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Schalke wird Meister - im virtuellen Fußball
Der FC Schalke 04 ist Meister. Bereits am vorletzten Spieltag der Bundesligasaison führt er die Tabelle mit 81 Punkten und 142.894 erzielten Toren uneinholbar an. Die unglaulich hohe Anzahl an Toren haben die Schalker aber nicht auf dem Rasen erzielt, sondern an einem Kickertisch. Dieser Tisch steht nicht in der Ecke einer engen Kneipe, seine Stangen quietschen auch nicht. Der Kickertisch, an dem der Gelsenkirchner Fußballtraum Wirklichkeit wurde, steht im Netz. Er ist digital. Bringt man den Cursor der Maus über eine der Stangen mit den Männchen, lässt sich diese hin und her bewegen. Zum Schießen benutzt man die linke Maustaste. Dieses Spiel, das innerhalb von einem Jahr zu einer kompletten Liga herangewachsen ist, nennt sich Virtual Kicker.
Der Kickertisch wird digital: Screenshot von Virtual-Kicker.de Die Idee zum Virtual Kicker stammt von Professor Tobias Kollmann, der weniger Kilometer von Gelsenkirchen entfernt am Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship an der Uni Duisburg-Essen arbeitet. Er hatte in einer Studie die Webauftritte der Fußabll-Bundesliga unter den Gesichtspunkten Interaktivität, Spiel und Spaß analysiert. „Das Ergebnis war erschreckend“, erinnert sich Kollmann, der aber nicht nur kritisieren, sondern für die Präsentation bei den Vereinen „auch eine Idee im Gepäck haben“ wollte: die Virtual Kicker League. Der 1. FC Köln und die Bayern aus München sagten sofort begeistert zu, im März 2006 wurde die erste Partie ausgetragen. Nach und nach schlossen sich die anderen Bundesligisten an, bis im Januar diesen Jahres Hannover und Bremen die Kickerliga komplettierten. Inzwischen loggen sich 60.000 Fußballfans zwischen 12 und 50 Jahren Woche für Woche ein, um für ihren Lieblingsverein die Begegnung des jeweils kommenden Bundesligaspieltags vorzukickern. Das Spiel beginnt jeden Mittwoch um 15:30 Uhr und endet mit Anpfiff der realen Begegnung am Samstagnachmittag. In dieser Zeitspanne kann jeder so oft gegen Fans des anderen Vereins die Stangen drehen wie er möchte. 90 Sekunden dauert eine Partie, ganz besonders aktive Zocker absolvieren davon 400 Begegnungen pro Spieltag.
Rief den Virtual Kicker ins Leben: Professor Kollmann Ein gewisses Suchtpotenzial scheint das Spiel also zu bergen. Worin genau das jedoch besteht, bleibt auf den ersten Blick noch verborgen: Grafisch ist Virtual Kicker wirklich keine Revolution, und auch all die Tricksereien und Finten, die dem realen Kickern erst seinen Reiz verleihen, sind an Maus und Bildschirm nur sehr beschränkt möglich. Für viele Spieler ist das aber auch nicht das Ausschlaggebende. Ein Großteil des Erfolgs der Virtual Kicker League ist auf ihren starken Community-Charakter zurückzuführen: „Für mich ist der Gemeinschaftsgedanke mittlerweile wichtiger als das Spielen selbst“, gesteht Holger Osterloh. Der 35-jährige Koch und leidenschaftliche Gladbach-Fan hatte bis vor zwei Jahren noch nicht mal einen eigenen Computer. Über einen Link auf der Homepage von Borussia Mönchengladbach kam er eher zufällig zur Kickerliga. Mittlerweile ist er dort Vizepräsident und fungiert als eine Art Bindeglied zwischen Usern und Programmierern. Im Januar versammelte er die Computer-Kicker auf dem echten Spielfeld zum ersten Hallenturnier der Virtual Kicker League. Überhaupt reichen die Bande zwischen den virtuellen Kickern weit über ihren virtuellen Tisch hinaus. Man geht zusammen ins Stadion und feiert Grillpartys. Das Besondere ist, dass dabei die sonst vorhandenen Vereinsrivalitäten in den Hintergrund treten und der Kontakt zu Fans einer anderen Mannschaft nicht darauf beschränkt ist, sich durch Hassgesänge anzufeinden.
Digitale Ergebnisse, realer Jubel: die Schalker Fans sehnen sich auch im echten Leben nach der Meisterschaft, Foto: reuters Was nicht heißen soll, das Spiel entbehre jeglichen Ernstes und werde ohne Ehrgeiz geführt. Immerhin ist schon geplant, den Schalker Online-Kickern den Meisterpokal vor dem letzten Heimspiel in der Schalke-Arena zu überreichen und ihm einen Platz in den Trophäenvitrinen des Vereins einzuräumen. Dementsprechend will jeder sein Team möglichst weit oben in der Tabelle sehen. Neulinge, deren Mausfertigkeiten noch zu wünschen übrig lassen, werden erstmal auf die Ersatzbank geschickt, da sie dem Verein sonst das Gesamtergebnis verderben. Der Chatmod, eine Art Wächter des Chats, in dem die Spieler eines Vereins sich unterhalten, bittet die Anfänger dann höflich zum Trainingslager, wo erfahrenere Zocker mit ihnen üben. Wo ein Meister gekürt wird, muss es natürlich auch Absteiger geben. Was aber nicht weiter schlimm ist, da es ab nächster Saison auch eine zweite Liga geben wird. Außerdem ist eine verbesserte Version des Spiels in Arbeit, die fehlerfreier laufen soll.