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"Man musste es eben akrobatischen Schautanz nennen"
Nach dem Tag, an dem 1985 der Break-Dance-Film "Beat Street" in den Kinos der DDR anlief, sollte für Frank, Alex, Michel und Matti, die Hauptfiguren in "Dessau Dancers", nichts mehr sein wie zuvor. Die Geschichte, die damit beginnt, erzählt Regisseur Jan Martin Scharf in seinem Ost-Tanzfilm, der am Donnerstag in den Kinos anläuft. So genau recherchiert, authentisch und wahr er auf der einen Seite ist, so überspitzt, schrill und abgedreht ist er auf der anderen. Ein Gespräch mit dem Regisseur. Und mit Frank Salweski, ein früher Ost-Breaker, der mit den "Melodic Dancers" in den 1980ern die Autoritäten in der DDR in Zugzwang brachte und als Zeitzeuge viel zur Recherche beitrug.
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jetzt.de: Herr Scharf, war Frank Salewski denn das Vorbild für die Rolle des Protagonisten Frank Satzke?
Scharf: Nein, die einzelne Charaktere im Film sind – man kann noch nicht mal sagen aus verschiedenen realen Figuren zusammengebaut, sondern erfundene Schicksale. Derselbe Vorname ist reiner Zufall, der war eben damals sehr verbreitet.
Salewski: Na, das hört man ja gern.
Scharf: Wie meiner ja auch. Es wimmelte von Franks und Martins.
Trotzdem vermute ich da so einige Parallelen. Wie haben Sie denn in den 1980ern in der DDR, in Stralsund, davon erfahren, dass es so etwas wie Break Dance gibt? In "Dessau Dancers" ist der Break-Dance-Kinofilm "Beat Street" ja die Initialzündung.
Salewski: Zum ersten Mal gesehen habe ich Break Dance in der 9. Klasse in der Schuldisco bei anderen Jungs. Zwei Stunden später habe ich mit meinem Kumpel selbst schon die ersten Moves probiert. Mit ihm gründete ich später auch die "Melodic Dancers". Für uns war das einfach krass neu und anders. Sowas hatte man im Fernsehen und in Zeitschriften noch nicht gesehen. Außer man gehörte zu den wenigen, die schon irgendwie an die Bravo aus dem Westen gekommen sind.
Woher bekamen Sie denn die Moves?
Salewski: Anfangs haben wir es uns von den Schulkameraden zeigen lassen und man hat sich einfach gemeinsam Bewegungen überlegt und einstudiert. Einiges hatten wir auch aus dem Turnen. Und dann kam – wie in Martins Film – "Beat Street" in die Kinos. Das war für uns zwar nicht der erste Kontakt, aber mindestens so wichtig wie Martin es dargestellt hat.
Scharf: Wie oft hast du ihn dir nochmal angeschaut?
Salewski: 17 Mal. Am ersten Tag um 14.30, 17.00 und 19.30 Uhr. Da bekamen wir endlich das ganze Know How, das uns fehlte, und davon zehrte im Prinzip die ganze Nation im Osten.
Die Dance Crew in "Dessau Dancers" wird bespitzelt, verhaftet und im sozialistischen Sinne zum "akrobatischen Schautanz" gemacht. Wie erging es ihrer Gruppe damals, Herr Salewski?
Salewski: Im Prinzip genauso. Wir haben anfangs vielleicht an etwas heikleren Orten getanzt. An einem sowjetischen Ehrendenkmal hätte man nicht mit amerikanischer Musik eine kapitalistische Weltanschauung ausdrücken sollen, aber wir haben damals gar nicht darüber nachgedacht. Der Staat wusste am Anfang nicht so wirklich mit uns umzugehen. Als dann aber immer mehr Gruppen in der ganzen DDR anfingen gegeneinander anzutreten, mussten sie reagieren. Und Break Dance zur eigenen sozialistischen Kultur zu machen, war eben die Taktik. Man musste es eben "akrobatischen Schautanz" nennen.
http://www.youtube.com/watch?v=5Y257MBOf6Q
Zum Break Dance gehört ja nicht nur die Bewegung an sich, sondern auch der ganze Style. Hip-Hop-Klamotten waren aber wohl nichts, was es einfach so zu kaufen gab.
Salewski: Nein, wir mussten es hundertprozentig genauso machen, wie man es im Film sehen kann: Alles, was wir wollten, mussten wir selbst nähen, basteln und bemalen, bis wir später dann die Möglichkeiten hatten uns gleiche Anzüge für die Gruppe nähen zu lassen. Turnschuhe haben wir uns gebraucht über Dritte und unzählige Umwege besorgt. Weiße Handschuhe gehörten am Anfang unbedingt dazu und die Socken wurden über der Hose getragen. Zu Beginn war bei uns alles völlig bunt gewürfelt.
Scharf: Für mich ist das so ein Kernbild: Ich hatte Verwandte in der DDR und dort war alles immer ziemlich grau. Aber zwischendrin gab es so einen Trupp von Paradiesvögeln, die durch diese graue Welt flogen und sich so wundersam bewegten.
Salewski: Wir waren die Paradiesvögel in der DDR, ja, das kann man so sagen.
