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Nachtleben, Hipster, Leberwurststullen

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Tobias Rapp: Lost and Sound. Berlin, Techno und der Easyjetset (2009)

Welches Berlin lernen wir kennen?
Das „Berlin der nuller Jahre“, den Nabel der Minimal- und Technowelt. Dort wird gefeiert wie nirgends sonst, dort ist man international wie nirgends sonst, dort ist es spannend wie nirgends sonst.
Worum geht’s?
Um eine Analyse der Mechanismen, die Berlin zu diesem Techno-Zentrum gemacht haben. Rapp widmet sich nicht nur dem Berlingefühl, das junge Leute aus aller Welt in die Stadt lockt, er verliert sich nicht nur in Anekdoten vom Tresen der Panorama-Bar oder über Party-Reisende beim Kaffee auf der Kastanienallee. Er widmet sich auch den Zahlen und wirtschaftlichen Faktoren dahinter. Er spricht mit Nachtlebengrößen und DJs, er interviewt Hostel-Experten, zitiert Statistiken, erläutert Stadtentwicklungspolitik und arbeitet aus all dem Entwicklungen heraus. Ein bisschen geht es allerdings auch immer um den Autor selbst und darum, wie unglaublich tief verwurzelt er selbst in der Szene ist und wie saugut er all diese tragenden Säulen der Berliner Clubszene kennt.
Welche Klischees werden bedient?
Keine und alle. Rapp beobachtet und recherchiert, deswegen tauchen auch all die Klischees auf, die es über das Berliner Nachtleben gibt. Eben weil sie nicht nur leere Klischees sind.
So ist’s: Ein treffendes Porträt des Berghain-Watergate-Bar25-Berlins, das in dieser Form zum Teil schon wieder Geschichte ist.
Typischster Satz:
Lieber kein Satz, sondern eine Kapitelüberschrift: „Strukturwandel der Rave-Öffentlichkeit“.
Berlin-Hintergrund des Autors:
Tobias Rapp ist kurz nach der Wende nach Berlin gezogen und hat die Entwicklung Berlins und seiner Techno-Szene selbst miterlebt. Er hat als Musikredakteur bei der taz gearbeitet, bevor er zum Spiegel wechselte.
Was will man nach der Lektüre machen?
Auch Party-Journalist werden, ein paar Jahre lang durchfeiern und dann ein erfolgreiches Buch schreiben.
Gesamtnote: 2

christian-helten


Ansgar Oberholz: Für hier oder zum Mitnehmen? (2012) 

Welches Berlin lernen wir kennen?
Hat jetzt bestimmt noch nie jemand was von gehört, aber: Das gastronomische Leben der digitalen Bohème mit all seinen Facetten!
Worum geht’s?
Um die zahlreichen Tücken der Gastronomie, vor allem wenn man wie der höchstvisionäre Protagonist vorher in einer Werbeagentur gearbeitet hat. Außerdem natürlich um das freakshowmäßig zusammengewürfelte Einwohner-Ensemble Berlins: Die Kellnerin, die lieber Schauspielerin wäre, „Nerds“ mit Kapuzenpulli und digitalen Visionen, an Geister glaubende Putzfrauen mit Akzent, der indische Koch, der überall Kreuzkümmel reintun will, jede Menge Junkies und natürlich urige Typen wie Klamotte: in Berlin geboren, zu Ostzeiten zum Handwerker und Klempner ausgebildet und ein „Schweizer Taschenmesser für Gastronomen“. Achso, und natürlich: um die mythenumrankte Geschichte des Oberholz-Gebäudes, das als "Aschinger Bierquelle" schon in Döblins „Berlin Alexanderplatz“ auftauchte.
Welche Klischees werden bedient?
Berlin ist eine Freakshow! Es menschelt, wie es nur in einer Stadt mit bewegter Geschichte menscheln kann. Was einem da alles begegnet: alte Gemäuer, WLAN, Milchschaum, tragbare Computer! Egal ob kreatives Prekariat oder einfach gestrickte Urberliner: In dieser Stadt hat man noch Träume und um sie zu verwirklichen, hält man zusammen.
Typischster Satz:
„Den Verkaufspreis meiner Werbeagenturteile hatte ich in eine Straßenbahnfahrt investiert, und mit meinen abgebrochenen Studiengängen würde ich keine Festanstellung erlangen, die mir derartige Spielräume eröffnen würde. Worauf hätte ich warten sollen?“
Berlin-Hintergrund des Autors:
Ansgar Oberholz kommt aus Aachen, lebt aber seit mehr als 20 Jahren in Berlin. Hat Mathe, Physik, Forensik und Psychologie zumindest angefangen zu studieren und bis zur Eröffnung des Oberholz als Werber und Modelagent gearbeitet. Treibt sich privat vermutlich in den einschlägigen Berlin-Mitte Kreisen rund um Rafael Horzon herum - nur das würde erklären, warum genau dieser ihm das genauso platt wirkende wie großzügig gemeinte Zitat „Das spannendste Buch, das ich je gelesen habe“ verliehen hat.
So ist‘s:
Das unspannendste Buch, das ich je gelesen habe. Mit Ausnahme einiger kleiner historischer Passagen rund um die Geschichte des Rosenthaler Platzes.
Was will man nach der Lektüre machen?
Die Zeit zurück, die man sich für die Lektüre genommen hat, und sich im Falle einer beruflichen Erfolgsgeschichte niemals in den Kreis derjenigen einreihen, die diese gleich in Romanform veröffentlichen. Außerdem: In Anbetracht Berlins selbst ernannter digitaler Elite hart daran arbeiten, ein kulturoptimistischer Mensch zu bleiben.
Gesamtnote: 5

