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Mit dem Bus durch Polen - Teil 4
Für die Schulkinder gibt es im Bus Erich Kästner Filme. Bevor sie diese ansehen, führen sie jedoch Szenen aus „Der 35. Mai“ auf und singen Lieder. Als ich mich dazwischen drängele, um zu sehen, was die Kinder da eigentlich machen, greift mir eine Lehrerin ins Haar und fragt mich etwas auf polnisch. Anna übersetzt mir dann, dass sie mich für eines ihrer Kinder gehalten hatte. Ich bin nur einen Meter sechzig groß, da kann das schon mal passieren. Schön wäre es natürlich, wenn man gleich selbst verstünde, was da eigentlich passiert. Sich in einem Land aufzuhalten, dessen Sprache man nicht versteht, ist frustrierend.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nachdem wir heute Freizeit haben, gehen der stellvertretende Projektleiter Hannes und ich erst einmal in der Sonne einen Kaffee trinken. Wir müssen weiter an unserem leichten Sonnenbrand vom Tag davor arbeiten. Hier ist nämlich der Frühling mit Macht ausgebrochen. Den vorigen Tag hatten wir genutzt, um Fotos von Lodz zu machen. Dabei haben wir den polnischen Walk-of-Fame gefunden, unzählige Hinterhöfe, die teilweise aussehen, wie aus dem 19. Jahrhundert, teilweise wie aus einer Tourismus-Broschüre. Heute haben wir uns vorgenommen, den jüdischen Friedhof zu besuchen. Vor etwas über einem Jahr hatte ich schon einmal Lodz besucht, erfahren, dass es hier eine sehr große jüdische Gemeinde gab, und den Friedhof besichtigt, auf dem Gräber von fantastischer Größe und architektonischer Schönheit stehen. Hannes ist auch dafür zu haben, dass wir uns das im Sonnenschein ansehen. Dafür versuchen wir also ein Taxi aufzutreiben. Der Fahrer kann kein Englisch, Deutsch oder Französisch. Wir können kein Polnisch oder Russisch. Also wird zum Zwecke der Verständigung ein weiterer Mann hinzugerufen, der ein wenig Englisch kann. Was ein "jewish cemetary" ist, weiß er aber auch nicht. Er versteht uns erst, als ich ihm ein paar Grabsteine mit Davidstern aufzeichne. Piktogramme können nicht nur bei der Suche von Toiletten auf Flughäfen weiterhelfen. Er erklärt dem Taxifahrer, wo wir hinwollen und wir gurken durch die Stadt. Lodz bezeichnet sich als die Stadt mit vier Kulturen: deutsch (bis zum ersten Weltkrieg), jüdisch, polnisch und russisch, wobei wir nicht herausgefunden haben, woher der russische Einfluss kommt. Wir planen, endlich einen Reiseführer anzuschaffen. Als wir beim jüdischen Friedhof ankommen, hat der geschlossen. Bleibt also nichts anderes, als wieder in die Stadt zu fahren. Diesmal aber mit dem Bus, denn auch das sollte man doch irgendwie hinkriegen und hier ein Taxi zu finden, ist schwierig. Es gibt auch einen Bus, der unser Ziel ansteuert, allerdings müssen wir fragen, in welche Richtung die Innenstadt liegt. Mit Händen, Füßen und viel gutem Willen, erklärt uns eine Frau, mit welcher Linie wir fahren müssen. Danach schwatzen wir noch einer älteren Dame zwei Fahrkarten ab, was auf polnisch auch nicht so einfach ist. An einem Kiosk wäre das einfacher gewesen, aber es ist keiner in Sicht. Fahrkartenautomaten gibt es in Lodz nicht. Immerhin habe ich mir endlich gemerkt, dass "w" in heißt und "z" mit. Das hilft und wir kommen auch tatsächlich wieder da an, wo wir aufgebrochen sind.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dieses Mal traue ich mich an den grünen Multivitaminsaft ran. Anna, die sich darüber lustig gemacht hatte, dass die Deutschen das Zeug nicht trinken, schaut erwartungsvoll. Das Zeug schmeckt, vorausgesetzt man mag Ananas. Wir tauschen E-Mail-Adressen. Ich frage sie noch, wie die Kino-Katze heißt, die seit mehreren Tagen durch das Filmtheater streicht. Sie weiß es nicht. Die Katze ist offenbar zufrieden damit, dem Kino zu gehören, nicht den Besitzern. Sie lässt sich von den Besuchern kraulen, latscht unter den vollbesetzten Stuhlreihen durch und stellt sich auch mal mitten in die Tür, auch wenn sie dann drei Menschen den Weg blockiert. Manchmal wird sie "Cytryna" genannt, weil das Kino so heißt, erzählt Anna. Nach dem Film gibt es noch eine kurze Diskussion und dann ist der letzte Abend. Hiermit kann ich offiziell bestätigen: Um vier Uhr in der Frühe, lassen die Clubs in der Lodzer Innenstadt niemanden mehr rein. Wir treffen uns auf dem Zimmer, bei einem der Regisseure. Er hat sogar Bier und Pistazien gekauft. Es ist wie auf Klassenfahrt.