Scharf: Es gibt im Film eine Szene, wo alle vier einem auf einer Straße entgegenkommen. Im Drehbuch stand: "wie echte Helden". An dem Tag war überall maximaler Nebel und genau das ist das Bild geworden: Alles grau und vier Paradiesvögel tanzen einem entgegen.
Salewski: Ach, ich dachte, den Nebel habt ihr extra gemacht!
>>>"Ich hatte nur irgendwann keinen Bock mehr, vor den Parteifuzzis zu tanzen."<<<
Der DDR-Break-Dance hatte – aus seiner Entstehung heraus – einen sehr eigenen Stil. Wie haben Sie es geschafft, den im Film umzusetzen?
Scharf: Durch Experten: "Killa Sebi", der im Film den Michel spielt, ist amtierender Deutscher Meister im Break Dance. Die anderen hatten auch schon vorher mehrere Jahre Break Dance getanzt. Der Tanztrainer war auch ein echter Ost-Breaker. Wir wollten das Originalfeeling der 1980er haben. Weil wir aber gleichzeitig nicht auf das Spektakuläre von 2015 verzichten wollten, ist es eine Mischung geworden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Regisseur Jan Martin Scharf
Wie war das damals mit der Musik? Wie sind Sie da an etwas gekommen, auf das man anständig breaken konnte?
Salewski: Über Beziehungen. So wie heute Connections über Facebook wichtig sind, so musste man eben damals auch die richtigen Leute kennen, um an das gewünschte Material zu kommen. Da gab es zum einen die Discotheker, die so etwas in ihrem Sortiment hatten, und zum anderen natürlich die berühmte Westbekanntschaft. Da gingen dann Schreiben raus wie: "Liebe Tante, ich habe dann und dann Geburtstag und wünsche mir eine Platte von – zum Beispiel – Run D.M.C." Und was man hatte, tauschte man natürlich untereinander. Für uns war das Goldstaub, nicht zu vergleichen mit heute. Man musste schon etwas experimentierfreudiger herangehen.
Wie experimentierfreudig mussten Sie denn an den Soundtrack zum Film herangehen?
Scharf: Schon auch etwas. Ich hab mich sehr tief in die Originalsounds eingehört. Manches davon finden unsere heutigen Ohren sicher nicht mehr so reizvoll. Und die richtigen Hymnen, die man auch heute noch hört, sind einfach wahnsinnig teuer. Ein paar davon haben wir bekommen, aber darüber hinaus haben wir mit Marc Collin und Jazzanova auch ganz tolle Komponisten gefunden, die da mit einem sehr liebevollen Blick auf den Retrogedanken loskomponierten.
Liebevoller Retrogedanke, das trifft auf "Dessau Dancers" sehr gut zu, finde ich. Der Film macht auf seine Weise total Lust auf Jugend in der DDR, weil es so unfassbar schön einfach ist, rebellisch zu sein. Da reicht schon eine Bewegung oder eine Hose. Und man bekommt das Gefühl, diese ganze DDR war einfach eine auf skurrile Weise unterhaltsame Veranstaltung. Wie authentisch ist das noch?
Scharf: Ja, das ist immer so eine Frage. Ich erinnere mich an heftige Diskussionen darüber am Set zwischen Mitgliedern der Filmcrew, die selbst in der DDR aufgewachsen sind. Jeder hat natürlich seine individuellen Erinnerungen und sein eigenes Bild davon. Es gibt das sehr rigide, dass in "Das Leben der Anderen" gezeigt wird, es gibt Bilder die wehtun, aber eben auch die, die andere Aspekte zeigen. Ich wollte, dass die Zuschauer die DDR aus den Augen von Jugendlichen sehen, die naiv und lebenslustig sind. Mir ist klar, dass ich kein superreales DDR-Bild entwerfe, aber – wer hat denn überhaupt die Herrschaft über dieses superreale Bild?
Wie ist denn ihr Bild der Vergangenheit in der DDR, Herr Salewski? Auch so harmlos?
Salewski: Irgendwie ja. Dass die Stasi an jeder Ecke mit einer Kamera stand, das haben wir so gar nicht wahrgenommen. Wir hatten zwar den Kontakt mit der Polizei, aber nach drei Stunden auf dem Revier ist man eben raus und hat weitergetanzt. Das sind aber ganz individuelle Erfahrungen. Ich kenne aber auch eine Gruppe, in der war sogar eines der Mitglieder ein Informant der Staatssicherheit, was sie erst sehr spät gemerkt haben. Andere wiederum hatten nie das geringste Problem. Ich hatte nur irgendwann keinen Bock mehr, vor den Parteifuzzis zu tanzen. Aber wenn man als Gruppe im "akrobatischen Schautanz" bestehen wollte, musste man eben auch solche Kompromisse eingehen.
Warum ist aus dem Thema "Break Dance in der DDR" letztendlich genau dieser schrille Ost-Tanzfilm geworden und nicht etwa eine Doku?
Scharf: Es gibt einige Gründe aber die einfachsten sind: Wo es ums Tanzen geht, liegt ein Tanzfilm ziemlich nahe und eine Doku gab es schon.
Salewski: Eine deutsche Produktion, die den Mut hat, das Thema so anzugehen, das hatte einfach noch gefehlt. Für uns Breaker von damals ist das natürlich großartig. Klar ist es zwar fiktional, aber es ist trotzdem unsere Geschichte.
Text: teresa-fries - Fotos: Senator, oh