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Lange nicht gesehen, wa? Das ABC des Klassentreffens.

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A - Abitur Der Auslöser für viele Klassentreffen bzw. eben die notwendige Klammer für ein periodisches Zusammentreffen von Menschen, mit denen einen eigentlich nichts mehr verbindet. Eine der wichtigsten Aufgaben auf einem Klassentreffen besteht deswegen darin, das Abitur und die Zeit die man dafür zusammen verbracht hat, schwerstens zu schönen – auch wenn man das ganze Jahr lang keine Minute mehr daran gedacht hat.

B - Bier Der Motor jedes guten Kassentreffens. Nur ein gewisser Pegel ermöglich ja überhaupt dieses lockere Durchgereichtwerden, diese ganzen schrecklichen Mini-Gespräche, in denen möglichst viel Angeberei auf möglicht unverfängliche Allgemeinplätze verteilt ist. Und weil man es zwischenzeitlich überhaupt nicht erträgt, trinkt man viel schneller viel mehr, als man sich eigentlich vorgenommen hatte. Dabei gibt es wiederum nichts Hässlicheres, als als Erster auf dem eigenen Klassentreffen in die Rabatte zu kotzen. Dann lieber vorher stiller Abgang nach Hause. C – Clique Als verschworene Einheit sich in unlustigen Insider-Witzen suhlend hast du sie vor Jahren auf dem Schulhof verabschiedet. Sich in genau diesen Insidern suhlend, triffst du sie jetzt wieder an. Noch immer verschworen. Gleicher Kreis, gleiche Außenansicht. Irgendwie skurril, irgendwie lächerlich. „Gesellschaftliche Strukturen“, denkst du und weißt, dass sich das mit der Grüppchenbildung weder im Studium noch im Job ändert.


D – Dick geworden Der Trend geht mit der Zeit zur Hüfte. Bei Männern in Richtung Bauch, ganz klar. Die Mehrheit derer, die sich in den letzten Jahren kilomäßig verändert haben, sind dicker geworden. Das bemerkst du gleich zu Beginn des Treffens und freust dich heimlich, dass es bei dir noch nicht so weit ist. Du planst hämisch, vor der fiesen Ziege, die immer einen Superkörper hatte, inzwischen aber eher einer Dampfnudel ähnelt, ganz besonders reinzuhauen. E - Eigentlich wollte ich nicht mehr kommen Die klassische Taktik all jener, die nicht sicher sind, ob sie dem psychischen Druck eines Klassentreffens standhalten werden. Sie kommen dann eben doch, natürlich, weil die Neugier stärker war. Natürlich halten sie dem Druck dann aber auch nicht stand und beschweren sich hinterher und bekunden, dass sie nächstes Mal ja auf keinen Fall mehr hingehen werden. F - Flirt Obwohl es niemand öffentlich zugeben würde, erscheint einem so ein Klassentreffen ja auch als ideale Bühne für den unerwarteten Flirt, als Freibrief für moralische Nachlässigkeit und lockere Zunge. Schließlich sind immer diverse Ex-Partner da, mit denen man jetzt, nach so vielen Jahren, noch mal oberlocker drüber lachen kann – und vielleicht auch oberlocker ein bisschen anfassen, zu später Stunde. Schließlich wird man vielsagend feststellen, dass man damals einfach zu jung war und sich wünschen würde, man hätte sich erst ein paar Jahre später kennen gelernt – treuherziges, bierschweres Nicken. Gehen wir raus, noch eine rauchen? Wie ist dein Freund in Frankfurt denn so? Aha. Es wird selten was draus, aus diesen Flirts, aber es kribbelt an alten Stellen und gar nicht mal schlecht. Andererseits kommen Gesichter, die man damals in seinem Herzen rumgetragen hat, ohne dass je etwas daraus wurde – vielleicht geht ja jetzt was? Schließlich hat man zwar weniger Haare, aber immerhin einen eigenen Golf vor der Tür. Gleich mal rübergehen.

G - Gasthaus Die ideale Lokalität für die Klassentreffen ist natürlich DIE Kneipe von früher, wo man eben immer war, wo alles irgendwie begann. Wenn dann noch klar ist, dass sich alle an einem gewissen Datum dort einfinden, ohne Ketten-Mail und Rundrufe, dann hat man schon den richtigen Rahmen dafür. In zwanzig Jahren dann werden alle fünf Jahre Klassentreffen in Tagungshotels stattfinden, und zwar dort dann im Gutsherrensaal.


