Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Quatsch mit Pose

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Es riecht nach Fans. Wenn man um die Bücherregale herumgeht, hinter die Bühne, dann schlägt einem eine Wand aus Teenagerschweiß entgegen. Vor der Bühne im Münchner Hugendubel am Stachus drängen sich etwa achthundert Menschen, Jungen und Mädchen, die meisten davon nicht älter als 17. Sie alle warten auf „Y-Titty“, Deutschlands beliebtestes YouTube-Trio. Zwei der Y-Titty-Jungs signieren hier heute ihr neues Buch, „Das Buch YOLO“, das diesen Monat bei Carlsen erschienen ist.

Fanmassen im Hugendubel

Um 16:30 Uhr, eine halbe Stunde vor dem Signiertermin, sitzen Matthias Roll, 22, genannt TC, und Oguz Yilmaz, 22, genannt OG, im Büro der Buchhandlung vor einem Obstteller und signieren schon mal ein paar Bücher vor. Müde sehen sie aus und auf eine Art gut, die sofort erklärt, warum da draußen so viele aufgeregte Teenies stehen. TC blond mit softem Hundeblick, OG dunkelhaarig, erwachsener. Der Dritte, Philipp Laude, genannt Phil, ist gerade im Urlaub. TC und OG analysieren ihren Erfolg eher nebenbei, während sie ihre Namen kritzeln. Sie scheinen gar nicht richtig bei der Sache zu sein und sagen, was sie vermutlich schon tausend Mal gesagt haben. „Wir sind 2006 direkt auf YouTube aufgesprungen“, sagt TC, „Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt OG, „Wir sind sehr perfektionistisch und haben uns immer weiterentwickelt“, sagt TC. Es ist ein wenig seltsam, die beiden so pragmatisch über das reden zu hören, was sie machen. Über die Sketche und die Video-Parodien, in denen TC dauernd als Frau herumläuft, über das Buch, in dem auf einer Doppelseite riesengroß PIMMEL steht und auf zwei weiteren Sex mit Barbiepuppen nachgestellt wird. Das, was Y-Titty machen, ist schlicht: Quatsch.

Y-Titty: TC, Phil, OG (v.l.n.r)

Quatsch, den viele nicht lustig finden. Quatsch, der aber auch wahnsinnig vielen gefällt. Fast zweieinhalb Millionen Abonnenten hat der Y-Titty-Kanal auf YouTube. 2006 haben Phil und TC ihr erstes Video hochgeladen, zwei 15-Jährige, die sich mit Wasserpistolen beschießen und tragische Filmszenen mimen. Wirklich erfolgreich (was in YouTube-Maßstäben bedeutet: eine sechsstellige Abonnentenzahl erreichen) wurden sie einige Jahre später, schon mit OG im Team, mit Parodien von aktuellen Musikvideos und einer „Sitcom“ namens „Twilight – Bis(s) an die Grenzen der Liebe“, angelehnt an die berühmten Fantasy-Roman-Reihe von Stephenie Meyer und deren Verfilmungen. Vor etwa drei Jahren wurde, wie sich die Jungs anfangs nannten) begegnen musste. Bis heute hat dieses Video über siebzehn Millionen Klicks. Mittlerweile haben Y-Titty eine Produktionsfirma, aus den selbstgefilmten Clips von Jungsstreichen sind professionell gedrehte Videos geworden. Jede Woche gibt es neue Sketche, Parodien und mittlerweile auch drei eigene Singles im YouTube-Kanal. Sie haben ein Management und sind kürzlich vor 10.000 Menschen in der Kölner Lanxess-Arena aufgetreten. In der „Zeit“ sind sie die Gallionsfiguren eines Artikels über die Zukunft des Fernsehens.

Sie haben den KIKA LIVE Web Award, drei Bravo Ottos und einen Echo gewonnen. Sie leben von ihren YouTube-Filmen und von den Büchern, die sie verkaufen. Ihr erstes eigenes Album ist vor Kurzem erschienen und im kommenden Jahr ist eine Bühnentour geplant. "Wir arbeiten schon echt viel", sagt TC, "zu viel", sagt OG.

Vor einem Monitor, der die Bilder der Überwachungskamera zeigt, planen die Hugendubel-Mitarbeiter mit TC und OG den Weg zur Bühne. Mit dem Aufzug runter, dann hintenrum, sodass die Fans sie nicht schon vorher sehen. Trotzdem entdeckt ein Junge sie, er zeigt mit dem Finger hin und ruft "Ey, da sind sie!" Als TC und OG die Bühne betreten, klingt es nach Fans und sieht nach Fans aus: Die Menge kreischt und jubelt und unzählige Smartphones schnellen in die Höhe. Zwei Mitarbeiter passen auf, dass die Absperrung nicht weggedrängelt wird. Und dann geht es los. Nacheinander schieben sich die Fans nach vorn zur Bühne, für ein Autogramm und, natürlich, für ein Foto. Auf Instagram kann man live mitverfolgen, wie sich die Selfies mit dem Hashtag #YTitty mehren, im Hintergrund TC und OG, die meistens schon wieder in die nächste Kamera lächeln, das nächste Buch signieren.

