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Musik als Waffe

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Ist doch so: 20 Minuten „My Love“ in Dauerschleife hält keiner aus. Dass allerdings die CIA Terrorverdächtige mit genau diesem Westlife-Song gefoltert haben soll, ist schon ziemlich perfide. Er scheint geradezu prädestiniert dazu, jeden halbwegs vernünftigen Menschen in den Wahnsinn zu treiben – das geben sogar die Mitglieder der irischen Boyband offen zu. „Es hat wohl nur zwei Stunden gedauert, den armen Kerl zu brechen“, sagte Sänger Kian Egan gegenüber dem irischen Radiosender RTÉ 2fm. Kurz vor dem Interview hatte die amerikanischen NGO American Civil Liberties Union in dem Bericht „Out Of The Darkness“ offenbart, dass der tansanische Fischer Suleiman Abdullah im Jahr 2003 stundenlang mit „My Love“ gefoltert wurde. „Ich bin hocherfreut, dass mir das nicht passiert ist“, kommentierte Egan. Und ließ wissen, der Lovesong sei definitiv nicht das schlimmste Lied der Band, das die CIA hätte auswählen können: „There’s definitely, definitely worse.“

Ein Jahr nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte George W. Bush – zu diesem Zeitpunkt noch US-Präsident – die Verhörmethode autorisiert. Sechs Jahre später veröffentlichte die American Civil Liberties Union eine Liste mit den meistgespielten Folter-Liedern - darunter Hits wie "Stayin' Alive" von den Bee Gees, Heavy-Metal-Songs wie "Enter Sandman" von Metallica und Kinderlieder wie die Titelmelodie der "Sesamstraße".

Ganz so sportlich wie die Jungs von Westlife reagierten jedoch nicht alle Musiker auf die Nachricht, dass ihre Werke von der CIA bereits zu Folterzwecken missbraucht wurden. Christopher Cerf etwa, Komponist der Titelmelodie der "Sesamstraße", konnte es nach eigener Aussage 

überhaupt nicht glauben. "Ich finde es unerträglich, dass meine Musik dazu genutzt wurde, Menschen Schmerzen zuzufügen und sie so zu Aussagen zu zwingen", sagte er dem Fernsehsender Al Jazeera. Empört zeigte sich auch die kalifornische Band Red Hot Chili Peppers, deren Lieder in Guantanamo gespielt worden sein sollen. "Das ist Bullshit. Unsere Musik ist positiv – sie soll dafür sorgen, dass die Leute sich gut fühlen", sagte Schlagzeuger Chad Smith im Gespräch mit der Celebrity-Webseite TMZ. Via Twitter ließ Bandkollege Flea damals wissen: "Es bricht mir das Herz zu hören, dass unsere Musik von der CIA für Folterungen genutzt wurde. Alles was wir jetzt tun können, ist das Ganze zu stoppen.

 

Der britische Sänger David Gray war nach eigenen Aussagen schockiert, als er erfuhr, dass sein Hit „Babylon“ Terrorverdächtigen wieder und wieder in voller Lautstärke vorgespielt wurde: „Das ist Folter – egal, wie man es dreht.“ Rage Against the Machine-Gitarrist Tom Morello sagte dem amerikanischen Musikmagazin „Spin“, er finde es ekelhaft, dass seine Musik auf barbarische Weise missbraucht worden sei: „Wenn man weiß, wofür wir ideologisch stehen, ist das schwer zu ertragen."

 

Die kanadische Post Industrial Band Skinny Puppy ging sogar noch einen Schritt weiter. Nachdem sie herausgefunden hatte, dass mit ihrer Musik in Guantanamo gefoltert wurde, schickte sie dem US-Verteidigungsministerium eine Rechnung über 660.000 Dollar (rund 484.000 Euro) an Lizenzgebühren. Zahlreiche andere Musiker wehrten sich ebenfalls gegen die Folterpraxis – zum Beispiel die britischen TripHopper Massive Attack, der amerikanische Industrial-Musiker Trent Reznor, die Alternative Rockband REM und der Country-Star Rosanne Cash.

 

   

Metallica waren stolz darauf

Andere Musiker störten sich überraschenderweise nicht daran, dass Terrorverdächtige unter ihrer Musik leiden. „Ein Teil von mir ist sogar stolz“, sagte etwa Metallica-Sänger James Hetfield in einem Interview: „Hey, sie haben Metallica dafür ausgewählt!“ Auch die Nu-Metal-Band Drowning Pool fühlte sich eher geschmeichelt als beleidigt von der Zweckentfremdung ihres Songs „Bodies“. „Ich verstehe es als Ehre – wenn man bedenkt, dass unser Lied vielleicht helfen könnte, einen zweiten 11. September oder etwas Ähnliches zu verhindern", so Bassist Stevie Benton gegenüber "Spin". Er finde das Ganze nicht so schlimm, sagte er weiter: „Ein paar Stunden laute Musik hören – in den USA bezahlen die Kids dafür."

 

Die Vereinten Nationen und der Europäische Gerichtshof haben die Verwendung von lauter Musik bei Verhören längst untersagt. Trotzdem wird sie noch immer eingesetzt: in Afghanistan, im Irak und im US-Gefangenenlager Guantanamo Bay. Nach dem Terroranschlag von 9/11 ließ die CIA dazu eigens ein spezielles Folterprogramm von zwei Psychologen entwerfen. Nun könnte der Musik-Terror demnächst ein Ende haben: Drei ehemalige Opfer haben sich zusammengetan. Sie verklagen die beiden Psychologen, die sich dieses Folterinstrumentarium einst ausdachten.

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