mercedes-lauenstein


Airen: Strobo (2010)

Welches Berlin lernen wir kennen?
Die dunkleren Ecken des Berliner Nachtlebens. Schwulenbars mit Pornos auf großen Leinwänden, Schöneberger Puffs, Drogenumschlagplätze am Kottbusser Tor, die Darkrooms im Berghain.
Worum geht’s?
Airen feiert sich durch Berlin, tagelang, ohne Pause, er nimmt von Gras bis Heroin alles, was er kriegen kann. Tagsüber arbeitet er in einer Unternehmensberatung. Es geht um Drogen und Sex. Um hemmungsloses Feiern ohne Grenzen und Scham, um die Suche nach absolutem Glück, um Momente voller Euphorie und die erbärmlichen Stunden voller Ekel und Selbsthass nach dem Aufwachen am Morgen danach, der eigentlich schon wieder Abend ist.
Welche Klischees werden bedient?
Schwule haben ständig Sex auf Toiletten. Egal, was du für ein Riesen-Freak bist, im Berghain morgens um 10 gibt es immer jemanden, der noch verrückter ist.
So ist’s:
In erster Linie erschreckend. Ein bisschen unglaublich. Aber irgendwie auch sehr faszinierend
Typischster Satz:
„Ich stehe in einer dunklen Toilettenkabine, es ist sauheiß und ich schwitze, vor mir kniet der Schatzmeister eines ostdeutschen Finanzverbands und wartet darauf, dass ich ihm in den Mund pisse. Keine Ahnung, wie es zu dieser Situation gekommen ist.“
Berlin-Hintergrund des Autors:
Airen, der seinen Klarnamen nicht Preis gibt, kommt eigentlich aus Oberbayern. Nach Berlin ging er nach seinem Studium für einen Job in einer Unternehmensberatung. Mittlerweile lebt er in Mexiko.
Was will man nach der Lektüre machen?
Jedenfalls erst mal nicht ins Berghain gehen.
Gesamtnote: 2

christian-helten


Johanna Adorján: Meine 500 besten Freunde (2013) 