H – Heimat Die Heimat ist allgemeiner Schauplatz diverser Klassentreffen und ähnlicher Wiedersehen. Du suchst sie auf, teils nachsichtig belächelnd, teils gerührt ob ihrer unglaublichen Vertrautheit. Die Heimat ist das große Haus, in dem du und die anderen mal gewohnt haben. Deine Heimat gibt bei jeder Rückkehr einen Blick frei auf die Personen, die du im Laufe deines Lebens schon gewesen bist und bleibt unter Umständen der letzte gemeinsame Nenner, auf den du mit deinen Klassenkammeraden kommst. I – Immer noch Es gibt eine seltene Spezies unter den sich Versammelnden: die immer noch Pärchen. Das Phänomen beschreibt jene archaische romantische Allianz zweier Menschen, die sich bereits in der Oberstufe anbahnte und bei diversen Klassenfahrten und Abi-Orgien ihren Zenit bereits überschritten zu haben schien. Nun aber muss konstatiert werden, dass sich die betroffene Spezies noch immer an Händen und Lippen hängt. Langeweile? Bequemlichkeit? Oder vielleicht doch die große, große Liebe?

J - Job Das Oberthema jedes Klassentreffens - am heißesten nachgefragt in den Jahren fünf bis acht nach dem Abitur, wo also die Studien langsam zu Ende gehen und sich die große Kluft auftut. Da gibt es die, die gerade noch Praktikum machen, die, die zwar fertig sind aber überlegen, ob sie nicht doch noch promovieren und diejenigen, die tatsächlich ganz schnell bei Boston Consulting oder beim ZDF gelandet sind. Wohl dem, der so ein klar umrissenes Signalwort nennen kann. Wer schon mit: „Also ich arbeite für eine Firma, die eigentlich Zulieferer ist für eine andere Firma, in der so Computerteile hergestellt werden, darum geht es bei mir aber gar nicht, sondern ich bin eher in der Personalabteilung“ ankommt, hat es deutlich schwerer, sich Ansehen zu verschaffen. Für diese Job-Gesprächsrunden braucht man ein stabiles Kreuz – die größten Vollpfosten fahren erfahrungsgemäß mit Dienstwagen vor, die anderen, die man einst immer abschreiben ließ, reden ständig vom 16. Monatsgehalt und Bonus-Shopping in New York.


K – Kinder Wer-hat-sie-schon? Wer-kriegt-sie-bald? Kinder sind (neben Haarausfall, siehe „O“) der wohl sichtbarste und faszinierendste Beweis des Erwachsenwerdens. Daher ist das Interesse am Gebärmutterzustand der gleichaltrigen Damen besonders hoch, besonders unter Ihresgleichen. Zum Treffen mitbringen? Ganz schlecht. Rumzeigen sollte man da nur die bessere Figur und das schicke Auto. Außerdem erweckt das den Eindruck, die Mutter wolle sich anschaulich dafür rechtfertigen, bis heute ihren Abschluss nicht gemacht zu haben. L – Lehrer Einer, genau einer hat es geschafft zu kommen. Er sitzt leicht unbeholfen mit am Tisch und diskutiert mit dem ehemaligen Klassenprimus über den Zustand an der Schule heute im Vergleich zu damals. An den Namen des Schülers kann er sich allerdings nicht mehr erinnern und versucht daher krampfhaft, das direkte Ansprechen zu umgehen. Um 23 Uhr verlässt er leicht angeheitert das Lokal und fragt sich, ob er so langsam zu alt für seinen Beruf ist.

M - Melancholie Bei allem Lästern und Schlimmfinden – irgendwie kommt man doch auch in nostalgische Stimmung beim Klassentreffen. Vielleicht, wenn man nach vier Bier auf die Kneipentoilette wankt und da dann tatsächlich noch das miese Edding-Tag sieht, zu dem einen der dazugehörige Abend vor acht Jahren wieder einfällt. Oder wenn der alt gewordene Kneipenwirt einem immer noch genau so zunickt wie früher, wenn man zur Tür reinkommt. Und weißt du noch, wie wir dem Adams-Familiy-Flipper zehn Freispiele abgetrotzt haben? Oder die Freistunden im Café? Oder als der Bus bei der Abifahrt nach Neapel beide Spiegel abgefahren hat. Ach, irgendwie, gut war’s schon. N – Nicht-Kommer Der ominöse leere Platz neben dir steht symbolisch für all jene, die heute nicht gekommen sind. Es sind die Gleichen, die schon zum Abiball nicht erschienen sind, weil sie Systemkonformität strikt ablehnten und ihre Werte schon in der gemeinsamen Feier mit der Lehrerschaft verraten sahen. Es sind die Gleichen, die ewig genervt von den Albernheiten ihrer Kollegen waren und lautstark verkündeten, „den ganzen Scheißhaufen nach dem Abi nie mehr sehen“ zu wollen. Sollen sie wegbleiben.


