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Schlechtes Zeugnis für Zeugnisse
In schlechten Fällen sind es harmlos erscheinende Formulierungen, die sich nach Dechiffrierung als karrierevernichtende Brandrede entpuppen. In guten Fällen ergießt sich ein Superlativregen über den ausgeschiedenen Mitarbeiter. Die Personalleiterpoesie, die oftmals in Arbeitszeugnissen verwendet wird, ist nicht einfach zu übersetzen. Das liegt an der gesetzlichen Vorschrift, dass die Bewertungen keine negativen Formulierungen enthalten dürfen. Um sich im Dickicht dieser Codes zurechtzufinden, gibt es bereits eine Menge Beraterliteratur, sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Und doch, so zeigt eine Untersuchung der Dienstleistungsgesellschaft ver.di, sind praktisch alle Arbeitszeugnisse mangelhaft.
In der Schule ist die Sache noch vergleichsweise einfach, doch wie verhält man sich, wenn im Zeugnis keine Zensuren mehr stehen? Verdi hats untersucht. Foto: dpa Im Zeitraum zwischen Juli 2005 und Mai 2007 untersuchte die Arbeitzeugnisberatung der Gewerkschaft 2650 Arbeitszeugnisse und kam zu dem alarmierenden Resultat, dass 80 Prozent der ausgestellten Zeugnisse in Form oder Inhalt mangelhaft sind. Nach Ansicht der Berater fehlt es auf beiden Seiten oft an Kenntnis darüber, wie ein Zeugnis aufgebaut sein, und welche Elemente es enthalten soll. „Besonders problematisch wird es, wenn die Unterlagen maschinell ausgewertet werden – fehlt eine wichtige Passage oder steht eine wesentliche Information an der falschen Stelle, wird die Bewerbung sofort aussortiert“, erklärt Gisela Schamann von der ver.di-Arbeitszeugnisberatung. Ein weiterer Kritikpunkt der Beratungsstelle ist die fehlende Individualität in den Bewertungen, die allzu oft nach einem simplen Satzbaukastensystem erstellt würden. Durch die allgemeinen Floskeln komme es dazu, dass man nach der Zeugnislektüre kaum mehr weiß, in welcher Branche oder Position der Arbeitnehmer angestellt war. „Ich habe Zeugnisse von wissenschaftlichen Mitarbeitern gesehen, in denen der bewertende Teil so stark verallgemeinert war, dass man dieses Zeugnis auch einer Fleischereifachverkäuferin zuordnen hätte können“, sagt eine Beraterin von ver.di, die an der Auswertung der Zeugnisse mitgearbeitet hat. Gerade in großen Unternehmen, die über eigene Personalabteilungen verfügen, arbeiten die Verantwortlichen gerne mit diesen schlichten Botschaften. Auf der anderen Seite, bei kleinen und mittelständischen Betrieben „schreiben hingegen die Geschäftsführer oft wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, das kann auch oft zu Missverständnissen führen“, so die Erkenntnis von ver.di. Das bedeutet, dass der neue Arbeitgeber in 80 Prozent der Fälle keine Möglichkeit hat, sich ein Bild über den Bewerber zu machen, das abseits von Allgemeinplätzen entstehen könnte. Nicht gerade das beste Vorzeichen für eine erfolgreiche Jobsuche. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass Tätigkeiten, die als geringer angesehen werden auch tendenziell schlechter bewertet würden, wohingegen Führungskräfte, sollten sie sich nicht einen groben Schnitzer geleistet haben, Gefälligkeitszeugnisse ausgestellt bekommen. Generell stellen die Berater eine hohe Sensibilität und eine großes Misstrauen der Arbeitnehmer gegenüber den ausgehändigten Zeugnissen fest. Doch Adjektive wie etwa „kontaktfreudig“ oder „gesellig“, die unter den Personalern als Chiffren für Alkoholismus und innerbetriebliche Affären stehen, und demnach als Karrierekiller gelten, kommen der Erfahrung nach höchst selten vor. Tritt man an den Personalverantwortlichen heran, könne man in den meisten Fällen die gewünschten Änderungen erreichen, sollte es sich dabei nicht um gravierende Nachbesserungen bei der Bewertung der Arbeitsleistung handeln. Durch diesen Schritt könnte wohl eine Vielzahl der mehr als 20.000 Prozesse, die jährlich um Arbeitszeugnisse vor dem Arbeitsgericht geführt werden, vermieden werden. Bekommt man von seinem Arbeitnehmer das Angebot, sein Zeugnis selbst zu schreiben, so die Beratungsstelle, kann man zwar für die nötige individuelle Note sorgen, sollte sich aber zuvor auf jeden Fall ausführlich informieren. Sonst läuft man Gefahr, dass der Vorgesetzte die eigenen formellen Fehler abzeichnet. Dann könnte eine nachträgliche Änderung schwierig werden.