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Mittendrin, aber nicht dabei

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Mike Wells, 52, Blogger und Fotograf


Mike, 52, wurde vor fünf Jahren aus seiner Wohnung ausgewiesen, zusammen mit 500 weiteren Bewohnern, da an der Stelle das Olympia-Gelände entstehen sollte. Seither ist er Blogger und dokumentiert alles, was in London im Namen der Spiele seiner Meinung nach schief läuft. „Als ich zu recherchieren angefangen habe, habe ich schnell gemerkt, dass die Spiele eine große Lüge sind.“ Mike ist bei vielen Anti-Olympia-Protesten dabei, und häufig trägt er dabei ein T-Shirt, auf dem das Londoner Logo der Olympischen Spiele zum Wort „Shit“ verdreht sind. „Wir hätten aus der Erfahrung der vorherigen Austragungsländer lernen können“, sagt er. „Peking oder Vancouver haben doch schon gezeigt, dass die Spiele Kosten, Umweltschäden und so viel mehr Schlechtes bringen.“ Am meisten ärgern ihn in London die Sicherheitsmaßnahmen. „Bei den Spielen geht es nicht mehr um Sport. Es ist eine Sicherheitsmesse, bei der Firmen ihre neuesten Technologien präsentieren“, sagt Mike und beginnt, von Militär, Schlachtschiffen, Drohnen, Raketen, einem elektrischen Zaun, elektronischer Gesichtserkennung viele der Sicherheitsmaßnahmen aufzuzählen, die die Stadt für den Sommer getroffen hat. „Die Liste ist endlos. Die Regelungen sind absolut psychopathisch.“

Mike findet, dass die Regierung mit dem Geld lieber etwas für die Jugend hätte tun sollen. „Da ist eine Krise unter Jugendlichen, wie man letztes Jahr bei den Londoner Riots gesehen hat. Doch im Sozialbereich wird nur gekürzt.“ Stattdessen würden die Spiele die Gesellschaft noch mehr in Arme und Reiche spalten. „Bei diesem verachtenswerten VIP-Fest geht es nur um Privilegien. Für die Ottonormalverbraucher gibt es ja nicht einmal ausreichend Tickets.“

Seit der Ausweisung aus seiner Wohnung vor fünf Jahren lebt Mike Wells auf einem Boot und tuckert  Londons Kanäle auf und ab. Doch vielleicht steht ihm bald wieder eine Vertreibung bevor. „British Waterways“ will für den Sommer eine Olympiazone auf den Londoner Kanälen einrichten und pro Boot bis zu 360 Pfund wöchentliche Gebühr kassieren.

Auf der nächsten Seite: Osita Madu, der dank Olympia fast alleine in einem 21-stöckigen Haus wohnt.



Osita Madu, 38, Personalmanager  


Osita, 38, ist Personalmanager und wohnt seit 17 Jahren in einem Hochhaus in Stratford direkt neben dem Olympiagelände. Von seinem Balkon aus kann er den Bauarbeitern von dem neuen Olympiastadion und der Eishalle winken – und muss auch deren konstanten Lärm ertragen.

Osita’s Hochhaus sollte als Teil der Aufwertung des Londoner Ostens abgerissen oder mindestens renoviert werden, so heißt es zumindest seit etwa sieben Jahren. Doch ständig ändere die Stadt ihre Pläne, sagt Osita: „Wir Bewohner werden weder richtig informiert noch gefragt.“

Das Hochhaus befindet sich auf dem Gelände 'Carpenters Estate'. Die Anlage mit  Sozialwohnungen für über 1000 Leute aus den Siebziger Jahren ist wie ein Dorf: Kinder düsen auf Skateboards durch die fast unbefahrenen Straßen, Gärten mit Wäscheleinen reihen sich aneinander, im Tante-Emma-Laden und Pub kennt jeder jeden. Wegen seiner Beschaulichkeit lebten die Bewohner hier sehr gerne, sagen sie. „Wir hatten eine starke Nachbarschaft. Das gibt es selten in London“, sagt Osita. „Doch die meisten Mieter sind den Angeboten der Stadt gefolgt und jetzt in der ganzen Stadt verteilt.“

In dem 21-stöckigen Hochhaus von Osita sind nur noch vier Wohnungen bewohnt. "So viele Leute in London suchen Wohnungen. Hier werden sie über Monate hinweg leer stehen gelassen.“ Den ganzen Winter lang funktionierte die Heizung nicht mehr, da sie auf einem Gemeinschaftsprinzip basiert.

Nun hat sich die BBC für den Sommer die fünf obersten Stockwerke des Gebäude reserviert, um von dort aus die Olympiaberichterstattung zu machen. Zumindest weiß Osita jetzt: über den Sommer bleibt sein Haus stehen.

„Danach ist alles wieder offen. Ich verstehe die Politik der Stadt nicht", sagt er, dem seine kräftige Stimme derzeit nicht dabei hilft, gehört zu werden. Osita will am liebsten hier wohnen bleiben, denn er hat seine Wohnung gekauft. Mit der ihm gebotenen Abfindung könnte er sich nichts Vergleichbar Großes im Viertel erwerben. Osita hat gemeinsam mit anderen Anwohnern die Initiative CARP gegründet, die sich für den Erhalt des Wohnviertels einsetzt.


