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Nieder mit dem Deko-Zipper!
Es gibt natürlich Dinge, die brauchen einen Reißverschluss. Gewisse Jacken, viele Rucksäcke, einige Taschen, manchmal auch Geldbeutel, Federmäppchen, Schlafsäcke. Und es gibt ganz bestimmt auch Schuhe, die einen Reissverschluss brauchen. Zur Zeit aber haben sehr viele Kleidungsstücke, insbesondere Damenschuhe, die nicht gerade Slipper oder Chelsea-Boots sind ist, zwanghaft Reißverschlüsse, die sie in 90 Prozent der Fälle eben überhaupt und um alles in der Welt nicht brauchen. Am eindrücklichsten zeigt sich die aktuelle Reißverschlussisierung der Mode an Schuhwerk, das von Natur aus nicht für den Einsatz eines Reißverschlusses gedacht ist: Schnürstiefel, derbe Boots, weite Stiefel. Insbesondere Schnürschuhe (S-c-h-n-ü-r, wohlgemerkt, nicht R-E-I-ß-Schuh!), findet man derzeit kaum mehr ohne einen solchen schmalen Plastikreißverschluss auf der einen Seite, wie er vor einigen Jahren noch ausschließlich hautengen Lack- und Lederstiefeln im Fetisch-Shop vorbehalten war.
Schon klar, so ein „total praktischer" und „quasi unsichtbarer" Reißverschluss (so müssen die Gedanken des Designers sich ungefähr abgespielt haben) soll das Einsteigen erleichtern und somit vielleicht die Verkaufsquote steigern, denn wer hat heutzutage schon noch Zeit, einen echten Schuh wie einen echten Schuh zu behandeln und sich zum Schnüren zu bücken? Eben! Sehr praktisch also, so ein Reissverschluss. Leider sieht er aber auch genau so aus: Nix Halbes, nix Ganzes, der Inbegriff des faulen Kompromiss.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Pest: Überflüssige Reißverschlüsse.
Es ist zu einer seltsam-unreflektierten modischen Pflicht im Segment Mode- und Massenschuhwerk der Preisklasse 19,99 Euro bis 150 Euro geworden zu sein, überall völlig wahllos Reißverschlüsse dran zu heften. Ob man sie nun wirklich betätigen kann oder nicht, wird dabei offenbar auch zunehmend wurscht – hauptsache man kann irgendwo „mit Reißverschlussdetail" hinschreiben. Denn die Sache beläuft sich ja nicht nur auf Schuhe: Oberteile aus Jersey kriegen seit einigen Jahren immer häufiger hinter einen völlig nutzlosen vier Zentimeter langen Reissverschluss in den Nacken genäht, der dem Oberteil wohl etwas Abendgarderobenhaftes andenken soll. Hosen, oder noch viel bescheuerter: Leggings, bekommen unten an den Knöcheln links und rechts zwei goldene Reissverschlüsschen eingesetzt und kein Mensch weiß, wozu. Mäntel bekommen gleich zwei, oder drei Reihen Reissverschlüsse als Dekorelement aufgesetzt, Handtaschen auch, und wenn es sich dabei überhaupt um einen echten Reissverschluss handelt und nicht nur um einen halben, findet sich dann dahinter nicht mal eine echte Tasche, und sei sie noch so schmal. Oder diese Hosen mit Reissverschlusstaschen. In der Achterbahn, auf Safari oder beim Bungeejump wären sie sicherlich unwahrscheinlich sinnvoll – beim Joggen vielleicht auch noch. Aber ansonsten reichen doch bitte sehr ganz normale offene Taschen! Immer öfter sieht man in Einkaufspassagen auch Stiefelchen, bei denen der Reissverschluss offen steht und auch gar nicht dazu gedacht, ihn jemals wieder zuzuziehen. Denn dahinter wartet ein niedliches oder apartes farbiges Muster, oder, und das ist dann der Nonsense-Overkill: ein Gummizug, der den Reissverschluss gänzlich überflüssig macht.
Keine Ahnung, womit diese Massenreissverschlussisierung begonnen hat. Vielleicht ist es ein simpler Nebeneffekt der derzeitigen Versportlichung der Mode, in der alles gemütlich, bequem, praktisch sein soll und darf und auch die sonst stilvollsten Leute plötzlich in Nike-Light-Air-Fight-Trainern vor die Tür gehen. Vielleicht aber, zumindest beim Thema Schuh, war auch der Siegeszug des Acne Pistol-Boot Modells vor fünf, sechs Jahren der Auslöser für den Reißverschlusswahn: Ein schwarzer Frauenschuh aus weichem, aber festem, sattem Leder, gut vernäht, ein wenig Absatz, sehr reduziert, Grundform Cowboystiefel nur ohne den ganzen Westernschnickschnack - aber halt mit einem leicht verdeckten Reißverschluss mit langem Lederband an den Außenseiten, was damals noch ungewöhnlich und schön war. Irgendwas muss bei der Massenrezeption dieses Designs dann schief gelaufen sein, denn seither sind tausendfach schlechte Kopien des Stiefels auf dem Markt und sie eint vor allem: Der Reißverschluss. Es ist, als hätten sich die Schuhdesignabkupferer der Welt gedacht: Na sieh mal einer an, die Leute wollen alle diesen Schuh mit dem Reissverschluss an der Seite! Kein Problem, haben wir im Angebot, haben wir eh noch viertausendmillionenfuffzig auf Lager, die dringend wegmüssen, zack, da machen wir jetzt einfach mal an jeden Schuh einen dran, Schnür-, Winter-, Cowboy-, Sandalenschuh, EGAL!, wir habens ja! Raus damit!
Vielleicht das größte Missverständnis in der Geschichte des Schuhdesigns.
Es ist ja generell eine Pest, wenn irgendwo nur um der Deko willen wahllos rumdekoriert wird. Nur ist es leider bei Reißverschlüssen eben immer so besonders offensichtlich und dämlich. Reissverschlüsse ohne Funktion sind wie Fahrräder mit Stützrädern oder Motorantrieb, wie künstlich verblichene oder zerschnittene Jeans von Ed Hardy oder wie Rockershirts mit Nieten bei Zara. Wie Band-T-Shirts bei H&M, wie Fastfood ohne Fett und Fleisch, wie Abenteuer ohne Risiko. Ein immer nur Aussehen-wollen-wie, aber kein echtes Sein, ein ewig faules Verkleiden, kein echter Style, keine Konsequenz.
Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Yinfinity