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Puppe & Detektivausweis: Die ältesten Dinge der Redaktion
So eröffnete noplacespecial Anfang Mai das Label Älteste_Dinge: "... als ich letztens lust auf so richtig alte musik hatte, da fiel mir mein alter kassettenkoffer ein. ich schaute ihn durch und erschrak, was ich damals hörte. doch weitaus interessanter war eigentlich, in welchen jahren ich diese musik hörte. wie lange das schon her ist. und dass es erstaunlich ist, dass ich diese kassetten immer noch besitze. und nicht nur diese. man hat so viel alten scheiß. klar, von manchem trennt man sich über kurz oder lang, doch andere sachen, die schleppt man jahrzehntelang mit sich herum und weiß gar nicht genau, warum. zeit für eine rundschau."
Eine Auswahl von ältesten Dingen aus dem Älteste_Dinge-Label.
Die jetzt.de-Redaktion hat nun auch zu Hause gekruscht und beschreibt hier auch ihre ältesten Dinge:
1. Die Puppe
Ich erinnere mich nicht, wann ich Puppi zum ersten Mal in den Händen hielt. Sie war einfach immer da. Meine Oma muss sie in meinen ersten Lebensmonaten für mich genäht haben. Sie ist eine von dieses waldorfartigen Stoffpuppen, die eigentlich ziemlich ausdruckslos aus der Wäsche schauen. Sie hat nämlich bloß zwei blaue, gestickte Punkte, dort wo die Augen sitzen und einen roten Punkt, dort wo der Mund sitzt. Ihre blonden Wollhaare sind raspelkurz und ihr Kleidungsstil ist seit jeher burschikos, das war mir schon als Kleinkind wichtig. Ich weiß nicht einmal mehr, wie es zu ihrem äußerst phantasievollen Namen kam, vielleicht war es der notwendige Ausgleich zu meinem. Puppi war meine beste Freundin, mein Kind, meine Seele. Um sie zu retten, wäre ich sogar in ein lichterloh brennendes Haus gerannt, das habe ich ihr jeden Abend vor den Zubettgehen geschworen. Sie hat alles mit mir durchgemacht, diverse Umzüge, schlechte Noten, den ersten Rausch und die erste große Liebe – auch wenn sie dafür zeitweise aus dem Bett in den Kleiderschrank umziehen musste. Im Grunde sieht sie heute furchterregend aus, beinahe wie eine Wasserleiche. Ihr Gliedmaßen hängen nur noch an dünnen Fäden und ihre ausgeblichene Stoffhaut ist abgewetzt. Weil ich nie gezögert habe, sie meinen Spielszenarien anzupassen, ist sie übersät von dreckigen Farbflecken. Mal malte ich ihr mit dem Kajal meiner Mutter Sommersprossen ins Gesicht, mal pinselte ich ihr blaue Flecken aufs Knie. In ihrem Gesicht finden sich dunkelrote Spuren, die so etwas wie der Versuch gewesen sein müssen, ihr Lippenstift aufzutragen. Schon so einige meiner Freundinnen und Freunde von mir sind in den letzten Jahren bei ihrem Anblick erschrocken zurückgewichen. Deshalb wohnt sie derzeit wieder im Kleiderschrank, eingepackt in einen dicken, selbstgestrickten Schal. Schrecklich eigentlich. Ich muss sie bald einmal zu meiner Oma bringen. Vielleicht kann sie ein paar Rehabilationsoperationen an ihr vornehmen.
Mercedes Lauenstein
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2. Der Schreibtisch
Ich bin vor zehn Jahren von zu Hause aus- und seitdem drei Mal umgezogen, zuletzt erst vor ein paar Wochen. Mein Möbel-Repertoire habe ich seitdem ziemlich umgekrempelt – nur ein weißes, ziemlich schweres Möbel aus massivem Holz ist alle Wege mitgegangen: mein Schreibtisch.
Wir sind jetzt seit etwa 23 Jahren ein Team. Ungefähr zu der Zeit als ich eingeschult wurde, kamen Herr Schmidt und Herr Klein mit ihren Meterstäben und Werkzeugkisten in mein Kinderzimmer, um es von meinen Kindergartenmöbeln zu befreien. Sie schreinerten mir eine Schrankwand, ein größeres Bett – und einen Schreibtisch, den sie „einen echten Erwachsenenschreibtisch“ nannten. Ich glaube nicht, dass sie damals ahnten, wie viel Wahrheit in ihrer Betitelung tatsächlich lag.
Damals war der Tisch mir viel zu groß, ich musste wie in einen Pulli erst hineinwachsen. Heute muss ich meinen Bürostuhl fast bis zum Anschlag herunterfahren, damit meine Knie darunter passen.
Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich den Tisch noch habe. Er ist schließlich kein wertvolles Erbstück und auch nicht so wunderschön, dass ich es nicht fertigbringen würde, ihn gegen einen neuen auszutauschen. Es ist eine andere Art von Verbundenheit: Fast alle wichtigen Arbeiten meines Lebens habe ich an diesem Schreibtisch verfasst: Bewerbungen, meine Magisterarbeit, meine Facharbeit fürs Abitur. Mein letztes Uni-Referat ist dort ebenso entstanden wie das erste Referat, das ich in der Grundschule im Fach Heimat- und Sachkunde halten musste. Der Schreibtisch hat vier Computer kommen und gehen sehen, neben dem ersten Rechner stand noch ein kleines piepsendes Modem. Mein Schreibtisch ist eine Konstante, er ist schon so lange da, dass er mittlerweile fast wie ein Körperteil zu mir gehört. Passenderweise scheinen sogar unsere Alterserscheinungen demselben Rhythmus zu folgen: Beim letzten Umzug habe ich festgestellt, dass die Farbe an manchen Stellen schon ziemlich abgewetzt ist und die Maserungen des Holzes dort stärker durchscheinen als anderswo. Und bei mir sieht man an manchen Stellen ein bisschen mehr Kopfhaut als früher.
Christian Helten
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3. Das Tigerentenkissen
Es war ein Geschenk meiner Oma, ich glaube, ich war acht Jahre alt: Ein Kissen, leuchtend rot, mit einer aufgestickten Tigerente, festgehalten vom kleinen Bären und der Unterschrift von Janosch. Seit diesem Tag begleitet mich mein Kissen so gut wie jede Nacht. Egal wie voll der Reisekoffer ist, dieses Schlafutensil muss mit. Bei langen Zugfahrten lege ich es unter meinen Kopf auf den Tisch im Vierersitz, die denkbar bequemste DB-Schlafposition. Dabei ist es durchaus empfehlenswert auf der Rückseite des Kissens zu schlummern – es sei denn, man nimmt eine Art Abziehbild der Tigerente auf seiner Wange in Kauf. Herzlose Kritiker nannten mein Kissen schon „Sabberfluddel“ und „Bazillenschleuder“. Dabei verstehe ich es durchaus, dass es hin und wieder zu einer Radikalvernichtung aller Bakterien kommen muss und wasche bei 90 Grad. Leider verliert es dann jedes Mal ein wenig an Flauschigkeit und auch an Farbe, aber es wird dadurch nicht weniger wert. Ich befürchte, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich mich von meinem Kissen trennen muss. Spätestens, wenn der Nickistoff durchgelegen ist oder das Thema Design im Schlafzimmer Einzug hält. Aber diesen Abschied zögere ich im Moment noch hinaus.
Mira Kleine
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4. Der Detektivausweis
Die Gründung eines Detektivclubs gehört unbedingt zu den Dingen, die man als Junge bis achten Lebensjahr absolviert haben muss. In meinem Fall gab ein lange ersehnter, sog. Detektivkasten zu Weihnachten den Ausschlag. Am ersten Weihnachtsfeiertag hatte ich sämtliche Fingerabdrücke meiner Familie in unserer Wohnung mittels Eisenpulver sichtbar gemacht. Am zweiten Feiertag hatte ich meine kleine Schwester als Phantombild zur Fahndung ausgeschrieben. Danach gründete ich mit meinem Kumpel Vali den Detektivclub. Wichtigste Aufgabe war das Herumtragen eines Detektivausweises. Die Blankoform für den Ausweis lag auch in dem Kasten, ich bat meinen Vater, sie für mich auszufüllen, weil ich ahnte, dass meine Krakelschrift der Seriosität des ganzen nicht dienlich war. Unser Club hatte auch einen Namen, der ein kompliziertes Konstrukt aus unseren Vornamen war, außerdem brachten wir uns eine Geheimsprache bei, falls wir abgehört wurden. Worin genau unsere Ermittlungsarbeiten bestanden, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, aber wir hatten viel zu tun, zum Beispiel beschatteten wir einen ganzen Nachmittag lang ein verdächtiges Auto. Der Detektivclub wurde nie offiziell aufgelöst, er besteht auf dem Papier also bis heute und der Detektivausweis war mir immer so wichtig, dass er bis heute in meiner Nähe ist. Er liegt in einer kleinen geheimen Kiste oben auf dem Schrank. So geheim, dass ich sie nicht gleich finde, aber hey: Sicher ist sicher.
Max Scharnigg