- • Startseite
- • Redaktionsblog
-
•
Mein erstes Semester im Ausland
Folge 6: Wenn nachts um zwei die Fiesta bebt Florian Kaindl, 23, studiert in München Komparatistik, Amerikanische Literaturgeschichte und Theaterwissenschaften. Das vergangene Semester hat er als ERASMUS-Student an der Sorbonne in Paris verbracht. Das ERASMUS-Studium kann eine Chance sein. Die, einzutauchen in ein wunderbar ausschweifendes Uni-Leben, das einem zu Hause von der drückenden Last des Alltags vermiest wird. Das Erasmus-Studium kann aber auch eine Last sein – arbeitswillige Studenten haben es im Lauf des ersten Auslandssemesters wirklich nicht leicht: Die ersten organisatorischen Fragen werden von den Professoren meistens mit einem Schmunzeln quittiert. Man werde eine Regelung finden, wollen sie beruhigend auf einen einwirken und schicken noch ein kumpelhaftes Zwinkern hinterher. Erasmus-Studenten haben einen seltsamen Sonderstatus. Sie stehen gewissermaßen unter Artenschutz. Sie haben die Gewissheit, voll dabei zu sein und spüren doch den Stress des Studiums nur sehr gefiltert. Das ist einerseits gut für die Befindlichkeit, andererseits schädlich für die Motivation. In jeder Prüfung kann man groß ERASMUS an den Rand kritzeln und bewirkt so, dass selbst äußerst brutale Korrektoren in eine milde Stimmung verfallen. Vielleicht kann man es „Spielerisches Lernen“ nennen, wenn einem plötzlich die Angst vor großen und dummen Fehlern genommen ist. Das Studium in der Heimat jedenfalls wirkt da aus der Ferne schon fast brutal. Heißt also: Das ERASMUS-Studium ist vielleicht die beste Möglichkeit, guten Gewissens kopflos durch die Welt zu tollen und dabei doch allerhand Nützliches mitzunehmen. Das Stigma, ein vorübergehender Besucher zu sein Wer das vor hat, muss sich einiger Regeln befleißigen. Er muss sich rauswagen, Kontakt suchen, und sich vor allem nicht an die Landsleute hängen, bloß, weil sie die gleiche Sprache sprechen. Die Deutschen haben in Bezug auf Grüppchenbildung ihren Ruf schon weg, dem kann man aber als aufgeschlossene Einzelperson gegenwirken. Das Stigma des „vorübergehenden Besuchers“ werden die meisten leider nie los, weshalb ausdauernde Bindungen zu Einheimischen schwierig sind. Aber: Auch im Gespräch mit den internationalen Artgenossen wird es häufig still, wenn die Gemeinplätze, die Vorurteile, die jeweiligen Schimpfwörter und dann auch die Alkoholvorräte abgewirtschaftet sind. Darüber hinaus bleiben in den Gedanken schöne, lebendige und intensive Momente hängen. Wenn zehn spanische Mädchen nachts um zwei Flamenco tanzen, und eine nette kleine europäische Party mit Klatschen und Singen in eine bebende Fiesta verwandeln. Und einfache Ideen bleiben in Erinnerung, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es in der Mensa eine Wasserkaraffe für den ganzen Tisch gibt, die einfach wieder auffüllt, wer sie leer getrunken hat. Oder der Beginn einer im Kursleben geführten Korrespondenz, die Pfeile, Punkte und Rechtschreibfehler zu einer Art länderübergreifendem Kunstwerk verbindet. Leidenschaft verschenken Je nachdem, wie fleißig man während der Erasmus-Monate war, stellt sich die simple Frage nach dem „praktischen Nutzen“. Hätte ich meine Leidenschaft doch lieber den französischen Klassikern im Kurs gewidmet, statt einer ERASMUS-Studentin, die wiederum ihre Leidenschaft ausgiebig an Spanier, Armenier und Italiener verschenkte – nur nicht an mich? Aber warum hätte ich das tun sollen? Der Ertrag der Erasmus-Zeit ist vielleicht nach außen nicht sichtbar. Aber innen drin, da kann man Lastwagentonnen an schönen und vor allem einprägsamen Erfahrungen verstauen. Bisher sind erschienen: 1. Mein erstes Semester als Germanistikstudent 2. Mein erstes Semester als wissenschaftlicher Mitarbeiter 3. Mein erstes Semester als Juniorprofessorin 4. Mein erstes Semester als Physikstudentin 5. Mein erstes Semester als Jurastudentin