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Selbstentzündung auf Facebook

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Wenn sich jemand mit Alkohol übergießt und sich – ja, sich! – anzündet, kann und sollte das ungefähr einen einzigen Grund haben: Er ist Stuntman beim Film und weiß, was er tut, das heißt: Er hat sich um seine und die Sicherheit der Menschen um ihn herum gekümmert. Mehr logische Gründe um sich, Entschuldigung für die Wiederholung, sich anzuzünden!, gibt es nicht. Und trotzdem tun das auf Facebook gerade reihenweise junge Männer.  

Sie stehen in der Dusche, stellen vorsorglich das Wasser an, begießen ihre Oberkörper mit Alkohol oder anderen brennbaren Flüssigkeiten und stecken diese mit einem Feuerzeug in Brand. Danach kommt: viel Geschrei. Mehr oder weniger viele Mühen, die Flammen wieder zu löschen. Und: das Lachen derer, die das Ganze filmen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dass der Trend „Fire Challenge“ aus den USA eine sehr dumme Idee ist, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden. Vielleicht aber auch schon. Ein 15-Jährier aus den USA soll seine „Fire-Challenge“-Aktion damit begründet haben, dass er ausprobieren wollte, was passiert, wenn er sich flambiert, denn die meisten Videos unter dem Hashtag #FireChallenge würden enden, bevor man die Auswirkungen des Ganzen erkennen könne. Er landete mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus.  

Mutproben auf einem neuen Level

Mutproben gibt es schon immer, im Kindergarten und in der Schule, im Freundeskreis und im Verein, aber auch in den Medien, aktuell etwa in der Prosieben-Show „Circus Halligalli“ mit Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Die Stunts von Johnny Knoxville und Steve-O in der MTV-Sendung „Jackass“ wurden häufig kritisiert, weil manche Jugendliche die Aktionen nachmachten und sich dabei verletzten, oder schlimmer, dabei starben. Seit jeder mit seinem Smartphone die Möglichkeit hat, Videos aufzunehmen und online zu stellen, erreicht der Mutproben-Hype aber ein neues Level: Man muss seinen „Mut“ nicht mehr vor einer Handvoll Freunde beweisen, sondern vor 300 Facebook-Freunden.

Hanna Krasnova ist Assistenzprofessorin für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement an der Universität Bern. An der Humboldt-Universität zu Berlin veröffentlichte sie 2013 eine Studie über Facebook, die belegte, dass das soziale Netzwerk in der Tendenz neidisch, depressiv und unzufrieden macht. Sie erklärt den Hype um die „Fire Challenge“ so: „Online weiß nicht nur ich, wie viel Feedback ich bekomme, sondern auch alle anderen. Auf Facebook, das ist der Vor- und Nachteil, sehen meine 300 Freunde, wie viele Likes ich für mein Video bekommen habe.“ Und wir seien alle durch Feedback motiviert, auch im Offline-Leben. „Aber in unserem Online-Leben noch viel mehr“, sagt Krasnova.  

http://www.youtube.com/watch?v=cfCsKZYECrU

Die „Fire Challenge“ scheint der Höhepunkt der Video-Wettbewerbe zu sein, die seit einigen Jahren auf Facebook und YouTube kultiviert werden und seitdem immer extremer werden. 2012 und 2013 kursierte die „Salt and Ice Challenge“: Dabei streut man sich Salz auf die Haut und legt Eis darauf, was zu Kälteverbrennungen zweiten und dritten Grades führen kann. Auf YouTube findet man mehr als 200.000 dieser Videos mit Bildern schlimmer Verbrennungen – als Beweis, wie lange diejenigen den Schmerz ertragen konnten.  

