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„Repressionen gegen staatskritische Gruppen haben in Österreich Tradition“

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Der Jenaer Student Josef S., 23, saß seit Ende Januar in Untersuchungshaft in Wien. Er wurde wegen angeblicher Randale festgenommen, weil er sich den Demonstrationen gegen den rechten Akademikerball anschloss. Am Dienstag wurde er zu einem Jahr Haft wegen Landfriedensbruchs, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung verurteilt. Die Strafe wurde teilweise zur Bewährung ausgesetzt, die Haftstrafe hat er durch die monatelange Untersuchungshaft schon abgesessen. Die Festnahme sowie das Urteil sind wegen der schwachen Beweislage umstritten.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Josef S. wird in den Gerichtssaal gebracht.

Was bedeutet das Urteil für das Demonstrationsrecht in Österreich?  

Olja Alvir, 23, ist freie Journalistin in Wien. Zusammen mit Maria Zimmermann und Katarzyna Winiecka hat sie gerade das Watchblog Prozessreport gegründet. Die drei besuchen ausgewählte Prozesse und berichten an jedem Prozesstag auf ihrer Webseite sowie auf Twitter darüber. „Wir haben in Österreich eine durchgehende und unabhängige Prozessbeobachtung vermisst“, sagt sie. „Auch bei diesem Prozess habe ich den Eindruck, dass es nicht gern gesehen wird, dass über den Prozess berichtet wird. Es gibt nur 50 Plätze. Das grenzt an Verhöhnung!“  

An den drei Tagen, an denen Josef S. vor Gericht stand, war Olja im Saal. „Die meisten Mainstream-Medien sprechen von Unrecht und einem skandalösen Prozess, gleichzeitig schreiben sie aber immer nur von Gewaltexzessen und kriegsähnlichen Zuständen während der Demonstrationen und nie über die Gründe, wie zum Beispiel bei den Demos gegen den Akademikerball“, sagt sie.  

In Österreich, besonders in Wien, werde schon länger über sogenannte „Berufsdemonstranten“ und „Krawalltouristen“ diskutiert, erzählt Olja: „Es heißt dann gerne, die jungen Leute machen nichts anderes als zu demonstrieren und zu randalieren. Es wird auch über angebliche Demosöldner geschimpft, und dass viele Deutsche nach Wien kommen, um die Stadt zu zerstören. Ich empfinde das überhaupt nicht so. Sein Demonstrationsrecht wahrzunehmen ist völlig legitim“, sagt Olja. „Was in Deutschland eine ganz normale Demo ist, wo auch ein bisschen was kaputt geht, das wird in Österreich gleich als Bürgerkrieg empfunden. Mich beeindruckt es sehr, dass in Deutschland Stadtregierungen, wie zum Beispiel in Dresden, dazu aufrufen, dass Menschen gegen rechts auf die Straße gehen. Das wäre in Österreich undenkbar.“  

Politisch engagierte Österreicher fürchten, dass das Urteil gegen Josef S. ein Exempel statuieren soll, um in Zukunft ausländische Demonstranten von der Einreise nach Österreich abzuhalten. Speziell bei den Protesten gegen den Akademikerball haben sich immer viele Deutsche engagiert. „Ich glaube auch, dass Repression funktioniert“, sagt Olka. „Milde Formen der Repression - Festnahmen, ein paar Stunden in der Zelle sitzen lassen - werden in Wien sehr systematisch eingesetzt. Es gab Hunderte Anzeigen nach der letzten Anti-Rechts-Demo.“    

Welche Rechte hat man bei Demos im Ausland?  

Brigitte Hornyik ist Juristin und Verfassungsrechtlerin. Sie war ebenfalls im Gerichtssaal, als gegen Josef S. verhandelt wurde. Sie sagt: „An sich ist das Versammlungsrecht sowohl in der europäischen Menschenrechtskonvention als auch in der europäischen Grundrechtecharta ein Recht, das jedem Menschen zukommt. Allerdings können die nationalen Gesetze Einschränkungen normieren.“ In Österreich dürfen Ausländer nicht als Veranstalter oder Ordner einer Versammlung auftreten, die Teilnahme an einer Versammlung sei aber nicht auf Inländer beschränkt. Im deutschen Grundrecht ist das Versammlungsrecht dagegen auf Deutsche beschränkt.    

Was bedeutet das Urteil für die Demokratie?  

