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Nie wieder Bewerbungsmappen?

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Der Lebenslauf ist Quatsch, findet Elli Sharef. Erstens, weil er zum Schwindeln und Tricksen und Schummeln einlädt, zum Hochstilisieren von Rucksackreisen zu Meilensteinen der Karriere. Zweitens, weil ein Lebenslauf zwar die großen Stationen einer Laufbahn knapp und übersichtlich in ein vergleichbares Raster staucht – aber genau dort einen großen blinden Fleck hat, wo es um das geht, was ein Unternehmen wirklich braucht, wenn es einen neuen Mitarbeiter sucht: Erfahrung und Können, also eher luftige Kategorien, die sich oft nur ungenügend in Abschlüssen und Zeugnisnoten messen lassen.  

Elli Sharef ist 27 und kam auf ihre Idee, als sie bei McKinsey arbeitete und dort immer wieder feststellte: Wo immer mehr Bewerber immer aufgeblähtere Lebensläufe nach dem Schrotflintenprinzip verschicken, haben Personaler ein Problem. Sie müssen sich durch immer größere Berge von Bewerbungen graben, um geeignete Kandidaten zum Gespräch einzuladen – bei dem sich dann oft innerhalb von Minuten herausstellt, dass ein Kandidat nur auf dem Papier für den Job geeignet schien. Aber die Rucksackreise eben doch nur eine Rucksackreise war.  

Sind Stapel von Bewerbungsmappen tatsächlich ein Phänomen der Vergangenheit?

Vor ein paar Tagen hat Sharef der New York Times erklärt, dass sich auf dem modernen Arbeitsmarkt beide Seiten – Bewerber und Personaler – etwas verfahren hätten: Einerseits brächten viele Bewerber von der Universität nicht die praktischen Fähigkeiten mit, die Unternehmen heute brauchen – andererseits würden diese immer mehr nach "lila Einhörnern" suchen, wie Sharef sie nennt. Also Überqualifizierten, die sofort einsatzfähig seien, möglichst ganz ohne Einlernphase. Man müsse sich heute auf dem Arbeitsmarkt immer mehr beweisen, mit Praktika und Probearbeiten, sagt Sharef.  

Genau deshalb hat sie ihren Job bei McKinsey gekündigt und mit einigen Kollegen eine Website gegründet, die den Lebenslauf überflüssig machen soll. Sie heißt HireArt.com und hat gerade ihren ersten Jahrestag gefeiert. Auf der Website können sich Menschen nicht bloß um Jobs bewerben – sie können ihre Eignung dafür gleich von zu Hause aus unter Beweis stellen.  

Sucht ein Unternehmen einen Kandidaten für einen Job, schickt es HireArt die Jobbeschreibung. Sharef und ihre Kollegen bauen daraus einen Test, der praktische Aufgaben für genau diesen Job simuliert. Möchte sich jemand für einen Job als Marketingdirektor bewerben, muss er zum Beispiel einer fiktiven Sportartikelfirma einen Marketingplan mit einem vorgegebenen Budget erstellen. Insgesamt vier Fragen muss er beantworten, manche davon per Videoaufzeichnung, zum Beispiel die Verkaufsstrategie. Rund 30 Minuten Zeit gibt es für jede Aufgabe. Personalexperten von HireArt bewerten dann den Test und stellen dem Unternehmen nur die aussichtsreichsten Kandidaten vor.  

Elli Sharef, Mitgründerin von HireArt.com.

Auf diese Weise sollen auch Bewerber eine Chance haben, deren Lebenslauf klassischerweise in der Masse an Bewerbungen untergehen würde – zum Beispiel, weil sie ein halbes Jahr arbeitslos waren. Umgekehrt verspricht HireArt den Unternehmen, schon vorab einen Einblick in die Persönlichkeit und Arbeitsweise eines Kandidaten zu bekommen. Und offenbar hat Sharef mit ihrer Idee einen sogenannten Nerv getroffen: Über 150 Firmen von Novartis bis Ebay haben bisher Jobs über Sharefs Website vergeben. Begeisterte Personaler bezeugen in Kommentaren, sie sparten sich mit dem Dienst hunderte Stunden sinnloser Bewerbungsgespräche, in denen "schon nach fünf Minuten" klar sei, dass der Kandidat nicht der richtige sei.  

Ein paar Stunden Arbeit für die vage Aussicht auf ein Bewerbungsgespräch – diese Idee gefällt nicht jedem. Einer der häufigsten Vorwürfe lautet: Die Online-Probearbeit kann genauso leicht frisiert werden wie ein Lebenslauf. Denn natürlich kann niemand kontrollieren, dass den fiktiven Marketingplan auch wirklich der Bewerber selbst erarbeitet hat. Außerdem beklagen einige Kritiker, Firmen könnten ihren potenziellen Bewerbern über den Test Ideen klauen, ohne sie dafür zu entlohnen. Hinzu kommt, dass die Bewerbung per Videoaufzeichnung natürlich so ziemlich das Gegenteil ist von der Idee der anonymisierten Bewerbung, die die Vergabe von Jobs unabhängig von Hautfarbe, Alter und Geschlecht machen sollte.  

Der häufigste Kritikpunkt zu Elli Sharefs Idee ist aber ein anderer: Wer sich für einen Testjob auf ihrer Website anmelden will, wird gleich im ersten Dialogfenster aufgefordert, ein Dokument hochzuladen. Es ist, natürlich: ein Lebenslauf. Ganz ohne geht es eben doch nicht.

Text: jan-stremmel - Foto: Mister-Vertilger / photocase.com, HireArt.com

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