 

Zwei Stunden lang signieren OG und TC "Das Buch YOLO", Autogrammkarten und T-Shirts

 

"Wir gehen konzentriert an die Sache", hat TC vorher gesagt, wie ein echter Star, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, "es freut einen total, wenn so viele Fans kommen, wir mit ihnen reden und Autogramme geben können. Und sie erwarten ja auch, dass wir gute Laune haben." Die Interaktion mit den Fans ist vielleicht das Allerwichtigste für YouTuber. Y-Titty hat sogar eine eigene Videoreihe, die sich "Kommentare Kommentier Show" nennt, und in der sie auf das eingehen, was die Fans unter ihren Filmen kommentieren. Die Fans rechnen ihnen das hoch an. "Die sind uns viel näher im Internet", sagt ein Mädchen, "die verstellen sich nicht."

 

Es ist 18 Uhr, seit einer Stunde signieren TC und OG wie wild, sie schwitzen und haben die Pullover ausgezogen. Hinter ihnen stapeln sich die Geschenke, darunter ein Kuchen mit rosafarbenen Marzipanherzen, "Y-Titty&" steht auf dem größten. Wer den Signiertisch erreicht, ist sehr aufgeregt. Vor allem die Mädchen stehen breit grinsend da, angespannt, als ticke in ihnen eine Bombe, empfangen das Autogramm, machen ein Foto. Dann schiebt der freundliche Mitarbeiter sie nach draußen. In der Sekunde, in der die Absperrung hinter ihnen liegt, explodieren sie. Sie kreischen, Freundinnen fallen sich um den Hals, schreien "Oh mein Gooott!", ungläubig starren sie auf die Signaturen, schwarze Eddingkringel in ihren Büchern. Zwei Mädchen fliehen zum Weinen hinter einen Bücherständer. "Ich kann alles von denen auswendig", "Ich habe ein Tablet und höre im Auto immer Y-Titty", "Ich verfolge das schon von Anfang an", "Ich find's einfach stark, was die sich aufgebaut haben", das sagen die Fans.

 

"50 Prozent unserer Fans sind über 18", sagt TC im Büro, "aber die kommen nicht zur Signierstunde, die kommentieren auch nicht so viel." Auf der Straße erkannt und angesprochen werden sie auch nur von den Jungen. Aber: "Wir wollen uns vom Teenie-Image distanzieren und auch ältere, ernstere Themen angehen", sagt TC, "zu ACTA haben wir damals auch was gemacht." "Wir sind selbst ja auch nicht mehr 16 und was wir lustig finden, finden auch Leute in unserem Alter lustig", sagt OG. Alles, was sie sagen, klingt eine Spur zu abgebrüht, zu professionell, kein Lächeln, kein Scherz. So wie sie da sitzen, könnten sie auch zwei Ex-Kandidaten einer Castingshow sein. Aber, und das ist das Schöne an der Geschichte: Ihren Erfolg haben sie sich selbst zu verdanken. Sie haben verstanden, wie das Internet funktioniert und wie die Köpfe all derer, die mit dem Smartphone statt mit der Fernbedienung in der Hand aufgewachsen sind. Und sie haben sich dieses Wissen nicht aneignen müssen, sondern sind selbst hineingewachsen. Das, gepaart mit viel pubertärem Humor, einer extrem niedrigen Schamschwelle und drei smarten Jungsgesichtern, ergibt zweieinhalb Millionen Abonnenten, zwei Bücher, ein Album, Chartplatzierungen und Preise. Es ergibt eine Karriere.

 

Viele Fans hinterlassen eben auch ein bisschen Chaos

 

Nach zwei Stunden sind alle Fans versorgt. Bücher und Zettel liegen auf dem Boden, die Masse hat manche Warentische im Gedränge einfach abgeräumt. Die letzten Fans bekommen noch eine Bro-Fist von TC und OG, dann verschwinden die beiden wieder im Büro, lassen sich mit dem Fazit "schön, aber anstrengend" erschöpft auf die Stühle fallen. Auf Instagram kann man danach noch den ganzen Abend neue, verwackelte Bilder sehen, die glückliche Münchner Teenager hochladen.

 
  • teilen
  • schließen