Welches Berlin lernen wir kennen?
Das Berlin der Selbstdarsteller
Worum geht’s?
Um frustrierte Journalistinnen, gestresste Filmstars, gechasste Künstler – kurz gesagt: um das gesamte Kreativpersonals der Hauptstadt, in 13 Geschichten. Sie alle versuchen, nach außen etwas darzustellen, Erfolg zu haben, anderen zu imponieren und sich dabei selbst nicht zu verlieren. Das geht natürlich meistens schief und ist ziemlich deprimierend.
Welche Klischees werden bedient?
Berlin ist oberflächlich. Kreative sind oberflächlich. Vorne wird gestreichelt, hinten wird gebissen. Jeder kennt und jeder hasst jeden und tut alles für die eigene Karriere, ohne Rücksicht auf Verluste.
So ist’s:
Die Pointen der Geschichten sind oft ziemlich plump und die Frauenfiguren fast allesamt unerträgliche Zicken auf High Heels. Aber das Buch eignet sich trotzdem ganz gut als schnell-weglesen-Lektüre für lange Zugfahrten. Bonus: Es sieht sehr schön aus und fühlt sich toll an (geprägter Leineneinband!).
Typischster Satz:
„Auf den BH zu verzichten, hatte sie wieder aufgegeben, da die Nachteile deutlich überwogen hatten.“
Berlin-Hintergrund der Autorin:
Johanna Adorján wurde zwar in Stockholm geboren und ist in München aufgewachsen, lebt aber seit vielen Jahren in Berlin.
Was will man nach der Lektüre machen?
Dringend echte Freunde treffen und mit ihnen an den See fahren. Und nie-, nie-, niemals im Journalismus arbeiten.
Gesamtnote: 3

nadja-schlueter


Kristin Oieng: Bitte. Nicht. Drängeln. Ein Stadtführer für Misanthropen (2013) 

Welches Berlin lernen wir kennen?
Das Berlin der Schlechtgelaunten und das derer, die für die schlechte Laune anderer sorgen.
Worum geht’s?
Um nervige Mitmenschen. Die in der U-Bahn die Leberwurststulle aus der Tupperdose holen und schmatzen. Die den Gang im Zug schon 15 Minuten vor der nächsten Haltestelle verstopfen. Die Rollkoffer hinter sich herziehen. Um Zweite-Reihe-Parker. Einen Frutarier-Mitbewohner, der mit dem Küchenhandtuch der Autorin Saftkleckse wegwischt. „Bezaubernde Damen“ in Pelzmänteln, die sich an der Wursttheke vordrängeln. Die „Schwitzenden, Keuchenden, Röchelnden“ in Wartezimmern. Die mit den Schildern, auf denen steht: „aus fremder Schuld in Not geraten.“ Touristen mit Currywurstschälchen. Schnarchige Burger-Braterinnen. Straßentrommler.
Welche Klischees werden bedient?
Berlin ist billig und voll, der Berliner (vor)laut und unfreundlich, weil die Wahrscheinlichkeit, sich noch mal zu begegnen, gering ist.
So ist’s:
Anstrengend. Die Autorin beschreibt sehr aufmerksam Szenen, die jeder aus dem Alltag kennt, zum Beispiel wenn ein selbst ernannter Reiseführer sehr überzeugt erklärt: „Und das ist der Fernsehturm, echte Berliner nennen ihn Alex.“ Dem Ganzen fehlt allerdings die Struktur, was auch an den sehr vagen Kapitelüberschriften wie „Die Hauptstädter“ liegt. Auch wenn man bei manchen Szenen schmunzelt und ja, Ironie und überhaupt, das Buch macht trotzdem schlechte Laune. 
Typischster Satz:
„Hinter der Theke arbeitete eine junge Frau von guter Gesundheit, wie es schien, ihr Gang war flüssig, ihre Nase sauber, beide Hände einsatzbereit. Keine äußeren Anzeichen für eine Erkrankung. Bis auf die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegte.“
Berlin-Hintergrund der Autorin:
„Wahlberlinerin“. Kristin Oeing kommt aus Bremerhaven und lebt seit fast vier Jahren in Berlin.
Was will man nach der Lektüre machen?
Die Autorin umarmen. Ganz fest. Wenn sie nicht in der Nähe ist: einsame Hütten auf Cabinporn.com bestaunen.
Gesamtnote: 4-

kathrin-hollmer


Julian Heun: Strawberry Fields Berlin (2013)

