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Mix 2.0
Musik im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit ist zunächst ein Datenhäuflein auf einer Festplatte. Eine abstrakte Kopplung aus Nullen und Einsen. Auf der Benutzeroberfläche fügt sich das Binärcode-Gulasch zu Zeichen. We are the People.mp3, Doppelklick, Empire of the Sun dröhnt aus den Computerboxen. Das geht schnell, klingt ok und ist ziemlich einfach. Spart außerdem Platz. Vaters alte MCs, selbst bespielt und beschriftet, stehen längst nicht mehr im Regal. Sie lagern in einem Karton im Keller. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch dort verschwinden.
1913, ein halbes Jahrhundert vor der Erfindung der Musikkassette, hat Wolfgang Riepl die These aufgestellt, ein etabliertes Medium verschwinde nie gänzlich. Alte Medien weichen neuen Medien auf dem Mainstream-Markt. Die alten Medien finden Nischen, in denen sie in Ruhe ein bescheidenes Dasein fristen. Die Musikkassette ist so ein altes Medium. Wurde sie zur Jahrtausendwende in Deutschland noch 20,5 Millionen mal verkauft, so waren es 2009 lediglich 3 Millionen, Tendenz sinkend.
Was geht verloren, wenn die Kassetten allmählich in den Kartons verstauben? Diese Frage mögen sich die Entwickler des C60 Redux gestellt haben. Der funktioniert so: Die Musik wird auf RFID-Tags gespeichert, welche in Karten im MC-Design eingebaut sind. Sobald die Karten auf die C60-Plattform in Vinyloptik gelegt werden, übertragen sich die Musikdaten mittels Radiowellen von RFID auf die Vinylkonsole, werden an den Rechner geschickt und strömen als Klänge durch die Lautsprecher. Bis auf die Musikkassetten- und Vinylplatten-Ästhetik ist dieses System noch anderweitig „retro", wie sich die Firma IDEO selbst ausdrückt.
Zum einen bereichert es die digitale Musikwelt um einen Sinneseindruck, den der Kassettenkäufer kennt und schätzt: Musik wird greifbar. Dass Musik nicht bloß ein auditives Erlebnis ist, wird bei jedem Konzertbesuch klar; hier sieht, riecht, fasst und fühlt man Musik. Auch beim Kauf der Empire of the Sun-CD ist die haptische Wahrnehmung schnell bedient. Man blättert im bunten Booklet, man hält ein Stück Musik in Händen. So bei den Musikkassetten im Keller. Und nun beim C60 – der über den handlichen USB-Stick hinausgeht, sei er auch in einem Vintage-Format gehalten wie beim Projekt Make a Mixa. Zum anderen erlebt das Mixtape eine Renaissance, schon angedeutet im Produktnamen „Redux" (englisch für „wiederbelebt"). Nur geschieht dies auf besondere Weise. War das Mixtape im klassischen Sinne noch ein statisches Konstrukt, eine festgelegte Abfolge von Songs auf einer Kassette (oder im Netz – wie auf artofthemix.org), so rückt beim C60 Interaktion anstelle von Statik. Ein Mixtape zu erstellen wird hier zum gemeinsamen (Karten-)Spiel, anschaulich dargeboten im Produktvideo des Herstellers:
http://vimeo.com/16064308
Frei nach Riepl wird hier eine neue Nische, wenn nicht gar ein neues kulturelles Phänomen geschaffen: Die Mixtapekultur 2.0 verläuft nicht mehr einseitig. Mit Mixtaperomantik hat das leider nicht mehr viel zu tun, sagt der Nostalgiker. Man denke an die unzähligen Mixkassetten, kompiliert für Bekannte, Freunde, Geliebte. Soundtracks of their lives, einmalig geschaffen, hoffentlich gehört und zuletzt im Karton untergebracht. May they mix in peace.