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Produktbiografie: Meine Geldbeutel

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1. Ein schreckliches Kind

Ich war ein schreckliches Kind, weil ich mich mit Händen und Füßen gegen das Kindsein gewehrt habe. Statt draußen Fußball zu spielen, spielte ich drinnen Büro, malte mir Visitenkarten und verschickte Memos im Haus. Mit glitzernden Augen hielt ich deswegen auch das billige, braune Kunstleder-Portemonnaie in den Händen, das mir eine Verwandte geschenkt hatte. Es war damals üblich, dass ältere Nachbarn und Verwandte aus dem Dorf mir bei Besuchen Dinge mitbrachten, für die sie keine Verwendung mehr hatten. Das Schönste an dem Portemonnaie war der kleine, goldene Aufdruck „Fabricas Amerika, Pedro P. Diaz S.A.“ an der Innenseite. Sofort warf ich meine Knax- und Micky Maus-Beutel in den Müll und kramte mein Geld stets aus dem braunen Erwachsenen-Portemonnaie, wenn ich nach der Schule beim Bäcker anstand, um mir Süßigkeiten zu kaufen.


2. Das neue Ich

Es begann die Zeit des Erwachsenwerdens, mein Körper veränderte sich und ich tauschte das Interesse an Süßigkeiten vom Bäcker gegen den Wunsch nach Aufmerksamkeit von Mädchen. Eine neue Geldbörse sollte meinen kommenden Lebensschnitt einläuten. Während eines Londonbesuches mit meiner Mutter betrat ich den Flagshipstore des Surfaustatters und Sportmodenherstellers O’Neill, es lief Fatboy Slims „Rockafeller Skank“ und ich verliebte mich in eine blaue, sportliche Geldbörse mit großem Herstellerlogo. So sollte mein neues Ich sein: international, Surfertyp, musikalisch immer up to date. Die Mädchen würden auf mich fliegen. Ich musste meine Mutter nicht einmal lange überreden, mir das Portemonnaie zu kaufen.


3. Rückzug ins Private

Die Jahre flogen dahin. Jeden Nachmittag stieg ich in den Schulbus und zeigte meine Fahrkarte hinter dem O’Neill-Sichtfenster vor, aber Mädchen und Surfertypen interessierten sich trotzdem nicht für mich. Irgendwann durfte man schließlich "Portemonnaie" auch "Portmonee" schreiben und ich beschloss, dass wer sich nicht verändert, stehen bleibt. Ich verabschiedete mich von meinem Londoner Souvenir und besorgte mir eine neue Möglichkeit zur Geldaufbewahrung, diesmal nicht aus London, sondern aus einem Einkaufszentrum in Oberhausen. Welches Lied dabei lief, weiß ich nicht mehr. Man mag das einen Rückschritt nennen, aber auch der bewahrt einen ja vor dem Stillstand. Und immerhin war das Logo dezenter, das Symbol der Marke Quiksilver, ohne Schriftzug.


4. Ewige Wiederkehr

Vor ein paar Wochen ist der Reißverschluss des Kleingeldfachs kaputtgegangen, seitdem fallen mir in der Kantine beim Bezahlen immer Münzen in die Soße. Ich wollte das Teil sowieso austauschen, aber ich brachte es bisher nicht übers Herz. Wäre das nicht Hochverrat an der eigenen Pubertät gewesen, jetzt einfach nichts mehr mit Quiksilver und Surferboyträumen zu tun haben zu wollen? Beim Tragen dieser neumodischen, engen Jeans hat das dicke Portemonnaie natürlich schon gestört. Immer hatte ich eine Beule in der Hose. Beim Ausgehen ließ ich das Portemonnaie gleich zuhause, aber mit Kleingeld in der Hosentasche tanzt es sich auch nicht so gut. Ich habe jetzt erst mal das alte Kunstlederding wieder rausgekramt, als provisorischen Ersatz. Es wirkt zumindest seriös, vielleicht behalte ich es. Ein Kleingeldfach hat es nicht, technisch gesehen habe ich also nichts damit gewonnen, dass ich im Alter von 22 Jahren wieder auf mein allererstes Portemonnaie zurückgegriffen habe. Aber auch sich im Kreis zu drehen, bewahrt einen vor Stillstand. Könnte ja diesmal klappen mit den Mädchen.

Text: lars-weisbrod - Illustrationen: Jakob Wakolbinger

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