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Post aus New York (2)

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Meine erste Woche in New York ist verstrichen. Der Flug von München nach New York war sehr amüsant. Im Flugzeug war eine chassidische Reisegruppe. Zuerst musste ich meine Sitznachbarin aufklären, dass diese Männer in Kaftan und Pelzmütze keine bösen Absichten hegen, sondern brav und tugendhaft sind. Als sich die chassidische Reisegruppe, die zu einem Grossteil aus Übergewichtigen (ha! Das erste Amerikaklischee) zusammensetzte, hörte ich die Stewardess sagen, als die Chassiden in den hinteren Teil des Flugzeuges verschwanden, um zu beten: "Mein Gott, Norbert, komm, die Crew geht mal besser nach vorne, sonst wackelt das Flugzeug wieder so". Außerdem war im Flugzeug auch noch eine Dame, die mich ansprach: „Oh, Sie sind doch Dana Brüller. Sie müssen nicht wirklich bei Bobbi wohnen, oder?" Aber ja. Nach der Landung beschloss ich, die U-Bahn zu nehmen, um zu meiner Gastmutti Bobbi zu gelangen. Im Reiseführer stand, dass die U-Bahn keine vermüllte, graffitibeschmierte Konservendose mehr sei, sondern eher so eine Art mobiler Spa mit besonders entspannter Atmosphäre. Nun ja, der Reiseführer hat etwas übertreiben. Aber man gewöhnt sich ja an alles. Ich habe die ersten Tage hier bezeichnenderweise den Hiob-Roman Joseph Roths gelesen. Er handelt von einem Juden namens Mendel Singer, der aus einem galizianischen oder russischen Dorf nach New York kommt: „Die wahnsinnige Eile, in der sie jetzt dahinrasten, weckte zwar einen Wind, aber es war ein heißer Wind, der feurige Atem der Hölle. Statt zu kühlen, glühte er." Nachdem ich mit meinem 50-Kilo-Koffer ein paar Stunden durch Brooklyn geirrt bin, fand ich Bobbis Haus. Bobbi wohnt in einem sehr beeindruckenden neo-neoklassizistischen Bau der Jahrhundertwende. Ihre Wohnung hat sechs Zimmer, deren Wände in wasserabweisenden Pastellfarben gestrichen und deren Räume mit absurden Antiquitäten vollgestopft sind. Bobbi selbst ist, naja, außergewöhnlich. Sie trug eine Jogginghose und einen türkisen Poncho. Sie begrüßte mich überaus enthusiastisch, ganz im Gegensatz zu Mitbewohnerin und Mitpraktikantin Valentina, die nach drei Sekunden zum Joggen ging. Ich schlafe im Wohnzimmer auf einer alten Couch neben unbenutzten Fitneßgeräten, solange Valentina noch hier ist. Den nächsten Tag habe ich mit Bobbi und diversen Supermärkten verbracht. Das nächste Klischee: Ich habe ungefähr mein Wochenbudget für ein bißchen Salat ausgegeben. Bobbi machte sich derweil nicht mehr die Mühe, ihr Businessoutfit zu tragen. Jetzt hat sie immer schmutzige Nachthemden an. Ich bin aber gewarnt, denn es heißt, sie kann durchaus auch noch weniger Stoff am Körper tragen. Das ist ein bisschen problematisch, denn sie ist extrem übergewichtig. Deshalb habe ich auch all ihre Süßigkeiten auf einem sehr hohen Küchenschrank versteckt. Bobbi war mir sehr dankbar, aber jetzt bestellt sie sich halt Eis. Außerdem isst sie zum Frühstück vier Lammsteaks und als Snack ein Kilo Lachs. Bobbi hat auch mehrere hundert Gläser mit den verschiedensten Medikamenten. Valentina hat einmal gesehen, wie sie sich ihre Tagesration Synthetikvitamine in eine Müslischüssel geschüttet hat und das ganze Zeug wie Popcorn vorm Fernseher gegessen hat. Valentina und ich sind dennoch verwundert, dass es Bobbi gelungen ist, zu unserem Hauptgesprächsthema zu avancieren. Und schon wieder ein Klischee: Bobbi möchte, dass ich in die Welt hinaus gehe und allen erzähle, dass es auch in diesem weiten, fremden Amerika Menschen gibt, die George W. Bush nicht mögen. Sie schien ein bißchen enttäuscht, als ich ihr sagte, dass das doch eh alle wissen.

