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Musikunterricht 2.0?
Das Cello zwischen den Knien, den Bogen in der Hand – und im Blick kein Notenständer, sondern ein Laptop. Die Saiten schwingen, die Takte laufen im vorher eingestellten Tempo über den Bildschirm, und plötzlich werden die grün eingefärbten Noten rot. Weil man sich verspielt hat. Sieht so die Zukunft des Musikunterrichts aus? Laut den Leipziger Informatikstudenten Ron Gastler und Jérôme Comouth schon: In einem vom Europäischen Sozialfonds und von der Bundesregierung geförderten Projekt entwickeln sie eine Software, die Musikschülern beim Üben wie ein Mentor zur Seite stehen soll. Anstatt auf einen „analogen“ Lehrer zu hören, der auf eine falsche Körperhaltung, fehlendes Rhythmusgefühl oder schiefe Töne aufmerksam macht, verfolgt man am Bildschirm seine Fehler und Fortschritte.
„Computergestützte Gesten- und Tonerkennungssoftware“ nennt sich das. Mit Laptopmikrofon und -kamera werden die Übungen aufgenommen und analysiert. „Damit wäre eine echte Schnittstelle zwischen Computer und Mensch realisiert, denn damit kann ein Musiklehrer virtuell simuliert werden,“ steht im Informationstext zum Projekt auf der Online-Plattform Tuttisolo, wo man die Software in Zukunft herunterladen kann. Der „virtuelle Musiklehrer“ der Leipziger Studenten wurde bereits mit dem Publikumspreis des future SAX Innovationsforums ausgezeichnet und kann durch ein Stipendium für Existenzgründer von 95.000 Euro bis Sommer 2013 weiterentwickelt werden.
Das Lernprogramm ist in diesem Fall natürlich nur indirekt ein Online-Angebot. Aber insgesamt wird die Zahl der Möglichkeiten von virtuellem Musikunterricht immer unüberschaubarer. Auf YouTube finden sich unzählige Tutorials zu allen erdenklichen Instrumenten, vom E-Bass bis zum Cello, vom Schlagzeug bis zur Ukulele. Die Klavierlehrerin Katrin Kayser bietet auf ihrem Kanal und der playpiano academy Videos an, bei denen man etwa die Klavierbegleitung zu Songs von Adele und Rihanna lernt. Klassische Masterclass-Kurse, für die man normalerweise viel Geld in Teilnehmergebühr und Reisekosten investiert, kann man sich kostenlos anschauen. Auch das Konzept teurer klassischer Konzerte wird zum Beispiel durch das YouTube Sinfonieorchester im digitalen Zeitalter neu Überdacht. Aber lässt sich online ein Instrument lernen?
Das überzeugendste Argument gegen den Online-Musikunterricht ist die Einseitigkeit: Man folgt einer Anleitung, nimmt Tipps an und versucht, das Erklärte umzusetzen. Zum richtigen Musikunterricht gehört aber auch ein lebhafter, direkter Austausch zwischen Schüler und Lehrer, bei dem man zum Beispiel verschiedene mögliche Interpretationen der Musik bespricht oder darüber diskutiert, welches Gefühl ein Song oder Stück transportierten sollte. Selbst ein Programm, das bei schiefen Tönen rot blinkt, bleibt irgendwie statisch und kann nicht auf individuelle Besonderheiten beim Spiel eines Musikschülers reagieren. Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob das Internet Musikunterricht "demokratisiert", zugänglicher macht.
Video-Anleitungen und virtuelle Lernprogramme sind praktisch, vor allem für Fortgeschrittene. Sie bieten eine kostenlose Möglichkeit, neues auszuprobieren oder sich vielleicht oberflächlich mal an einem unbekannten Instrument zu versuchen - und sie machen ganz einfach Spaß. Aber letztendlich können sie den realen Musikunterricht nicht ersetzen. Der "virtuelle Musiklehrer" der Leipziger Studenten beansprucht auch gar nicht, das zu können: Die Software ist als Erweiterung des Unterrichts für zu Hause und als gemeinsames Werkzeug für Schüler und Lehrer konzipiert. Die sollen sich nämlich auf tuttisolo.de miteinander vernetzen und dort gemeinsam mit Hilfe von Diagrammen und Videoauswertungen die Fortschritte des Unterrichts beobachten können. Klassischer Musikunterricht und digitale Kommunikation schließen sich also nicht unbedingt aus. Idealerweise ergänzen sie sich.