O - Oben Ohne Die nettesten Momente eines Klassentreffens haben oft mit dem Haaransatz zu tun – beziehungsweise mit dessen Verschwinden. Wenn einem ein Glatzkopf in die Arme fällt und standhaft behauptet, er wäre Jan, den man zuletzt allerdings mit Dread-Locks gesehen hat, dann wird doch recht deutlich bewusst, wie die Zeit vergangenen ist. P - Promi-Faktor Einen oder zwei Mitschüler gibt es in jeder Klassenstufe, von denen dir deine Mutter vielleicht auch unterm Jahr schon berichtet hat - sie hat sie im Fernsehen gesehen oder in der Zeitung von ihnen gelesen. Dort erschienen die Mitschüler, weil sie bei einem Zweitliga-Fußballverein spielen, mit ihrer Band doch bekannter geworden sind, als man damals dachte oder eine Nebenrolle im Marienhof haben. Diese „Promis“ kommen mit besonderer Vorliebe zum Klassentreffen, weil sie sicher sind, dass sich um sie eine Corona aus haltlos Neugierigen und Claqueuren bildet, die begierig jede Anekdote aufsaugen. Sie kommen aber auch, weil sie wissen, dass in der anderen Ecke des Raumes Neid und Missgunst zu Tisch sitzen, bei denen, die eigentlich mal als die großen Theater-Talente oder Sport-Asse galten. Q – Qual Unter nicht wünschenswerten Umständen kann ein Klassentreffen zur Qual werden. Wenn du dich gerade von deinem langjährigen Freund getrennt hast und die noch verquollenen Augen auf plötzliches Mitgefühl uralter Freunde stoßen. Oder wenn du seit einem Jahr schon dein Studium abgeschlossen hast, im Praktikantenstrudel gefangen bist und noch immer keine Festanstellung in Sicht ist. Dann wird die Fragerei der ehemaligen Kollegen zum schmerzhaften Spießrutenlauf. Am besten, du denkst dir in dem Falle vorher eine glaubwürdige Notlüge aus. Die müssen ja nicht alles wissen.


R - Randgruppen Naja, die gab es ja nun mal in jeder Schulzeit – die komischen Typen mit fettigem Pferdeschwanz und Sweatshirts in der Hose, die zwei Mädchen, die seit der Grundschule mit niemand anderem sprachen, der Olli, der nicht ganz richtig war, etc. Dieses Personal sucht nach der, vermutlich höllischen Schulzeit entweder für immer das Weite – oder es taucht als Stammgast bei jedem Klassentreffen auf. Da nämlich, mit dem Abstand von fünf Jahren, klappt plötzlich, was in den dreizehn Jahren Schulzeit schwierig war – dabei sein am großen Tisch, mit allen zwanglos quatschen und sogar witzeln, auch mit den ehemaligen Cool-Weltmeistern. Die allerdings fühlen sich Jahr auf’s Jahr neu beklommen – wer ist das noch mal, der mir da dauernd auf die Schulter haut? S – Supertyp Jeder Mensch hat seine persönliche Sternstunde/Hochzeit im Leben. Seine ist ganz offensichtlich vorbei. Unfassbar verknallt warst du in diesen Typen, der so locker lässig über die heimatlichen Halfpipes skatete, Mädchen als Beweis seiner Zuneigung in den Mülleimer setzte und später mit wummerdem Bass über den Schulhof fuhr. Er war immer das entscheidende Bisschen cooler als die anderen, das scheint ihm zu Kopfe gestiegen zu sein. Noch die gleichen Klamotten, das Gesicht grau vom Nikotin, ein Blick, der resigniert das Treiben wahrnimmt. Nach der Halfpipe kam wohl nicht mehr viel. „Der hat schon sein drittes Studium abgebrochen“ raunt man und weiß nicht, ob auslachen oder bemitleiden die bessere Reaktion ist.

T - Tratsch Eine nicht zu unterschätzende Motivation, beim Klassentreffen aufzutauchen, ist diese gewisse Neugier, was manche Gerüchte betrifft. Denn die ereilen auch denjenigen regelmäßig, der gar nichts mehr mit der Schule zu tun hat. Irgendein alter Freund, den man im Zug trifft, weiß irgendwelchen Tratsch: dass die scharfe Jana wahnsinnig dick geworden ist, dass der Andi sich ja schon wieder scheiden lässt und der Jens, du glaubst es nicht ... Kann das wirklich sein? Da muss man doch mal nachschauen. Leider kommen die Personen, auf die sich der interessanteste Tratsch vereint meistens nicht – genau deswegen.


