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Oh schaurig ist's in den Keller zu gehn

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Die Tiefgarage

Tapp, tapp, tapp – da war es wieder. Schritte, ganz klar. Ich hielt die Luft an, um mich auf das Geräusch zu konzentrieren, meine Finger krampften um den Autoschlüssel. Langsam drehte ich mich in der Tiefgarage um, in der meine Eltern einen Stellplatz gemietet haben. Nicht so eine mehrstöckige Tiefgarage wie in der Stadt. Diese hier war nur auf einer unterirdischen Ebene, man betrat sie durchs gleiche Tor wie die einfahrenden Autos, es gab auch bloß ungefähr 20 Plätze. Bayerische Provinz eben. Hier drin war es wie in einem schlechten Zombiefilm: Immer flackerte eine Neon-Leuchte, all der Krempel, den die Leute hier an den Wänden stapelten (Kinderräder, Schlauchboote, Holzschlitten etc.), warf komische Schatten, es war kalt. Und dann jedes Mal dieses Schritte-Geräusch, jahrelang hatte ich Angst, dass mich gleich jemand von hinten überwältigt und mir an die Gurgel springt. In wilden Paranoia-Anfällen malte ich mir aus, dass hier unten jemand lebt und immer flieht, wenn ein Autobesitzer den Betonbunker betritt. Ich wappnete mich innerlich für den Überfall, spannte peinlich Muskeln an. Überhaupt vermied ich es irgendwie, das Auto meiner Eltern dort zu holen.

Eines Tages hatte ich genug und brüllte „Komm raus!“ Nichts passierte, todesmutig suchte ich die ganze Garage ab. Als Waffe trug ich eindrucksvoll eine volle Pet-Flasche Limo in der rechten Hand. Dann ging auch noch das Tor zu und kurz danach das Licht aus. Ich stand ganz allein im Dunkeln, mir war schlecht vor Angst. Horror! Absolute Versteinerung. Dann ging das Licht wieder an, ein Auto fuhr herein, kurz nachdem der Fahrer geparkt war, sah ich es: Das Geräusch kam von einem Laub-Äste-Dreckhaufen, der durch den Luftzug der Belüftungsanlage, die kurz nach der Toröffnung startete,  in einem Eck vor eine Säule elend langsam im Kreis rollte. Dabei machte es: „Tapp, tapp, tapp.“

michele-loetzner



Das Hexenhaus

Als ich elf Jahre alt war, zogen wir in eine Vorortsiedlung. Inmitten der eintönigen Reihenhaus-Architektur stand ein von wilden Gewächsen und wucherndem Efeu eingeschlungenes Häuschen. Es war schmaler und dunkler als die anderen Häuser, ein spitzeres Dach hatte es auch und es lag viel tiefer im Garten als seine Nachbarhäuser. Mitten im Garten stand ein düsterer Steinofen, der mich schaudern ließ. Ohne, dass ich es wollte, überfiel mich beim Vorbeigehen an diesem Haus eine furchtbare Vision: Hier wohnte eine Hexe und sie hatte es ausgerechnet auf mich abgesehen. All die Jahre hatte sie nach meinem Fleisch und Blut gesucht und Schicksalsflüche in den Himmel gesandt, die mich finden und ihr ausliefern sollten. Nichtsahnend waren wir nun hierhergezogen und ab jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mich endlich in die Finger bekam. Würde ich auch nur ein einziges Mal zu langsam an der Pforte vorbeigehen, käme innerhalb von Sekunden ein langer krummer Finger aus einem Gebüsch geschossen und zerrte mich über das Grundstück direkt ins Haus hinein, wo die bucklige Hexe mich aus lilafarben rotierenden Spiralaugen anglotzen würde und gleich darauf lachend und krächzend beginnen würde, Zaubertränke an mir ausprobieren. Irgendwann würde sie mich in den Ofen stecken und verbrennen, denn nur aus meiner Asche könnte sie die Geheimzutat für ihr Lebenswerk, den Trank der Allmacht, gewinnen.  

Ich versuchte, mit aller Vernunft gegen die Bilder in meinem Kopf anzukämpfen, aber es half nichts, sie blieben. Ich wechselte fortan auf der Höhe des Hexenhauses immer die Straßenseite, was bescheuert ausgesehen haben muss, weil es dort keinen Gehweg gab und ich früher oder später wieder zurück auf die andere Seite musste. Noch Jahre später, als ich im Dunklen von Partys nach Hause kam, ging ich lieber lange Umwege durch andere Straßen, als am Hexenhaus vorbeizumüssen. Ich sagte mir zwar immer wieder, dass meine Ängste Unsinn waren. Aber ich wollte die Sache dennoch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wer weiß denn schon, welche Dinge uns wirklich umgeben? Ich wusste vor allem eines: Ich wollte diese Welt unter keinen Umständen als Rauch aus dem Ofen einer Vorstadt-Hexe verlassen.

