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Mit dem Bus durch Polen - Abschied aus Polen

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Im Frühzug von Lublin nach Warschau sitzen Pendler, die in der Hauptstadt arbeiten. Dabei muss man mehr als zwei Stunden fahren. Draußen zieht Polen vorbei. Wieder sehe ich einen Pferdewagen auf Reifen, was für das Pferd bestimmt ein Vorteil ist. Ein Traktor steht halb im Schlamm eingesunken, verlassen auf einem Feld. Die Landschaft ist schon allein deswegen abwechslungsreich, weil die Felder so klein sind. Bäume, Tierwiesen und gepflügte Äcker wechseln sich in schneller Folge ab. Das ist eine Hinterlassenschaft des Sozialismus in Polen. Der erste Schritt der Bodenreform in den Fünfziger Jahren wurde umgesetzt: jeder Bauer bekam sein eigenes Stück Land. In der Sowjetunion oder der DDR folgte darauf die zweite Stufe: die Kollektivierung. Was in den beiden anderen Ländern teilweise mit Gewalt umgesetzt wurde, ließ sich in Polen einfach nicht durchsetzen. Die kleinen Felder sind geblieben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

An der Strecke liegen einige Schrottplätze, die sich auf Autowracks spezialisiert haben. Sie sind zu zwei Dritteln voll mit Polski-Fiats, genauer gesagt mit den Cinquecenti von Polski-Fiat, lange Jahre das Symbol für Mobilität in Polen. Nun wirkt der Fortschritt, das kleine Gefährt wird nach und nach stillgelegt. Polens Wirtschaftswachstum ist (von Deutschland aus betrachtet) hervorragend. Überall sieht man viele neu gebaute Häuser. Oft haben sich die Bauherren kreativ ausgelebt. Türmchen, Erker, Gauben, verschnörkelte Gitter, Säulen, asymmetrische Grundflächen und bunte, oft grell-grüne Dächer tauchen in den unterschiedlichsten Kombinationen auf. Beim Umsteigen nehme ich mir, wegen der Probleme bei der Verständigung, ein weiteres Mal vor, wenigstens die polnischen Zahlen zu lernen. Bisher kann ich nur zwei und fünf und das ist definitiv kein Zustand. Besonders nicht, wenn man zwar versteht, dass der eigene Zug gerade angesagt wird, aber leider nicht, von welchem Gleis er denn nun fährt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Berlin-Warschau-Express sitzt mir eine blonde Frau um die Fünfzig gegenüber. Sie ist Dozentin für Medizin in Krakau. Sie erklärt mir, dass die Kruzifixe an den Straßen keineswegs eine alte, polnische Tradition sind, sondern Gedenkorte für Unfallopfer. Dass diese so groß angelegt sind und so geschmückt, sieht sie als Indiz für den großen Einfluss der Katholiken in Polen. Derzeit seien sie sehr stark in der Öffentlichkeit präsent, da auch der neue Staatspräsident ein streng-gläubiger Katholik mit entsprechender politischer Agenda sei. Aber die Medizinerin glaubt, dass dies ein letztes Aufbäumen ist. Die jungen Leute seien inzwischen ganz anders und viel weniger religiös, sagt sie. Anna hatte auch erzählt, dass viele junge Polen nach der Uni auswandern, weil sie Geld brauchen, um sich in Polen eine eigene Wohnung leisten zu können und auch, weil sie dann zum ersten Mal nicht in der Wohnung ihrer Eltern leben und die Freiheiten genießen, die in Deutschland für die meisten Studenten normal sind. Die Dozentin befürchtet, dass die gut ausgebildeten, jungen Polen nie wieder nach Polen zurückkommen, weil sie im Rest von Europa einfach die besseren Chancen haben. Dabei könne man in Polen sehr gut leben, da die inoffiziellen Gehälter weit über den offiziellen lägen, erzählt sie. Sie empfiehlt jedem Deutschen, der gerade nichts Besseres zu tun hat, in Breslau oder Krakau Deutsch-Unterricht zu geben. Sie rät aber dringend davon ab, Polnisch lernen zu wollen. Es sei viel zu kompliziert. Dann sagt sie, dass man mehr von einem Land sehe, wenn man mit dem Auto reise. Man könne auch mal anhalten. Kurz vor der Grenze sehe ich einen Storch, das letzte prägende Bild von Polen. Im Bahnhof von Frankfurt (Oder) empfängt mich ein Nina-Hagen-Plakat.

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