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Kunst Kauf Rausch: Die Suche nach dem perfekten Bild - Teil 4: Der Künstler
Er wohnt klein, aber gemütlich in einer kopfsteingepflasterten Einbahnstraße. Sein Klingelschild ist ein Post-It, auf dem sein Name mit Kugelschreiber geschrieben steht. Sehr enttäuschend. Immerhin: Der Zusatz „Atelier“ verrät, dass hier ein Kreativer wohnt. Nicht der Künstler empfängt mich an der Tür, sondern sein Kater, schwarz-weiß gescheckt und unglaublich dick. „Sicher heißt du Leonardo, Pablo oder Hieronymus“, sage ich zu ihm, als ich mich an ihm vorbeidränge. Altbau, zwei Zimmer, Küche, Bad. Eines der Zimmer wurde zum Atelier umfunktioniert. Staffeleien, leere Leinwände auf Holzrahmen, Farbtuben, Schüsseln, Pinsel. Die ganze Wohnung riecht nach Mittagessen. „Willste ne Frikadelle?“ ruft er aus der Küche. „Danke“, rufe ich zurück, „hab gerade gegessen.“ Kauend schlurft der kleine, gedrungene Mann in sein Atelierzimmer und würdigt mich keines Blickes. Er ist Anfang vierzig, hat graues Haar, trägt Jeans und ein graublaues Baumwollhemd. Rein physiognomisch könnte er der gemeinsame Sohn von Joseph Beuys und Humphrey Bogart sein, einen Hut trägt er aber nicht. Der Kater streicht mir um die Beine. „Heißt Ihr Kater Hieronymus?“, versuche ich einen Gesprächsanfang. „Siez mich nicht, ich hasse das“, sagt Bogart genervt. „Und nein“, fährt er fort, „der hat überhaupt keinen Namen. Katzen brauchen keinen Namen, man kann sie eh nicht rufen. Die kommen, wenn sie Lust dazu haben, weißt du das nicht?“ Er lässt dem Kater einen Hackfleischklumpen vor die Nase fallen, der sofort von ihm verschlungen wird. „Eigentlich“, lenke ich ab, „wollte ich mit Ihnen, also mit dir…“ – „Na, das wird ja wohl jetzt hoffentlich kein unmoralisches Angebot“, fällt er mir ins Wort. „Oh Gott, ich hätte es wissen müssen. Wenn schon einer anruft wegen ‚Kunst’ – das kann ja nur ein Spinner sein oder einer, der mich ins Bett kriegen will.“ Er ist sehr ehrlich und direkt, das muss man ihm lassen. Und er isst eine Frikadelle nach der anderen. Ich bin irritiert. „Nein, nein – Sie verstehen das völlig falsch!“, versuche ich eine Erklärung, doch umsonst. „Was bist du – so ein unterwürfiges Maso-Bürschchen?“, fährt er mich an. „Hör mit dieser elenden Siezerei auf, sonst muss ich kotzen!“
Rembrandt van Rijn: "Selbstportrait als Apostel Paulus" (1661; Foto: dpa) „Also noch mal von vorn“, sammle ich mich. „Ich habe daheim eine große, leere Wand. Da muss ein Bild hängen, aber meine Freundin will kein altes Filmplakat, und ich habe keine Lust auf so einen zynischen Audrey-Hepburn-Druck von Ikea. Ich war schon auf Ausstellungen, in Galerien und Esoterikläden, habe mich abfüllen lassen und Klos reparieren geholfen, aber immer noch keine Ahnung, wie ich an ein Bild rankommen soll.“ „Klos reparieren geholfen?“, fragt Bogart ungläubig. „Lange Geschichte“, winke ich ab. „Aber das ist auch gar nicht der Punkt. Ich will ein Bild. Malen Sie mir eins? Ich meine du?“ „Aber ja, natürlich!“, schreit er plötzlich und springt euphorisch auf und ab. „Danke, dass du mich aus meinem kleinen, unbedeutenden Leben rettest und mir die Möglichkeit gibst, mich endlich künstlerisch voll zu entfalten, oh du willkommener Mäzen. Ich sprühe schon vor lauter Einfällen, ja, ich fühle mich plötzlich stark und bedeutsam! Ich bin ein wilder Erneuerer und kann mir gar nichts Schöneres vorstellen“ - abrupt bleibt er stehen und funkelt mich böse an - „als für zwei gelangweilte Yuppie-Arschlöcher, die sich für Ikea zu schade sind, ein einzigartiges Meisterwerk zu erstellen!“ Jetzt merke selbst ich, dass er es nicht ernst meint. „Hören … hör mal“, beruhige ich, „ich bin nur hier, weil du in der Zeitung inseriert hast: ‚Künstler (dipl.) erstellt individuelle Kunstwerke für Ihr Zuhause – ganz nach Ihren Vorstellungen.’“ „Ihr Leute denkt aber auch, man könnte alles einfach kaufen, wie?