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Mein erstes Semester als Jurastudentin
Folge 5: Wenn nach dem Semester die Zweifel nagen Marianna Kazachenko, 20, studiert seit Oktober 2005 Jura an der LMU München Besonders chaotisch oder stressig war es im ersten Semester nicht, ich hatte ja auch nur zwei Fächer, Zivilrecht und öffentliches Recht. Nur mit der anonymen Masse an Studenten, da hatte ich so meine Probleme. 650 Studenten im Vorlesungssaal, das ist wirklich anders als in der Schule. Die Atmosphäre ist extrem unpersönlich, Du bist einer unter vielen und traust Dich nicht, obwohl Du viele Fragen hast, sie auch zu stellen. Daran muss man sich erst gewöhnen. Sehr merkwürdig finde ich auch, dass viele Studenten ihren Laptop mit in die Uni bringen. Während ich versucht habe möglichst schnell mitzuschreiben, haben die in ihre Laptop-Tasten gehauen – ich weiß nicht, aber: Bin ich da jetzt schon altmodisch? Die entscheidende Seite ist rausgerissen Gut befreundet bin ich nach diesem ersten Semester eigentlich nur mit zwei Leuten aus meinem Studium. Zwar kommen viele Kommilitonen nicht aus München und haben mich in den ersten Wochen gefragt, ob ich ihnen die Stadt zeigen oder sonst wie helfen könnte. Aber die Kontakte haben sehr schnell nachgelassen, als gegen Mitte des ersten Semesters der Leistungsdruck begann. Zur ersten Probehausarbeit, bei der jeder dasselbe Thema hat, waren alle Erstsemester in der Bibliothek anzutreffen. Wie Ameisen sind sie umhergelaufen, haben haufenweise Bücher mit sich rum getragen und egal zu welcher Uhrzeit – die wichtigen Bücher standen nie im Regal. Alle ausgeliehen. Und selbst wenn Du das Buch gefunden hast, das Du gebraucht hast, dann waren eben die entscheidenden Seiten rausgerissen. Studenten? Konkurrenten! In der Vorlesung habe ich dann mal ein Mädchen angesprochen, mit dem ich mich schon öfter unterhalten hatte. Ich wollte sie eigentlich nur etwas zu den Literaturangaben für die Arbeit fragen. Da hat sie hastig den Bücherstapel vor sich zur Seite geschoben und betont, dass sie mit der Hausarbeit noch nicht angefangen hätte. Dann hat sie sich umgedreht. Leider war das kein Einzelfall, den anderen helfen will hier niemand. Das Konkurrenzdenken ist sehr groß. Was das Wohnen angeht – ich wohne allein. Vor zehn Jahren bin ich aus Russland nach Deutschland gekommen und mit 16 von daheim ausgezogen. Das Alleine leben ist also nichts Neues für mich und es ist auch in Ordnung. Viel zu Hause bin ich nicht, weil ich keine Unterstützung von meinen Eltern bekomme und deshalb das ganze Semester über ziemlich viel arbeiten musste. Das ist mir bei den anderen Jurastudenten besonders aufgefallen: fast keiner arbeitet, sie bekommen Geld von ihren Eltern und das reicht ihnen. Dadurch bleibt Dir natürlich auch mehr Zeit fürs Studium. Wegziehen? Fachhochschule? Ausbildung? In den letzten Wochen des Semesters hatte ich ein paar gesundheitliche Probleme und war eine Woche im Krankenhaus. Zeit zum Nachdenken, in der ich ins Zweifeln gekommen bin. Ich habe festgestellt, dass ich sowohl im Studium als auch gerade im Beruf mehr Kontakt mit Menschen haben möchte. Aber letztes Semester hatte ich keine Projekte, kein Teamwork, keine Referate. Nur Klausuren. Und das Studium wird anstrengender werden, denke ich. Ich habe schon letztes Semester viel gelernt und war fast jeden Tag mehrere Stunden in der Bibliothek. Trotzdem waren meine Leistungen nicht gut. Aber ein Juraabschluss mit einer drei nützt mir auch nichts, denn arbeitslose Juristen gibt es gerade in München wie Sand am Meer. Die Wahrscheinlichkeit, dass man einen guten Job bekommt oder sich selbstständig machen kann, ist sehr gering. Wenn ich aus München wegziehen würde, hätte ich vielleicht mehr Möglichkeiten. Aber das möchte ich nicht. Jetzt überlege ich, ob ich nicht doch Sozialpädagogik an der Fachhochschule studieren sollte. Oder vielleicht mache ich auch eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellte. Das ist dann auch Recht – aber eine Lehre. Und die geht schneller. Ach, wir werden sehen. Bisher sind erschienen: 1. Mein erstes Semester als Germanistikstudent 2. Mein erstes Semester als wissenschaftlicher Mitarbeiter 3. Mein erstes Semester als Juniorprofessorin 4. Mein erstes Semester als Physikstudentin