Donnerstag war mein erster Praktikumstag. Ich wurde ein bisschen herumgeführt, Leuten vorgestellt, deren Namen ich sofort vergessen habe undsoweiter. Mein Supervisor heisst Hermann (Hörmän) und kommt aus Wien. Er ist sehr charmant und trägt Vollbart und eine gemusterte Fliege. Er müsste eigentlich seit hundert Jahren tot sein, so altmodisch erscheint seine Spezies. Später habe ich ein bisschen im Archiv herumgestöbert. Es war hochinteressant, denn ich fand ein paar alte und durchaus entzückende Korrespondenzen von Einstein, Goethe, Schnitzler und Freud. Die ersten paar Tage habe ich ein paar stupide Praktikantenjobs aufgehalst bekommen, aber jetzt darf ich endlich eine eigene Sammlung bearbeiten. Sie heißt „Collection Reiss Family" und scheint auf den ersten Blick ganz interessant. Es waren allerhand Dokumente und Auszeichnungen dabei, aber auch viele Manuskripte, Tagebücher etc. Ich finde es sehr schön, dafür geschätzt zu werden, in anderer Leute Privatleben herumzuwühlen. Es ist wie Gala-Lesen beim Frisör, nur irgendwie akademisch. Valentina hatte mit ihrer Sammlung wenig Glueck. Sie bearbeitete den Nachlass eines Oekonomieprofessors. Leider hatte er nicht nur diverse Geliebte neben seiner Ehefrau, sondern auch einen ziemlich ueblen Fetisch. In einigen Kisten sammelte er hunderte von Bildern, auf denen nackte Frauenbeine abgebildet waren. Valentina ekelte sich besonders vor denen, die schon zusammengeklebt waren. Kurzum: Sie bekam Alptraeume von ihrer Sammlung. Sie sortiert im Moment noch ein paar Korrespondenzen. Gerade stoss sie einen Schrei aus. Sie hatte mal wieder eine richtig eklige Haarstraehne gefunden. Das Arebitsklima im Institut ist sehr ungewoehnlich. Ich fühle ich mich hier sehr deutsch-effizient. Ich war ein bisschen beunruhigt, als ich gesehen habe, dass der ganze Betrieb doch anders funktioniert als die Betriebe, die ich kenne. Für die meisten ist der Arbeitstag eine grandios ausgedehnte Kaffeepause. Valentina hat mir aber versichert, dass ich mich schnell daran gewöhnen werde, den größten Teil der ohnehin nur siebenstündigen Arbeitszeit zu vertrödeln. Wenn man eine Zusammenfassung der Geschehnisse des letzten halben Jahres bei Gute Zeiten Schlechte Zeiten denn unbedingt als Vertrödeln betrachten will. Das bisher lustigste Ereignis geschah gestern. Ich musst zu M.B., dem Sicherheitsbeauftragten des jüdischen Geschichtszentrum, in das mein Institut integriert ist, um meine ID-Karte abzuholen. M.B. – Uniform, Schnauzbart, imposante Statur - nimmt seinen Job sehr ernst. Ich musste mich zuerst auf einen Plastikstühl in der Ecke setzen. M.B. machte ein Foto. Dann musste ich meine Unterschrift auf so eine komische Tafel setzen. Darauf folgte ein viertelstündiger, teils dialogischer Vortrag zum Thema „Alles was irgendwie mit Sicherheit zu tun hat". Ich erfuhr, dass ich bei Feuer erst an der Tür die Temperatur erfühlen soll. Dann sagte M.B., ich soll nur durchs Treppenhaus flüchten, wenn der Qualm nicht zu dicht sei. Sollte er zu dicht sein, werde ich „da nie wieder lebendig rauskommen". Dabei deutete er mit dem Zeigefinger auf mich. Falls mir die Evakuierung gelinge, müsste ich M.B. aber auf alle Fälle Bescheid geben, denn er wolle nicht, „dass wegen mir da oben ein Feuerwehrmann stirbt". Zudem wurde auch ich zu einer Art Sicherheitsbeamtin befördert: „Wenn Sie einen Mann mit einem Mantel sehen, der diesen Mantel trägt, obwohl es geheizt ist, und der zudem nach Ammoniak riecht, dann: RENNEN SIE DAVON, SO SCHNELL SIE KÖNNEN!" -„ja. Definitiv." „Wissen Sie, warum?" -„ja. Er ist sicherlich gefährlich." M.B. nickte zufrieden, zeigte erneut mit dem Zeigefinger auf mich und antwortete sehr langsam; er dehnte jeden einzelnen Vokal: „Er hat eine Bombe." -„Bomben riechen nach Ammoniak?" „Ja. Bomben riechen definitiv nach Ammoniak". Als ich kichernd wieder (mit der neuen ID-Karte in der Hand natürlich) an meinen Schreibtisch zurückkehrte, haben Valentina und ich uns überlegt, wozu wir den nächsten Praktikanten zwingen werden. Er wird auf die Frage bezüglich des Mannes im Mantel antworten: „Ja, Mr. B. Ein Exhibitionist." Das Institut liegt mitten in Manhattan. Das ist sehr nützlich, denn man kann seine Mittagspausen mit Creamcheesebagels und Schuhgeschäften vorzüglich gestalten. Ansonsten ist die Stadt (Klischee, schon wieder) genau so, wie sie auf Ansichtskarten aussieht. Die Häuser sind hoch und schön, aber es ist nicht zutreffend, dass man den Himmel nicht sehen könnte. Er ist halt nur nicht so blau. Ich habe Halsschmerzen von dem ganzen Dreck in der Luft, aber jetzt habe ich ein neues Wundermittel mit dem wunderbaren und zutreffenden Namen EMERGEN-C. Bobbi hat es mir empfohlen.

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