“, regt er sich auf und imitiert eine hohe Frauenstimme: „Oh, Schatz, diese doofen, doofen Ikea-Drucke. Lass uns irgendeinen Asi finden, der Kunst studiert hat und jetzt Hartz IV bezieht, der freut sich bestimmt über eine warme Mahlzeit und eine Gelegenheit, mal wieder seinen Pinsel ins Töpfchen zu tunken.“ Wütend blickt er mich aus den Augenwinkeln an, ehe er sich umdreht, um seinen Frikadellenteller in die Küche zu bringen. Ich folge ihm, er setzt sich an einen Resopaltisch und dreht sich eine Zigarette. Auf dem Tisch liegen mehrere geordnete Stapel Postkarten mit kitschigen Kalendermotiven – Fotos von Vogelschwärmen am Himmel, kahlen Bäumen im Winter, sommerlichen Blumenwiesen. Alle Motive haben eine Gemeinsamkeit: ein Herz. Die Vogelschwärme fliegen herzförmig, die Kronen der kahlen Bäume sind herzförmig, die Blüten auf den Wiesen ebenfalls. „Wow“, staune ich. „Hast du die gemacht?“ „Nein“, sagt Bogart grimmig, „ich habe die alle gekauft, weil sie so wunderschön sind und ich gar nicht genug davon kriegen kann - natürlich habe ich die gemacht, Sherlock! Was denkst du denn?“ „Ich denke“, sage ich wissend, „dass du ernsthaft an deinem Stil arbeiten musst. Und ich denke, dass du mit den Herzen wirklich dein Motiv gefunden hast.“ „Haha, sehr witzig“, sagt Bogart und spuckt einen Tabakkrümel von der Zungenspitze. „Der Verlag zahlt mir dafür gutes Geld. Besser als gar nichts, oder?“ „Kannst du von deinen echten Bildern denn nicht leben?“, frage ich vorsichtig.
Vincent van Gogh: "Selbstportrait als Künstler" (1887; Foto: dpa) Er holt tief Luft und verdreht die Augen. Und dann fängt er an mit seiner Geschichte. Von seinem viel versprechenden Studium, seiner Ex-Frau, seiner fast volljährigen Tochter, die immer nur „Warmduscher und andere Arschlöcher“ als Freunde hat, von seinem Job als Kunstlehrer, den er wieder aufgab („Alles frustrierte Hilfspädagogen und halbwüchsige Asoziale!“) und von seiner Rückkehr in die „wohlige Wärme seines kleinen Hartz-IV-Nests“. „Hier hab ich wenigstens meine Ruhe, und diese Photoshop-Postkarten-Jobs – ja, die sind mies, aber leicht verdientes Geld.“ Wir trinken mittlerweile Jägermeister aus einer Einliter-Flasche und rauchen um die Wette. „Mal mir ein Bild“, sage ich. „Geht nicht“, sagt er. Ich dränge: „Komm schon. Ich zahl dir auch einen guten Preis.“ Er prustet verächtlich. „Ein guter Preis“, erklärt er dann, „ist einer, der mich für zwei, drei Monate über Wasser hält. Kannst du das bezahlen?“ „Nein, kann ich nicht. Wieso sind Bilder eigentlich immer so teuer?“, frage ich enttäuscht. „Die Formel lautet: Höhe plus Breite in Zentimeter mal Künstlerfaktor“, rechnet er vor. Künstlerfaktor? „Der wird am Bekanntheitsgrad bemessen und steigt zum Beispiel, wenn man schon mal in einem Museum ausgestellt hat, Kunstprofessor ist oder in Leipzig wohnt, haha. Meiner liegt bei drei. Wenn ich dir also ein Bild male, das einen mal einen Meter groß ist, dann sind das hundert plus hundert mal drei - macht?“ „Sechshundert“, sage ich niedergeschlagen. „Genau“, sagt Bogart triumphierend. „Sechshundert. Und das ist nicht teuer, sondern in etwa meine Miete. Hätte ich einen Galeristen, würde der da noch vierzig Prozent Provision draufschlagen. Funktioniert aber nicht, hab ich schon ein paar Mal ausprobiert. Dann werden die Bilder so teuer, dass sie überhaupt niemand kauft.“ „Deswegen die Anzeige“, kombiniere ich. „Du sagst es, Sherlock“, sagt Bogart. „Und wie dir vielleicht aufgefallen ist, sind meine Ligne-Roset-Möbel noch nicht geliefert worden, und mein Bentley ist noch in der Werkstatt. Ansonsten rennen mir die Käufer nur so die Bude ein, wie du siehst.“ „Bitter“, denke ich, als ich den letzten Tropfen Jägermeister hinunterkippe. Ein Bild habe ich immer noch nicht, aber wenigstens weiß ich jetzt, wie man den Preis für ein Bild ermittelt, und warum Künstler das Geld dringend brauchen. +++ Hier geht es zu den ersten drei Teilen der Kunst Kauf Rausch-Kolumne: Teil 1: Die Wand Teil 2: Die Ausstellung Teil 3: Galerien