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Poetry Slam: Wie Julian den U20-Slam in Berlin gewann
Julian Heun kann gut schwäbeln, sächseln und, tja, wie soll es heißen: türkeln. Der 18-jährige lässt seine Kunstfigur Terkan sprechen: „Und wenn jemand sagt, ich fick Deine Mutter, dann box’ ich ihn tot, sofort.“ Der Gymnasiast sagt „sch“ statt „ch“ und im „Sofort“ fehlt das „r“. Vor ihm sitzen sehr viele Leute und hören zu. Am Ende der fünfminütigen Vorstellung trampeln und jubeln sie – wie es sich nach einem guten Lyrikvortrag gehört, jedenfalls beim Poetry Slam. Der Berliner Admiralspalast ist fast ausverkauft, mehr als 1600 Männer und Frauen meist jungen Jahrgangs füllen das Parkett und die beiden Ränge des Theaterbaus mit dem Kristallüster an der Decke. Sie alle locken die Deutschen Meisterschaften im Poetry Slam, genauer der Wettbewerb für alle unter 20, der U20-Slam. Seit zehn Jahren gibt es deutsche Meisterschaften, seit vier Jahren ein Extra-Turnier für die Noch-Nicht-Twens. Die Poetry Slam Regeln gelten aber für alle: Ein Autor betritt die Bühne, dort hat er fünf Minuten Zeit seinen Text zu lesen, zu schreien, zu singen oder zu rappen, er muss die Publikumsjury erreichen, soll sie erheitern, ihren Horizont erweitern, zum denken, weinen oder schweigen bringen. Der Poet mit den meisten Punkten gewinnt - daher auch Poetry Slam, Dichterschlacht. „Ich bin durch meinen Schüler Julian auf Poetry Slams aufmerksam geworden“, sagt Lehrer Roland Jerzewski, einer der wenigen Zuschauer jenseits des 20. Geburtstags. Er hat sich gerade mit einem ebenfalls ergrauten Mann unterhalten, Julians Vater, Manfred Heun. „Ich habe Poetry Slam vor 10 Jahren in New York kennengelernt“, erzählt der, ebenfalls Lehrer. Er befindet sich im Unruhestand, zum einen, weil sein Sohn gleich auftritt, zum anderen, weil er als Pensionär gerade eine Vertretung in einem Gymnasium macht. Was gefällt ihm am Poetry-Slam? „Es bringt junge Leute zur Literatur, führt sie dazu, Texte auzusprobieren.“ Gibt es da literarische Vorbilder, die Weimarer Salons, wo Goethe und Schiller parlierten? „Naja, deren Texte waren nicht für den Vortrag gedacht, oder die Performance, wie es hier beim Slam heißt.“ Aber dann fällt ihm ein: „Nun, der Minnesang im Mittelalter, das war vielleicht auch schon ein Poetry Slam.“ Dann betritt Wehwalt Koslovsky für eine Ansage die Bühne, der 34-jährige gehört zu den ersten Slammern Deutschlands, gründete 1996 in Düsseldorf einen Poetry Slam. Nun reist er durch Deutschland als „Performance Poet“ wie er selbst sagt. Er gibt Seminare für Lehrer und Schüler, schreibt einen Roman und arbeitet als Slammaster – wie heute beim Deutschlandfinale des U20 Slam in Berlin. Julian Heun kennt er persönlich, er coachte den Jungen schon einmal für einen Workshop. Julian muß gleich ans Mikro, als zweiter, zehn Slammer werden noch folgen, der Startplatz ist undankbar. Auch beim Eiskunstlauf haben es die ersten am schwersten – die Jury hat ihr Maß meist noch nicht gefunden. Julian erzählt seine düstere Vision von Berliner U-Bahnhöfen und Untergrundfahrten. Er fragt: „Wo führt das alles hin?“ Dann beschreibt er Stationen, die vollgekotzt sind, von denen er angepisst und angeekelt doch nicht den Blick wenden kann und wo er sich seine Figur Terkan zusammenreimt, die das Publikum zum Lachen bringt.
Julian in Aktion
Er lässt Terkan über den Sinn des Leben sprechen: „Seit ich nicht mehr in die Schule gehe, ist alles bestens, ich mache mein Ding, Alter.“ Julians dunkle Hochdeutschstimme verlagert sich vom Gaumen in den Rachen, das „ch“ wird zum weichen „sch“ und Alter beendet fast jeden Satz. Terkan kriegt alle Ladys, „die Pussys liegen mir zu Füßen, ich weiß, wie sie ticken…tick, tack…Alter.“ Dann fragt Julian nach fünf Minuten, woraus denn mehr Glück schiene, „aus Terkans groben Grinsen oder meiner miesen Miene?“
Julians "Dankeschön" nach fünf Minuten geht fast unter im donnernden Applaus. Auch die Jury gibt hohe Noten, Julian ist auf Platz Eins. Doch die Konkurrenz ist hart, es folgen noch zehn weitere Poeten, der Komplimentemacher Robert Stripling aus Hannover mit seinen Liebesgedichten zum Beispiel, oder der 17-jährige Raffael, er rappt gegen Coca-Cola, seine 11-jährige Schwester rumst den Rhythmus dazu: Eine Little-Sister-Human-Beatbox.
Doch auch er erreicht nicht die Punktzahl Julians, das schafft keiner mehr.
Beim der Siegerehrung steht schließlich der ganze Admiralspalast und der Julian nimmt seinen Preis entgegen: Am Donnerstag schon schickt ihn das Goethe-Institut nach San Francisco, zu einem Literatur-Festival.
Julian kann sein Glück noch gar nicht fassen, beim Backstage-Interview erzählt er dann ganz leise vom ersten Slam – das war Januar 2007. Und von seinen Vorbildern, „Christian Kracht“, dessen Roman „1979“ mag er besonders und dann wäre da noch bereits erwähnter Wehwalt Koslovsky, bei ihm hat Julian Workshops genommen: „Meine Schule wollte das nicht machen.“ Also fuhr er zu einer anderen, die das angeboten hatte. Möchte er mal von Literatur leben? „Weiß nicht“, sagt er und geht jetzt: „Erstmal feiern.“ Eine Zeitung hatte vor zwei Tagen eines seiner Gedichte gedruckt.
Und Herr Jerzewski? Mosert ein wenig: „Der Julian hat heute noch gar nicht alles gebracht.“ Er kennt ihn schon seit der achten Klasse: „Er war immer ein stiller, mit viel Sprachgefühl und einer tollen Stimme – ich habe ihn Walter Benjamin bei Matineen vortragen lassen – beeindruckend.“ Nun wird Lehrer Jerzewski auch Poetry Slam im Unterricht einsetzen – „der Julian hat mich angesteckt – und das rockt – definitiv.“
Text: mathias-hamann - Foto: Autor