnheiten zu führen. Stattdessen kaufte ich jeden Morgen Dinkelbrötchen und Vollkorn-Croissants, wurde begeisterter Fan von Flachbildschirmen und Ceran-Kochplatten und verbrachte meine Abende mit Philipp und einem Chardonnay auf unserem Balkon. Ich fühlte mich gut und endlich erwachsen. Bis zu dem Tag im Mai. Der freudenstrahlende Philipp, mich durch die Luft wirbelnd, erzählte von seinem Chef und einem Angebot. Wörter sprudelten aus ihm heraus, Fetzen die ich verstand oder auch nicht verstand – was ich hörte, war: Frankfurt. „Du kannst doch als freie Übersetzerin überall auf der ganzen Welt arbeiten – und so beschäftigt bist du doch eh nicht“, sagt er zwischen zwei Küssen. Die Nacht danach schlief ich auf dem Sofa. Wie viele Nächte danach auch. Am Anfang versuchten wir es mit einer Fernbeziehung, doch mit jedem Wochenende, mit jeder Zugfahrt entfernten wir uns weiter voneinander. Und irgendwann standen wir wieder da, wo wir acht Jahre vorher aufgehört hatten. Durchgeheulte Nächte, Dauertelefonate, lange Rechtfertigungsemails. Ein einziges Déjá vu.
Mich nervten seine neuen Frankfurter Freunde, die ihre Ralph Lauren-Hemden und beige Pullover der Studienzeit gegen Hugo-Boss Anzüge getauschten hatten, ihre Abende auf After-Work-Partys mit dem Champagnerglas in der Hand verbrachten und ihr erstes Gehalt für eine Haartransplantation ausgaben. Aber noch viel mehr als seine Freunde nervten mich die Freundinnen eben dieser Freunde. Süße und adrette Mädchen aus der Marketing-Abteilung, mit Gucci-Brille im Haar, die sich kichernd an ihrer Handtasche festkrallten und Sätze sagten wie: „Hey, dein neues Kleid sieht ja echt interessant aus. Trägt man das so in Berlin, ja???“ Und wie damals mit 20 blieb mir die Luft zum Atmen weg, fühlte ich mich eingeengt trotz Fernbeziehung. Ein Korsett aus Erwartungen. Ein Rollenbild auf das ich damals keine Lust gehabt hatte, und mit 29 Jahren noch viel weniger.
Irgendwann fingen wir schon im Auto beim Abholen am Bahnhof an zu streiten – über uns und unserer Zukunft und das große WIE und WO wir leben wollen. Wenn ich mich mit Philipp in zehn Jahren sah, musste ich immer an die Peek und Cloppenburg Kataloge denken: Paare mit blau-weiß gestreiften Pullover auf einem Segelboot mit kleinen Maximilians und Maries in rot-weißen Ringelshirts und blonden Strubelhaaren. So perfekt, so langweilig, zu eng. Wir versuchten zu kitten und zu retten, was noch zu retten war – nur um kurze Zeit später einzusehen, dass nichts mehr zu retten war. „Ich gehe jetzt“, sagte ich irgendwann unter Tränen. Und ich ging. Setzte mich in den Zug, der mich zwei Stunden vorher von Berlin nach Frankfurt gebracht hatte. Starrte aus dem Fenster, sah Hanau, Fulda, Kassel an mir vorbei rauschen und versteckte meine rot-verweinten Augen hinter einer Zeitschrift. Zwischen Göttingen und Hildesheim traute ich mich schon in den Speisewagen. Trank einen Milchkaffee, tippte unzählige SMS an meine Freundinnen, und merkte, dass ich mich mit jedem Kilometer den ich mich von Frankfurt entfernte, besser fühlte. Als ich nach vier Stunden meiner Freundin Alex am Berliner Hauptbahnhof in die Arme fiel, wusste ich, dass es richtig gewesen war, mich von Philipp zu trennen, um unsere Liebe als das in Erinnerung zu behalten was sie gewesen war: Eine Jugendliebe.
Ich glaube, mit der alten Jugendlieben ein zweites Mal anzubändeln ist vor allem eins: verdammt feige. Natürlich wäre es schön, wenn sich der Traum von der einen, der großen Liebe erfüllen würde; wenn man eines Tage den Kindern die Fotos von der Abiturfeier zeigen könnte, gemeinsam über alte Klassenkameraden lästern und alte Erinnerungen teilen könnte.
Es könnte so leicht sein, so schnell und ganz ohne das langwierige und Nerven raubende Kennenlernen. Man kennt sich ja. So vertraut, so nah und so einfach. Aber ich glaube auch, dass man da vor lauter Bequemlichkeit das Allerbeste verpassen würde: Den Neuen.
Text: linda-tutmann - Illustration: katharina-bitzl