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Wo soll man anfangen, wenn ein Buch nicht nur eine Geschichte, sondern gleich zwei erzählt - und die wiederum an drei Orten? Da sind Schoschana, die früher mal Susanne hieß, und Linda, die sich selbst für hochbegabt hält und die Schule schwänzt, um Vorlesungen in der Universität zu besuchen. Vielleicht beginnt man damit, dass die beiden verwandt sind: Schoschana ist die Mutter von Linda. Zur Familie gehören außerdem ein Vater, Lindas Bruder Robby, das Nesthäkchen Pepita und die Ich-Erzählerin.
Malin Schwerdtfeger erzählt in ihrem neuen Roman "Delphi" die Geschichten einer Familie, in der jeder auf sich selbst gestellt ist. Weil der Vater Archäologe ist, lebte die Familie früher in Griechenland, jetzt in Jerusalem. Mutter Schoschana arbeitet nicht und will sich in ihrer reichlich vorhandenen freien Zeit selbst finden: Sie schließt sich einer jüdischen Sekte an, ändert ihren Namen und verheimlicht nicht nur, dass sie Deutsche ist, sondern verschweigt gleich ihre ganze Familie.
Linda und Robby verbringen die Tage zu zweit an der Universität, bis Linda mit ihrer kleinen Schwester Pepita ausreißt. Sie hält Schoschanas Veränderungen nicht mehr aus – mittlerweile gibt es zuhause nur noch koscheres Essen und Pepita wird vor dem Schlafengehen mit Desinfektionslösung abgerieben. Die Familie trennt sich, die Großeltern holen die Kinder für eine Weile zu sich nach Deutschland. Pepita und die Ich-Erzählerin wachsen an der Nordsee auf, Linda und Robby kehren nach Israel zurück und träumen von früher, als für sie die Welt noch ein riesiger Abenteuerspielplatz war. Dieser Spielplatz heißt für sie "Delphi".
Die Geschichte ist schwer in wenige Worte zu fassen – es passiert gar nichts und es passieren tausend kleine Dinge. Malin Schwerdtfeger schafft es, durch viele kleine Anekdoten – abwechselnd aus Schoschanas und aus Lindas Leben – die Veränderungen in der Familie zu zeigen. Der Roman "Delphi" nimmt einen mit auf eine Reise nach Griechenland, an die Nordseeküste, aber vor allem nach Israel. Die ständige Hitze dort, Schoschanas Fanatismus und die Unfähigkeit des Vaters, die Familie zusammenzuhalten – das alles macht die Lektüre drückend und schwer, aber deswegen auch um so besser.
Malin Schwerdtfeger zerrt an den Familienmitgliedern, bis alles in einer überraschenden Pointe endet. Dieser letzte Satz, der alles über die Ich-Erzählerin verrät, die sonst immer nur die Rolle des Beobachters einnimmt, macht, dass man das Buch sofort wieder von vorn anfangen muss und will.