Auf der nächsten Seite: Riita, die vor den Spielen in ihre Heimat flüchten wird.



Riitta Hakkarainen, 34, Szenografin und Designerin


Wenn Rita, 34, das Wort Olympische Spiele hört, runzelt sie die Stirn. Sie will dazu nicht mehr viel sagen. Rita ist Szenographin und Designerin. Sie lebt von Aufträgen für Theater oder Modenschauen, und dem Verkauf selbst bedruckter Karten auf Flohmärkten.

Rita mietet ein Atelier mit Wohnbereich in Homerton, einem Bezirk im Nordosten Londons, unweit vom Olympia-Areal. Ihre Miete ist in den letzten zwei Jahren um ein Viertel gestiegen. Doch habe sie nicht auch mehr Aufträge durch Olympia erhalten? „Nö.“ Dabei hat sie sich vor drei Jahren, als sie nach London kam, viel von der Stadt erhofft.  

Sie kann nicht nachvollziehen, dass London für ein temporäres Sportevent so viel Geld ausgibt. 2005 schätzte die Stadt die Ausgaben für die Spiele auf 2,35 Milliarden Pfund. Jetzt gehen Prognosen davon aus, dass die Spiele über elf Milliarden Pfund kosten. Ein großer Anteil sollte in die Aufwertung des Londoner Ostens gesteckt werden, dem Stadtteil mit der höchsten Armut und Arbeitslosigkeit, aber auch mit vielen Künstlern, so wie Rita. „Das ist ein schöner Plan“, sagt Rita. „Aber ich sehe davon bislang nichts.“

Rita wird im Sommer abhauen. Wenn die Spiele am 27. Juli beginnen, fliegt sie in ihre Heimat Finnland und vermietet ihr Zimmer unter. Sie hat keine Lust auf den Lärm und schon gar nicht auf die  Sicherheitsmaßnahmen. „Überall werden Polizisten und Soldaten sein, das öffentliche Verkehrssystem wird nicht mehr funktionieren, und dann werden auch noch Kameras mit Gesichtserkennung installiert. Das ist mir zu viel“, sagt sie. Mit der Einstellung steht Rita nicht allein da. Jeder achte Londoner flüchtet nach einer Umfrage eines Reiseverbands während der Spiele in den Urlaub. Knapp jeder dritte Londoner möchte die Spiele ignorieren.  



Simon Reuben-White, 34, Organisator des Hackney Wicked Festivals und Galeriebesitzer


Simon Reuben-White, 34, ist noch etwas verschlafen an einem Sonntagmorgen um 13 Uhr, doch er hetzt schon durch seine Galerie, in der zum ersten Mal keine Ausstellung, sondern ein Theater vorbeiretet wird. Ein experimentelles Stück mit einem aus Pappkarton verkleidetem Bühnenbild, in dem die Regisseurin auch die Olympischen Spiele verarbeitet.

Simon hat die ‚Elevator Gallery’ vor fünf Jahren aufgemacht. Sie liegt versteckt in einem Fabrikgebäude am östlichen Ende Londons in Hackney Wick, einem industriellen Randbezirk eineinhalb Kilometer vom Olympiagelände weg. Viele Künstler sind wegen der billigen Mieten und großen Räume nach Hackney Wick und in anliegende Viertel des Londoner „East End“ gezogen, sodass hier inzwischen, wie viele sagen, die größte Künstlerdichte Europas herrscht. „Einen künstlerischen Spielplatz“, nennt es Simon.   Doch jetzt sehen sich Simon und andere Kunstschaffende durch die Olympischen Spiele mit einer "antidemokratischen Zumutung" konfrontiert und ihre Spielwiese gefährdet. „Die Olympischen Spiele haben die ganze Gegend verändert und kommerzialisiert. Alles wird steril gemacht“, sagt Simon. So hat etwa Coca Cola, einer der Sponsoren der Spiele, ein zehn mal 30 Meter großes Graffiti an einer Hauswand mit seinem Werbeslogan übersprüht. Fabrikhallen mit Ateliers wurden abgerissen.

Simon organisiert gemeinsam mit anderen Atelierbesitzern das Kunstfestival Hackney Wicked, in dem alle Galerien Hackney Wicks ihre Türen öffnen, eine Musikbühne auf die Straße gestellt wird und sich der ganze Bezirk für ein paar Tage der Kunst widmet. Eigentlich würde das Festival dieses Jahr seinen fünften Geburtstag feiern, aber die Polizei hat es wegen der Spiele rechtzeitig abgesagt. „Die meinten, es wären dadurch zu viele Leute auf der Straße“, sagt Simon. „Aber wie viele Leute werden durch die Spiele auf der Straße sein?“ 500 000 Gäste erwartet London für den Sommer.

Dass nach 17 Tagen Trubel viele temporäre Bauten wieder plattgemacht werden, ergibt für Simon wenig Sinn. Dabei hat er sich 2005, als London die Olympischen Spiele gegen Paris gewann, gefreut. “Da war so eine Energie, dass wir daraus etwas machen sollen. Doch für lokale Leute gibt’s kein Stück vom Kuchen.“ Jetzt kann er es kaum erwarten, bis die Spiele vorbei sind. 

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