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Ich habe zum ersten Mal Angst vor Terroristen

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Am 11. September 2001 rasten in New York zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers, fast 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. Zwei Tage später wurde in einem Dorf im Westen Deutschlands ein Mädchen 15 Jahre alt und schrieb in ihr Tagebuch, dass dies kein so schöner Geburtstag sei und dass sie Angst habe. Vor dem Dritten Weltkrieg und dass jetzt alles ganz schlimm werden würde. Dieses Mädchen war ich. 

Wenn ich den Tagebucheintrag von damals lese, erinnere ich mich, wie ich mich gefühlt habe. Ich war erstaunt und aufgebracht und mir war bewusst, dass etwas passiert war, das die Welt verändern würde – wenn doch sogar MTV ein Schwarzbild sendete und in der Schule der Unterricht durch ein Gespräch über die Anschläge ersetzt wurde. Ich dachte wohl, diese Verwirrung über das Weltgeschehen sei Angst, ich dachte, ich müsste Angst haben. Aber: Ich hatte gar keine Angst. Zu weit weg war das alles, zu abstrakt. Hätte ich die Geschehnisse auf der Weltkarte, die mir damals als Schreibtischunterlage diente, verorten müssen, ich hätte die Kreuzchen sehr weit rechts und links von dem Punkt gesetzt, an dem ich mich befand, aber nie in meiner Nähe.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute ist das anders. Heute habe ich Angst. Vor dem Weltgeschehen. Und vor allem vor den IS-Milizen im Irak und in Syrien. Das kann nun sicher nicht jeder nachvollziehen. Immerhin ist ja kein zweites 9/11 passiert. Trotzdem fürchte ich mich vor Abu Bakr al-Baghdadi mehr als ich mich jemals vor Osama bin Laden gefürchtet habe, und mehr vor dem IS als vor Al Qaida. Vor allem aus zwei Gründen.   Zum einen, weil ich sehen kann, dass die IS-Milizen als Gruppe in Bewegung sind. Terroristen, das waren bisher diese bärtigen Typen, die sich in Gebirgen versteckt hielten und von da aus ihre perfiden Anschläge planten. Sie ließen sich undercover irgendwo ausbilden, um sich dann irgendwo anders in die Luft zu jagen. Und das meist ziemlich weit weg. Ich weiß, dass diese Sichtweise wohl etwas naiv und vermutlich auch nicht gerade empathisch ist. Dennoch habe ich mich nie persönlich bedroht gefühlt. Nicht zu Hause, nicht im Flugzeug, nicht im Ausland. Zu punktuell waren die Ereignisse. Heute lese ich Schlagzeilen wie „ISIS-Terroristen stehen kurz vor Bagdad“ oder „IS nimmt wichtigen Militärflughafen ein“ – Begriffe, die einen Eroberungsfeldzug beschreiben, die mir sagen, dass die Terroristen übers Land rollen und die Macht ergreifen, anstatt anderswo die Macht zu torpedieren und dann wieder im Versteck zu verschwinden. Auf einer Landkarte, die online wie wild geteilt wurde, sind die Gebiete markiert, die das Kalifat umfassen soll: der Nahe Osten und weitere große Gebiete in Asien, die Türkei, ganz Nordafrika, und Teile Europas mit Spanien, dem Baltikum und Österreich. Das siehst so aus, als könnte das Kalifat bald vor meiner Hautür stehen.  

Der IS ist in meinem Haus – und in meiner Hosentasche

Ja, ich weiß: So weit wird es wohl nicht kommen. Immerhin operiert die Gruppe gerade in einer Region, die so zerrüttet ist, dass die dortigen Regierungen und Militärs ihr nicht viel entgegen zu setzen haben, und das wäre sicher nicht überall so. Aber, und das ist der zweite große Grund für meine Angst, vor meiner Haustür ist sie trotzdem schon. Eigentlich sogar in meinem Haus und in meiner Hosentasche.   Denn die IS-Terroristen nutzen soziale Netzwerke und das Internet als Verbreitungs- und Propagandaplattform intensiver als andere Gruppen. Sie posten grausame Exekutionsvideos und unter Hashtags wie #AMessageFromISISToUs erscheinen Drohbotschaften wie „Wir sind in eurem Land, wir sind in euren Städten, wir sind in euren Straßen“, teilweise mit Fotos der schwarzen IS-Flagge in Chicago oder vor dem weißen Haus. Sie schüren unsere Ängste. Aber sie präsentieren sich auch genau entgegengesetzt: Es gibt Fotos von bewaffneten Terroristen, die mit kleinen Kätzchen spielen. Ein IS-Kämpfer twitterte nach Robin Williams’ Tod, wie gern er „Jumanji“ mochte. Ein anderer, wie sehr er sich über ein Snickers freut („Hätte nicht gedacht, dass ich das hier essen würde!“), wieder ein anderer lud ein Foto von Pizza hoch, die er und seine Kameraden zusammen gemacht hatten. Gerade erst gingen die Bilder von Jungs mit Sturmgewehr über der Schulter und Nutellaglas in der Hand durchs Netz. Einer von ihnen trägt ein Tuch vor dem Gesicht, aber an den Augen kann man erkennen, wie jung er ist. Jünger als ich vermutlich. Er hat zierliche Hände, das Glas sieht darin sehr groß aus. Ein anderer trägt einen Safarihut, hat halblanges Haar und ein weiches Gesicht. Das sind keine Terroristen aus den Bergen, das sind Jungs, die da zu Hause sind, wo ich zu Hause bin – in einer globalisierten, vernetzten Welt, in der man sich Haselnussaufstrich aufs Brot schmiert. Es könnten Jungs aus der Nachbarschaft sein. Es sind Jungs aus der Nachbarschaft. Sie begegnen mir ja jeden Tag im Internet.   Immer gab es auf der Welt Angst vor dem Fremden. Mittlerweile gibt es aber nur noch sehr wenig Fremdes. Dafür fällt das Bekannte mit einer Brutalität zusammen, die man vorher eher dem Fremden zugeschrieben hat. Und das ist viel beängstigender. Weil es so nah ist. Hätte ich die Weltkarten-Schreibtischunterlage von damals noch und müsste ich Kreuzchen darauf machen – ich wüsste nicht, wohin ich sie zeichnen sollte. Ich würde vermutlich ein besonders großes im Nahen Osten machen. Aber auch viele kleine überall sonst. In einem schlechten Moment vielleicht auch ein einziges über die ganze Karte hinweg.   „Letztes Jahr hat Kevin sich fürs Rappen oder ein Medizinstudium interessiert, dieses Jahr für den Dschihad, nächstes Jahr vielleicht wieder für ein Studium“, schreibt Michael White, Mitherausgeber des „Guardian“, über einen Jungen aus London, der in Syrien gekämpft und mit dem abgetrennten Kopf einer seiner Feinde in einem Video geprahlt hat. Michael White hat keine Angst. Er glaubt, dass die Gruppe zu instabil, zu unorganisiert, zu wenig ideologisch gefestigt ist – und dass viele ihrer Mitglieder eigentlich zu gerne einen westlichen Lebensstil pflegen, um sich für immer auf eine islamistische Gruppe einzulassen. So kann man das natürlich auch sehen. „Werden wir in einem Jahr noch über ISIS sprechen?“, fragt White gegen Ende seines Textes. „Ich mag falsch liegen, aber ich bezweifle es. Es gibt Hoffnung.“ Und Hoffnung ist ja eine ganz gute Medizin gegen Angst. Foto: Twitter, Reuters und Screenshots

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