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Kurzbesuch im Flüchtlingslager
Vier Tage an der Grenze zum Krisengebiet: In den Osterferien besuchten die Schüler Jonas Vallentin (18) und Charlotte Hallbauer (18) aus Neumünster in Schleswig-Holstein mit der Hilfsorganisation "Schüler helfen Leben" ein syrisches Flüchtlingslager in Nordjordanien. Wie es den Flüchtlingen dort geht, haben sie uns im Interview erzählt.
Jetzt.de: Wie ist die Situation in dem Flüchtlingslager?
Jonas Vallentin: Za'atari ist eine Zeltstadt in der Wüste mit 150 000 registrierten Flüchtlingen. Es ist ein befremdliches Gefühl, wenn man dort hinfährt und die Zelte in der prallen Mittagssonne stehen sieht. Im Sommer werden es leicht 45 Grad im Schatten, aber es gibt dort keinen Schatten. Die Situation ist sehr kritisch, weil es immer mehr Menschen werden, pro Nacht kommen 2000 bis 6000 Flüchtlinge dazu. Teilweise Kinder, die alleine über die Grenze geschickt werden, 20 Kilometer im Kugelhagel durch das Geröll kriechen mussten. Die Hilfsorganisationen geben aber ihr Bestes, die Situation mit Wasser- und Lebensmittellieferungen zu verbessern.
Jetzt.de: Wie habt ihr die Stimmung der Flüchtlinge wahrgenommen?
Jonas Vallentin: Tagsüber gibt es für die Kinder Betreuungseinrichtungen, ein bisschen wie Kindergärten und Schulen. Hier ist die Stimmung positiv, die Kinder sind froh, dass sie betreut werden, mal lachen und spielen können. Aber außerhalb der umzäunten Gebiete sind Hoffnungslosigkeit und Aggression vorherrschend. Die Flüchtlinge, mit denen wir gesprochen haben, möchten einfach so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückkehren. Aber sie hängen in einer Schwebe, wissen nicht was in den nächsten Tagen, Monaten oder Jahren passiert, ein Ende des Bürgerkriegs ist nicht in Sicht. Außerdem steht die Frage im Raum, was passiert, wenn immer mehr Flüchtlinge kommen, weil die Kapazitäten des Camps bald erschöpft sind. Die Menschen leiden unter der Perspektivlosigkeit und Zukunftsunsicherheit. Gewalt und Kriminalität nehmen: Diebstähle, Vergewaltigung, Frauenhandel und Drogenhandel.
Das Flüchtlingslage Za'atari liegt 13 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Die meisten Flüchtlinge kommen nachts, um an den bewachten Grenzen nicht von den syrischen Soldaten aufgegriffen zu werden.
Jetzt.de: War euch die Situation als "Touristen" vor den Flüchtlingen unangenehm?
Charlotte Hallbauer: Ein mulmiges Gefühl hatte ich schon, weil ich mich an Stelle der Flüchtlinge auch nicht auf dem Präsentierteller fühlen wollen würde. Allerdings mussten wir leider einige Fotos machen, damit wir helfen können, den Menschen, die selbst nicht da waren, die Zustände deutlich zu machen. Andererseits haben wir darauf geachtet, dass wir vor allem in den Sicherheitsbereichen der Kinderbetreuungen Fotos machen und zum Beispiel nicht von den Familien im Flüchtlingslager. Es war uns sehr wichtig, dass wir auf die Privatsphäre der Flüchtlinge Rücksicht nehmen. Und wir haben stark darauf geachtet, wie die Menschen auf uns reagieren.
Jetzt.de: Warum seid ihr als Schüler mit der Hilfsorganisation nach Jordanien gefahren?
Jonas Vallentin: "Schüler Helfen Leben" will die Hilfsorganisation "Save the children" bei einem Projekt für die Jugendlichen in dem nordjodanischen Flüchtlingslager unterstützen. Die Jugendlichen sollen Bildungsangebote und psychosoziale Betreuung erhalten, um ihre Traumata aufzuarbeiten. Gerade weil "Schüler Helfen Leben" von Schülern getragen wird, ist es wichtig, dass nicht nur Angestellte hinfahren, sondern gerade auch die Schüler. Wenn man in der Zeitung von Flüchtlingen liest, ist ihre Situation nicht greifbar. Aber gerade weil wir Schüler diese prägenden Eindrücke gemacht haben, können wir jetzt unsere Stimme für die Flüchtlinge einsetzen, um die Gesellschaft zu sensibilisieren. Bei einer Schultour werden wir unsere Erfahrungen auch in verschiedenen Klassen vorstellen.
Jetzt.de: Wie reagierten eure Eltern auf die geplante Reise?
Charlotte Hallbauer: Ich bin schon seit 2008 bei Schüler Helfen Leben. Von daher weiß meine Mama schon, das ich öfters mit der Hilfsorganisation unterwegs bin. Sie war skeptisch bei Jordanien, beziehungsweise hatte Angst um mich. Aber im Endeffekt hat sie mich gehen lassen, weil sie weiß, dass die Leute dort diese Hilfe benötigen.
Jonas Vallentin: Bei mir war das auch so. Meinen Eltern fanden es toll, dass ich die Möglichkeit bekomme und mich engagieren kann. Aber sie meinten auch, wie das mit der Sicherheit in Jordanien so ist. Meine Mutter war ganz, ganz aufgeregt, was das anging.
Die Schüler Jonas Vallentin, Merle Goßing und Charlotte Hallbauer (von links) besuchten vier Tage lang Nordjordanien. Im Interview sprechen Jonas und Charlotte über ihre Eindrücke.
Jetzt.de: Nächste Woche geht bei euch die Schule wieder los. Habt ihr da Zeit, die Eindrücke der Reise zu verarbeiten?
Charlotte Hallbauer: Ich merke schon eine ziemliche Reizüberflutung, am Donnerstagabend konnte ich nach der Ankunft in Deutschland nicht schlafen. Ich habe so viele Bilder im Kopf, so viele Menschen kennengelernt.
Jonas Vallentin: Ich bin in der Abschlussklasse und stecke mitten im Abitur. Deswegen ist es notwendig, schnell wieder in den Alltag reinzufinden. Bis Dienstag haben wir aber noch Ferien und die Zeit werde ich mir nehmen, um zu verarbeiten, was ich erlebt habe.
Jetzt.de: Hat sich durch die Reise euer Verständnis für den Syrien-Konflikt stark verändert?
Jonas Vallentin: Ich hab vor der Reise unheimlich intensiv Nachrichten verfolgt, aber es ist schon erschreckend, wie wenig in den Medien eigentlich rüberkommt. Man steht da und denkt, man hat sich gut informiert und muss feststellen, dass man im Endeffekt unwissend ist. Vor allem die persönlichen Schicksale der Flüchtlinge können die Medien allein wegen des Umfangs der Berichterstattung nicht einfangen, da geht viel verloren.
Text: dorothea-wagner - Fotos: Schüler Helfen Leben