Welches Berlin lernen wir kennen:
Das Berlin der frustrierten Existenzen, die ihren Frust an anderen auslassen.
Worum geht’s:
Um den Boulevardjournalisten Schüssler, einen Unsympathen wie er im Buche steht, der skrupellos um Erfolgsstorys ringt, und den Jungspund Robert, der seiner großen Liebe nach Indien hinterher reist und in einer Hippiekommune nicht nur Harmonie, sondern auch seine eigene Wut kennenlernt.
Welche Klischees werden bedient:
Berlin teilt sich in Hipster und Hipsterhasser. Dazwischen gibt es nichts, außer vielleicht junge Mütter mit Sportkinderwägen.
So ist’s:
Relativ lange versteht man nicht so recht, was das mit den parallel geführten Geschichten soll, bis einen am Ende der ausgebuffte Clou überrascht. Das macht Spaß. Ansonsten sind die Szenen, in denen aktiv etwas passiert, toll – die Passagen, in denen die Protagonisten über sich und Hipster und was nicht alles reflektieren dafür umso ermüdender und vollgestopft mit sprachverliebten Neologismen.
Typischster Satz:
„Und mein Berlin ist nur im Sommer erträglich, wenn der hässliche Zeitungsverkäufer kurz glücklich ist und aus Versehen grüßt, die Stadt aufquillt, sich bis an die Stadtrandseen erweitert, die Gehsteige zu kleinen Wohnzimmern werden und jedes Getränk doppelt so gut schmeckt [...].“
Berlin-Hintergrund des Autors:
Julian Heun wurde in Berlin geboren und ist auch dort geblieben, heißt: studiert jetzt da. Und wurde bereits zwei Mal zum Berliner Poetry-Slam-Meister gekürt. Reicht wohl alles in allem, um ein Buch zu schreiben, in dem diese Stadt eine wichtige Rolle spielt.
Was will man nach der Lektüre machen:
Pauschalurlaub.
Gesamtnote: 2

valerie-dewitt


Ju Innerhofer: Die Bar (2013)



 Welches Berlin lernen wir kennen:
Das drei-Tage-wach-Berlin und das Berlin der arroganten Partygänger, die alle, die sich nicht ständig in ihren Kreisen bewegen, für langweilige, unerfahrene Idioten halten.
Worum geht’s:
„Die Bar“ ist ein (von der „Bar25“ inspirierter) Club, der einem Märchenland gleicht und in dem die Ich-Erzählerin (studierte Medizinerin) arbeitet. Die Trauer ist groß, denn dies ist der letzte Sommer der Bar. Also alle noch mal schnell die Wochenenden durchfeiern, sich Zeug in die Nase ziehen und überlegen fühlen! Doch dann kündigt sich noch ein zweites, wesentlich tragischeres Ende an.
Welche Klischees werden bedient:
Nirgendwo kann man so gut feiern und ungestört Drogen konsumieren wie in Berlin.
So ist’s:
Dreiviertel des Buches wird überhaupt keine Geschichte erzählt, sondern (leider ziemlich erfolglos) versucht, die Atmosphäre des Clubs heraufzubeschwören. Das Ganze mündet dann im letzter Viertel in einer „Leaving Las Vegas“-mäßigen Story, die einen aber ebenfalls völlig kalt lässt, weil die Autorin es nicht schafft, sie einem nahe zu bringen. Stattdessen erklärt uns die Ich-Erzählerin oberlehrerhaft ihre Partywelt. Unsympathisch.
Typischster Satz:
„Es ist heiß und schwül. Trotzdem habe ich mir hautenge schwarze Lederimitat-Hosen angezogen, schließlich ist es als Barfrau unmöglich, eine Schicht ohne verschütteten Alkohol oder Spritzer von klebrigen Fruchtsäften zu überstehen.“
Berlin-Hintergrund der Autorin:
Ju Innerhofer lebt als Journalistin und Autorin in Berlin und hat dort selbst vier Jahre in Clubs gearbeitet. Da sie vorher auch noch Humanmedizin studiert hat, sind die Parallelen zu ihrer Ich-Erzählerin mehr als deutlich.
Was will man nach der Lektüre machen:
„Tatort“ gucken und Kamillentee trinken. Aus Trotz.
Gesamtnote: 4-

nadja-schlueter

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