Nichts Gutes, sagr die Verfassungsrechtlerin Brigitte Hornyik, die selbst mit gegen den Akademikerball demonstrierte. „Ich frage mich als politisch engagierter Mensch, was das für unsere Ausübung der Versammlungsfreiheit bedeutet“, sagt sie. „Sollen wir ab jetzt zu Hause bleiben? Es könnte ja irgendwo eine Demo eskalieren und wir könnten allein deshalb Gefahr laufen, uns strafbar zu machen.“  

Maria Zimmermann betreibt zusammen mit Olja Prozessreport. Sie sagt: „Repressionen gegen staatskritische Gruppen haben in Österreich Tradition. Sie erinnert an den Tierschützerprozess von 2010 bis 2011 vor dem Landesgericht Wiener Neustadt. Damals wurde Tierschützern vorgeworfen, sie hätten nach damals geltendem österreichischen Strafrecht eine kriminelle Organisation gebildet und seien für mehr als 200 Straftaten verantwortlich. Die Angeklagten wurden zum Teil monatelang in Untersuchungshaft festgehalten. Später wurden sie in allen Anklagepunkten freigesprochen. Danach wurde der Paragraf über die Bildung einer kriminellen Organisation reformiert.  

Josef S. ist außerdem kein Einzelfall. Mitte August wird in Wien eine weitere Person wegen Beteiligung an den Demonstrationen gegen den Akademikerball und gegen die rechte Bewegung der „Identitären“ im Mai angeklagt. Erneut lautet der Vorwurf Landfriedensbruch. „Wir erwarten, dass es in Zukunft viele ähnliche Prozesse geben wird“, sagt Olja.    

Was soll das eigentlich mit dem Landfriedensbruch?  

„Landfriedensbruch ist gerade modern geworden in der österreichischen Justiz“, sagt Maria. Die Juristin Brigitte Hornyik erklärt: „Bis jetzt wurde die Bestimmung des Landfriedensbruchs nur ganz selten angewendet, in den vergangenen vier Jahrzehnten gab es nur wenige Entscheidungen dazu. Normalerweise kommt es im Strafrecht darauf an, dass eine Tat, die mir vorgeworfen wird, wirklich mir zugerechnet werden kann: dass ich jemanden umgebracht habe, dass ich etwas kaputt gemacht habe. Die Bestimmung über den Landfriedensbruch ist weitgehend totes Recht. Der Paragraf stellt es unter Strafe, wenn man ‚an der Zusammenrottung einer Menschenmenge’ teilnimmt. Das kann man wirklich sehr weit auslegen und damit politisches Engagement kriminalisieren.“ 

Was bedeutet das Urteil für die Antifa-Bewegung in Österreich?  

„Die Antifa-Szene in Wien war bisher sehr zerstückelt“, sagt Maria. „Es gibt viele verschiedene Gruppen, die für verschiedene Anlässe mobilisieren. Man merkt tragischerweise, dass erst durch die Repression die Szene mehr zusamenwächst.“  

Grundsätzlich falle immer mehr auf, dass Polizei und Justiz auf dem rechten Auge blind sind: „Ich müsste gut überlegen, wann sich in Österreich das letzte Mal jemand wegen rechter Gewalt vor Gericht verantworten musste“, sagt Olja. „Im Gegenteil: 2013 stürmten Mitglieder der rechtsextremen Fangruppe „Unsterblich Wien“ ein Vereinslokal, in dem sich Mitglieder einer kommunistischen Gewerkschaft und eines türkisch-kurdischen Kulturvereins aufhielten. Ein Mann wurde dabei verletzt. Aber die Täter kamen nicht in U-Haft.“

Und wie geht es weiter?  

Im Netz dauert der Protest gegen das Urteil an, vor allem auf Twitter unter dem Hashtag #FreeJosef und der Facebookseite „Free Josef #soli2401“. Unter dem Hashtag werden Szenen aus dem Gericht geschildert, vor allem die polemischen Argumente des Staatsanwalts, Vergleiche mit der Hauptfigur Josef K. aus Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ werden aufgeführt sowie Spendenaufrufe für Josef S:’ Anwaltkosten und neue Demo-Termine verbreitet.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat schon verkündet, nicht dagegen vorzugehen, Josef S. und seine Anwälte haben noch bis Freitag Zeit zu entscheiden, ob sie das tun. Die Grünen, sozialdemokratische Politiker und Amnesty International haben das Urteil inzwischen kritisiert. Brigitte Hornyik glaubt nicht, dass es in zweiter Instanz zu einem Freispruch kommen könnte. „Ich vermute, dass sich die Republik Österreich auch die Entschädigung für sechs Monate ungerechtfertigte Untersuchungshaft sparen will“, sagt sie. „Meiner Wahrnehmung nach hat man in Österreich vielleicht ein bisschen zu viel Respekt vor der Justiz. Viele glauben ein bisschen zu naiv an die Unabhängigkeit der Gerichte. Die Politik hat Einfluss auf die Gerichte. Und in Österreich sind die Rechtspopulisten nun einmal sehr stark.“  



Text: kathrin-hollmer - Foto: dpa

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