mercedes-lauenstein

Die Kühlkammer

Ich bin im Forstamt aufgewachsen und das war eigentlich genauso schön wie es klingt: viel Platz, viel Wald, viele Tiere. Manche davon waren allerdings tot. Denn in unserem Keller nahmen die Jäger die Rehe und Hirsche und Wildschweine, die sie erschossen hatten, auseinander. In der „Wildkammer“, so hieß der weiß geflieste Teil unseres Keller mit von allen Seiten aus leicht geneigtem Boden und einem Abfluss für das Blut in der Mitte, hingen die Kadaver an Haken, damit man sie aufschneiden konnte. Der Raum war hell, er hatte Fenster, es wurde emsig gearbeitet darin, er war okay für mich (auch wenn ich den Geruch toter Tiere nicht so besonders mochte). Gruselig war allerdings der dazugehörige Raum daneben, eine Art riesenhafter Tresor mit schwerer Tür und – natürlich – ohne Fenster: die Kühlkammer. Darin wurden die toten Tiere, ebenfalls hängend, gelagert, damit das Fleisch reifen konnte, bereits ausgenommen und ohne Gedärme, aber noch mit Fell und leeren Augen. Darin wurde allerdings immer wieder auch Getränke gelagert. Und ich, als jüngste von drei Töchtern, bekam hin und wieder den Auftrag, doch bitte ein paar Biere aus dem Keller nach oben zu bringen.  

Ich habe das nie zugegeben, man will ja kein Feigling sein, aber ich hatte Angst vor der Kühlkammer. Vor dieser schweren Tür, an der innen ein Warnschild angebracht war, dass man sie von Innen nicht schließen dürfe, „Erstickungsgefahr!“ Vor der Dunkelheit. Vor dem Geruch und den Haken an der Decke. Ich hatte immer dieses Bild vor Augen, wie ich ein Bier herausholen will und dann fällt die Türe zu und ich muss ersticken. Im schlimmsten Fall auf einem Kasten zwischen toten Tieren sitzend, von denen man nicht weiß, was sie tun, wenn sich die Tür schließt. Vielleicht glühen die toten Augen dann, vielleicht schlagen die toten Hufe. Darum machte ich die schwere Tür (die von selbst zufiel, aber nie ins Schloss, dafür musste man sie schon mit Kraft bewegen - und außerdem gab es natürlich einen Notknopf) immer so weit auf, wie es ging, rannte bis in die Ecke der Kammer, wo die Getränkekisten standen, griff die Flaschen und rannte wieder hinaus, bevor die Tür sich so weit geschlossen hatte, dass kein Licht mehr in den Raum fiel. Dann schloss ich sie mit einem Ruck. Es sollte bloß alles da drin bleiben, was drin war, und nicht etwa nachts im Keller herumgeistern.

nadja-schlueter


Der Galgen im Garten  

Das Galgenhaus kannte jeder an meiner Schule. Dabei musste man, allein um den Galgen zu sehen, schon Hausfriedensbruch begehen: Den Riegel des Gartentors zur Seite schieben, durchs hüfthohe Gras an dem leerstehenden Bungalow vorbei stapfen, auf die Rückseite. Dort waren der Teich und die Terrasse. Und genau auf halber Höhe zwischen Teich und Haus stand der Galgen. Er sah ganz klassisch aus, wie der Galgen eines Hängemännchens: ein drei Meter hoher senkrechter Eisenträger, ein waagrechter Träger, eine Querstrebe. Und vorne dran hing, unmissverständlicher geht es nicht, ein braun-vermodertes Kletterseil, das zwei Meter über dem Boden abgeschnitten war.

Das Haus  stand leer, solange die Erinnerung meiner ältesten Schulfreunde zurückging – ich selbst war erst kurz zuvor in den Ort gezogen. Ein Freund hatte gehört, der Besitzer des Hauses habe seine Frau ermordet. Und danach in tagelanger Arbeit den Galgen auf die Terrasse gebaut, den Fuß fest im Boden betoniert, die Querstreben verschweißt, um sich schließlich daran zu erhängen. Seitdem spuke es in dem Haus, weshalb es auch seit Jahren keinen neuen Besitzer fände.  

Wir waren in diesen Jahren, angefeuert von „Fünf Freunde“-Büchern, eigentlich ständig auf der Suche nach geheimen Gängen, Schätzen und generell Geheimnissen aller Art. Wir klopften die Kellerwände unserer Elternhäuser ab, um dort gegebenenfalls versteckte Tunnel zu entdecken. Aber an das Galgenhaus trauten wir uns nicht heran. Es war zwar der einzige Ort in unserer Umgebung, der tatsächlich ein dunkles, böses Geheimnis in sich trug – aber das erschreckte uns schon wieder zu sehr, um noch Lust auf Detektivspiele zu haben.

Wir beließen es dabei, zweimal pro Sommer als Mutprobe in den Garten einzubrechen und mit eiligen Schritten und angehaltenem Atem auf die Rückseite des Hauses zum Galgen zu gehen. Das letzte Mal, das ich den Garten mit dem Galgen besuchte, trat ich vor Aufregung im hohen Gras daneben und landete bis zur Hüfte im modrigen Teich. Wir liefen schreiend zurück zur Straße

Bis heute weiß ich nicht, was wirklich in diesem Haus geschehen war.

jan-stremmel

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