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Na bunt?
Es lief so: Meine Socken sind heute, selbst im Vergleich zu sonst, sehr bunt, und der Kollege S. hat in der Konferenz deshalb im Brusttrommel-Ton gesagt, er wolle, dass ich aufschreibe, warum ich die trage. "Das wird geil!", hat er auch noch gesagt. Und Kollegin L., die eine Affinität zu Gefühligem ohne aktuellen Aufhänger hat, pflichtete eifrig bei. Und schon hatte es mich erwischt: 4000 Zeichen über "Warum bunte Socken?" also.
Das ist aus zwei Gründen problematisch: Erstens habe ich keine Ahnung von Mode. Und zweitens kenne ich die Antwort auch für mich selbst nicht. Also habe ich zunächst gelogen, um aus der Nummer rauszukommen. Die Sockenschublade heute: leer wie die Allianz-Arena wenn der TSV spielt. Letzte Fußbekleidungsbastion deshalb der grell gescheckte Buntstrumpf. Dieser Ausreden-Kram eben. "Ich und mit Mode etwas aussagen wollen", sollte das hilflos suggerieren, "das ja nun wirklich nicht – Freunde der Sonne."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Aber das ist natürlich Unsinn. Nicht-Kommunikation ist schließlich unmöglich. Niemand kann mit irgendetwas nichts aussagen. Gerade bei Klamotten. Das gilt auch für den vermeintlich Desinteressierten, der mit zwei im Wechsel ausbeulenden Hosen eben signalisieren will, dass ihm Trends und Äußerlichkeiten nichts bedeuten (innere Werte und so). Es gilt für den Outdoor-Jacken-Träger mit festem Schuhwerk ("Die Work-Life-Balance fängt bei mir an, sobald ich den Stift fallen lasse."), die Flanell-Hemden, die die Cobain-Jünger einst trugen ("Am liebsten würde ich einsam in der Wildnis leben – aber die Gesellschaft lässt das ja nicht zu."), die tiefhängenden Skater-Hosen oder die Loafer der Preppys.
Was das aber nun für mich und meine Socken heißt, wusste ich nicht. Und noch weniger wusste ich, warum ich sie erst trage, seit die jüngste Trendwelle fast verebbt ist. Also habe ich recherchiert. Und seither kann ich zumindest sagen: Ich habe das Grauen gesehen! Es versteckt sich, je nach Stoßrichtung, hinter Überschriften wie "Bekenn’ Farbe", "So treiben Sie’s kunterbunt", "Komm raus, du schrille Socke" oder "Kein Mut ist im Schuh". Ruckedigu!
Bunte Socken, so sagen es die Kritiker in ihren Texten, würden von ihren Trägern als "das letzte Abenteuer des domestizierten Mannes" empfunden, als "verzweifeltes Aufbäumen in einem konformen Umfeld". Tatsächlich handele es sich jedoch um "Teilzeit-Rebellion" und sei darin in jedem Falle "ein feiges Fashion-Statement". Die Befürworter wiederum sprechen von weitreichender Akzeptanz für Farbe und Muster und von Dingen, die man inzwischen ruhig wagen könne, um mit Konventionen zu spielen. Leider benutzen sie dabei oft Adjektive wie "peppig" oder "frech".
Die Rettung brachte erst ein Satz aus dem Cicero: Herrenmode, heißt es da, sei "keine Mode". Das klingt seltsam und ist brillant. Herrenmode lebe nämlich tatsächlich von ihrer Zeitlosigkeit. Ein Anzug ist ein Anzug, ein Hemd ein Hemd. Einreiher, Zweireiher? Großes Revers, kleines Revers? Banal. Entscheidend seien nur die Details – Verarbeitung, Material, Accessoires, Farbe. Herrenmode ist damit wie Pop-Musik: die Logik, die Mittel, die Mechanismen sind bei beidem immer gleichgeblieben. Für Rebellion sind beide höchstens eine Schrecksekunde lang geeignet. Seit geraumer Zeit ist die Geschichte außerdem auserzählt. Und das ist bei beidem nicht tragisch. Es bleibt nämlich: Neuauflage, Rekombination und Überbetonung. Vor allem Überbetonung. Als ich diese Parallele verstanden habe, verstand ich meine Socken:
Sie sind wie ein Kanye-West-Song, ein Jack-White-Gitarrenriff oder die Zeile "Du bist verhaftet wegen sexy": ein bisschen blöd, ein bisschen irritierend, ein bisschen altbacken. Man könnte das alles auch anders produzieren, spielen oder ausdrücken. Wahrscheinlich wäre es auch dann gut. Bunte Strümpfe funktionieren wie eine gute Pop-Produktion: Sie sind jeder Form von Konventionsbruch unverdächtig und selbst als Zeichen auch nur scheuer Blasiertheit sehr bedingt geeignet. In der richtigen Kombination freut sich aber trotzdem jeder drüber. Mehr ist nicht dran. Ich war trotzdem überrascht von der Tragweite.
Text: jakob-biazza - Foto: dpa