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Schwänzen für Lampedusa
Wenn es nach Dirk Mescher geht, ist am Donnerstag in Hamburg etwas ziemlich Gutes passiert: 3500 Schüler sind nach Polizeiangaben an diesem Vormittag mit Transparenten, auf denen "Bleiberecht für alle" und "Refugees are welcome" stand, durch die Hamburger Innenstadt gezogen. Damit wollten sie auf die Situation der rund 300 Lampedusa-Flüchtlinge in ihrer Stadt aufmerksam machen. Diese waren zum Großteil über Italien vor dem Bürgerkrieg in Libyen geflohen und haben nun in Deutschland einen ungeklärten Aufenthaltsstatus. Die Idee eines kollektiven Bleiberechts lehnte der Hamburger Senat ab. Manche wurden daraufhin von Kirchen aufgenommen, andere leben auf der Straße und mehreren droht die Abschiebung. "Man sollte Respekt vor dem politischen Engagement der Schüler haben und damit auch dem ganzen Gerede über die Politikverdrossenheit der jungen Menschen etwas entgegen", sagt Mescher. Er ist Geschäftsführer der Hamburger Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wenn er also sagt, dass der Streik eine gute Aktion war, spricht er für viele Lehrer. Sollte man meinen.
Stattdessen gingen bei der GEW böse Anrufe ein, nachdem diese offiziell die Demonstrationen guthieß. Denn wenn 3500 Schüler an einem Donnerstagvormittag auf die Straße gehen, heißt das gleichzeitig, dass diese Schüler nicht in der Schule sitzen. Fürs unentschuldigte Fehlen können die Lehrer ihnen wiederum einen Vermerk schreiben, der dann auch auf dem Zeugnis steht. Der GEW wurde unterstellt, zum Schulschwänzen aufzurufen. Die Hamburger Schulbehörde wies daraufhin explizit darauf hin, dass unentschuldigtes Fehlen an diesem Tag vermerkt werden müsse. Es gäbe schließlich keinen ersichtlichen Grund, warum die Demonstration vormittags stattfinden müsse.
Leonie Meliones, eine der Organisatorinnen des Schulstreiks, sieht das anders: "Wir haben einen Schulstreik organisiert, weil wir nicht untätig in der Schule sitzen wollen, während rassistische Polizeikontrollen und Abschiebungen stattfinden. Wir wollen ein klares Zeichen setzen gegen den SPD-Senat in Hamburg, dass wir mit seiner Politik nicht konform gehen. Wir interessieren uns für Politik und dafür leisten wir auch etwas und gehen auf die Straße", sagt die 23-jährige Berufsschülerin. Die Demonstration endete deshalb auch mit einer Kundgebung vor der SPD-Zentrale in Hamburg, manche forderten sogar den Rücktritt von Hamburgs Innensenator Michael Neumann.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Laut Polizei waren 3500 Demonstranten am Donnerstagvormittag in der Hamburger Innenstadt unterwegs
Warum gerade die Flüchtlinge aus Lampedusa die Hamburger Schüler zum Protest treiben, erklärt Dirk Mescher von der Gewerkschaft so: "Die jungen Menschen aus Lampedusa sind ja zum Teil inmitten der jungen Leute. Sie gehen hier zur Schule und nun droht ihnen die Abschiebung. Das bewegt die Menschen. Die Demonstration wurde von den Schülern selbst organisiert, deshalb betrachten wir das sehr wohlwollend."
Ob tatsächlich die Schüler die Idee zu der Demo hatten, beweifeln allerdings Einige. Die Hamburger Junge Union ließ in einer Pressemitteilung verlauten, es sei "skandalös, wie die Partei Die Linke Hamburg Schüler für ihre politischen Motive missbraucht und diese vorsätzlich zur Missachtung der Schulpflicht aufruft." Mitorganisatorin Leonie sieht das anders: "Ein Bündnis von ungefähr 120 Schülern und Schülerinnen hat den Streik organisiert. Unter ihnen waren einige, die in der Links-Jugend Solid aktiv sind, aber das war ein geringer Teil. Die Linke hat uns insofern unterstützt, dass sie gespendet und eine Rede gehalten hat. Organisiert hat sie den Streik nicht."
Die angedrohten schulischen Konsequenzen machen Leonie keine Angst: "Wir haben natürlich von vornherein mit Lehrern gesprochen und erklärt, warum wir das machen. Es liegt im Ermessen der Schule, zu sagen, ob das als entschuldigtes oder unentschuldigtes Fehlen eingetragen werden soll. Wir haben klar gefordert, dass Lehrer uns unterstützen. Viele haben das auch getan. Mehr Sanktionen können sie uns nicht androhen", sagt Leonie.
Dirk Mescher von der GEW bestätigt, dass die Lehrer die Schüler nicht automatisch für ihr Tun bestrafen müssen: "Die Lehrer können beispielsweise im Unterricht Asylpolitik diskutieren und den Unterricht nach draußen verlegen. Eine Demonstration ist ja geeignetes Anschauungsmaterial." Prinzipiell hätten die meisten Lehrer in der GEW die Protestpläne mit Wohlwollen aufgenommen. Das bestätigt auch Leonie: "Es waren auch Lehrer da, aber sie haben nicht offiziell gestreikt", sagt sie.
Am kommenden Montag soll es nun ein neues Treffen der Schüler geben, bei dem man über die weiteren Maßnahmen spricht: "Es ist uns wichtig der Bewegung neuen Aufschwung zu geben. Gerade vor Weihnachten", sagt Leonie. So lange es keine Lösung gibt, schlafen viele Flüchtlinge weiter auf der Straße.
Text: charlotte-haunhorst - und Katharina Elsner / Bild: dpa