Die „Fire Challenge“ ist in diesem Sommer nicht der einzige Netz-Wettbewerb: Vor allem Freiwillige Feuerwehren rufen sich seit einigen Monaten gegenseitig zur „Cold Water Challenge“ auf. Wie beim Social Beer Game, das Anfang 2014 aus den USA nach Deutschland kam, nominiert man beim Videodreh nach dem Kettenbrief-Prinzip weitere, die ein Video, in diesem Fall einer Wasserschlacht, drehen müssen und dafür 24 Stunden Zeit haben. Andererseits müssen sie die Nominierenden zum Beispiel zum Grillen einladen. Beim „Social Beer Game“ musste man, wenn man nicht mitmachte, eine Kiste Bier spendieren. In Varianten davon mussten die „Nominierten“ Fotos von sich mit ihrem Pferd oder Auto posten oder einen Sack Pferdefutter oder eine Tankfüllung bezahlen.  

Internet-Challenges und die Neidspirale

Die bloße Nominierung ist aber nicht die einzige Motivation, bei diesen Challenges anzunehmen. „Wir glauben, dass die Transparenz des Feedbacks auf Facebook die Nutzer dazu antreibt, mitzumachen“, sagt Hanna Krasnova, „und auch immer verrücktere Sachen auszuprobieren, um mehr Likes und Kommentare zu bekommen und sich in der Gruppe zu behaupten.“ Es sei ein Klischee, aber Männer würden wie im realen Leben auch online eher Stärke demonstrieren wollen, das hätte ihr Forschung eindeutig gezeigt, so Krasnova.
Sie vergleicht die Challenges mit dem Selfie-Trend im Netz und der „Neidspirale“, die sie in ihrer Forschung in sozialen Netzwerken festgestellt hat: „Die vielen Selfies sind eine Antwort auf Neidgefühle: Je neidischer man ist, desto mehr möchte man sich selbst posten, um das Gefühl der Geringschätzung zu verringern“, sagt sie. „Wenn ich auf mein Selfie vom See nur zwei Likes bekomme, fühle ich mich nicht nur schlecht, ich weiß auch, dass alle anderen wissen, dass ich kaum Likes bekomme. Und deshalb steigere ich mich und poste das nächste Mal ein Selfie in einer riskanteren Situation.“  

Die Herausforderung der „Cold Water Challenge“ bestand ursprünglich in irgendeiner Art von Wasserschlacht: mit Wasserbomben, Wasserspritzpistolen und anderem Ungefährlichem. Die ersten Feuerwehren zweckentfremdeten aber schnell Feuerwehrschläuche und spritzten ihre Vereinsmitglieder zum Beispiel mit dem Wasserstrahl in ein Freibadbecken. Im Münsterland wollte ein Mann 2.000 Liter Wasser aus einer Baggerschaufel über seine Freunde gießen, die zusammen an einem Tisch im Freien saßen. Der Bagger kippte vornüber und die Schaufel krachte auf den Tisch, einer der Männer starb sofort, die anderen wurden zum Teil schwer verletzt.  

Beim „Social Beer Game“ war es ähnlich: Ursprünglich musste man dafür vor der Kamera eine Flasche Bier auf ex trinken. Bald wurden die Videos extremer und zum Teil gefährlich inszeniert: Manche exten statt Bier eine Flasche Schnaps. Zwei Australier tranken ihr „Social Beer“ während sie ungesichert an einem Hubschrauber hingen. Im Zusammenhang mit dem Spiel wurden Todesfälle gemeldet.  

Auch bei der „Fire Challenge“ soll es den ersten Toten gegeben haben. Ein Teenager aus Buffalo ist wohl an den  Brandverletzungen gestorben, die er sich bei einem Videodreh zugezogen hatte. Facebook löscht seitdem Videos unter dem Hashtag #FireChallenge. Dort tauchen allerdings seitdem auch Fotos von schlimmen Brandwunden und Narben an Oberkörpern und Armen sowie Videos, in denen die Protagonisten sich noch mit Alkohol begießen – auf den Rest aber betont verzichten und dafür noch mehr Likes bekommen als die ursprünglichen Feuer-Videos. Bei der „Fire Challenge“ ist auch keine weitere Steigerung mehr möglich, wie man sie bei den anderen Facebook- und Youtube-Challenges beobachtet. Sie ist bereits die Steigerung.

Text: kathrin-hollmer - Foto: zettberlin/photocase.de

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