U – Und was machst du so? Die berüchtigtste aller Gesprächseinstiegsfragen. Achtung, das „und“ und das „so“ suggerieren Unbefangenheit. In Wahrheit aber ist diese Frage meist kein Beleg ernsthaften Interesses an deiner persönlichen Entwicklung, dem ein Vortrag zu den kulturtheoretischen Aspekten deiner Promotion folgen sollte, nein, sie ist der hilflose Versuch, die grauenvollen ersten Minuten zu meistern, eine Brücke zu schlagen in deine Gegenwart. Dort angekommen, dürfte das Gespräch leichter fallen. Wenn nicht, verabschiedest du dich mit einem dezenten „Na dann mach’s mal noch gut“. V – Verheiratet Ähnlich wie die Frage nach den Kindern erfreut sich auch das Thema Heiraten auf Klassentreffen besonderer Beliebtheit. Proportional zu der seit dem Abi vergangenen Zeit verschiebt sich der Sichtwinkel von „ach krass, du bist schon verheiratet?“ über „Jetzt wird’s auch für dich ernst, was?“ hin zu „Kopf hoch, die Richtige kommt schon noch“. Netter Partyeffekt natürlich, wenn die, die es schon getan haben ihren Ehepartner zur ausgiebigen Begutachtung auch mitbringen. Das schürt den Neid. Oder dient dem allgemeinen Amüsement, je nachdem. W – Wiederbelebungsversuch, hoffnungslos Zwischen all den halbfremden Menschen sehe ich sie sitzen. Ich glaube, ich schulde ihr noch immer ein Bounty aus der Schulkantine, weil ich die Wette verloren habe und damals nach dem fünften Colaweizen doch noch in ihren Schlafsack gekotzt habe. Wir haben unglaublich viel zusammen gelacht, geweint und uns irgendwie doch aus den Augen verloren. Keine Ahnung, warum. Ich gehe auf sie zu – sie grinst noch so verschmitzt wie früher – und versuche, mit ihr zu sprechen. Irgendwo da muss sie doch sein, die Vertrautheit, die bis ins Mark reichte und für eine wichtige Zeitlang zu meinem größten Halt wurde, meinem „ohne wenn und aber“. Ich fand sie nicht. Ich war etwas geknickt, sie wünschte mir alles Gute. Das mit dem Bounty hab ich nicht erwähnt.

Y - Yuppies Sie bilden gern eigene Gesprächsgrüppchen, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln stellen sie zunächst fest, dass es hier ja wohl immer noch nichts Änständiges zu trinken gäbe, dass die Business-Lounge von Lufthansa stark nachgelassen habe und erörtern dann, warum ihnen die Finanzkrise nichts ausmacht. Wenn du aus Versehen in diese Gruppe torkelst und zum gemeinsamen Nackt-Kicker-Spiel aufforderst, erntest du hüstelndes Lächeln und den Hinweis, dass man sich gerade unterhalte. Probates Gegenmittel: Sich vorstellen, wie diese distanzierten Herren in zwanzig Jahren in irgendeinem kaltrauchigen Hochhaus-Aufzug einen Herzinfarkt erleiden werden.

Z - Zeit, die gute alte Wenn sie endlich heraufbeschworen wird, dann leert sich die Kneipe vermutlich schon wieder. Aber am ehemaligen Stammtisch sitzen ein paar Gestalten hinter ihren Weißbiergläsern und kommen nicht mehr hoch. Unablässig schwadronieren sie davon, dass man nächstes Jahr doch vielleicht noch mal eine richtige Party organisieren müsste, ein Zelt aufstellen und so, wie früher eben, als es doch richtig lustig war. Da nicken die anderen, denn daran können sie sich auch noch erinnern – vor allem weil seitdem nicht Erinnernswertes mehr vorgefallen ist. Krampfhaft halten sie diese Erinnerungen fest und frischen sie bei jedem Klassentreffen wieder auf, auch wenn außer ihnen niemand mehr Wert darauf legt. Sie sind auch die einzigen, die das mit dem Alkohol nicht in den Griff bekommen haben und vom Wirt um halb drei rausgeschmissen werden. Immerhin – fast wie damals.

Text: max-scharnigg - und Christiane Lutz, Illustrationen: Katharina Bitzl

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