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Kunst Kauf Rausch: Die Suche nach dem perfekten Bild - Teil 2: Die Ausstellung
Weitergeleitete E-Mail vom Kollegen im Postfach: Liebe Freunde, Nachwuchstalente (Kunsthochschule, Abschlusssemester) stellen aus. ART is LOVE is ART Vernissage am 1. Dezember, 19:00h Kommandanturstr. 38, Rückgebäude Kommt zahlreich und bringt Freunde mit. Klingt ja fantastisch, denke ich. Genau das, was ich suche: Eine selbst organisierte Guerilla-Ausstellung von Kunsthochschulstudenten „im Rückgebäude“. Bestimmt sind die Wände dort verfallen und mit Graffitis besprüht, und zu trinken gibt es Rotwein aus der Tüte oder Leitungswasser aus dem Plastikeimer.
"Parole: Digital (2.0)" - Farbbeutel auf Silberfolie Während der ICE-Fahrt zum Ausstellungsort nicke ich ein und träume von Frauen mit exzentrischen Frisuren und teuren Kleidern, von Männern mit großen Hornbrillen und Leinenanzügen. Alle stehen vor gigantischen Ölgemälden und diskutieren über Kunst als Wagnis zur Andersartigkeit. Mittendrin stehe ich, staune über so viel Kulturbeflissenheit und freue mich über ein überraschendes Angebot: „Segen der Stille“, Teer auf Rohseide, 180 mal 200 Meter: 79,90 Euro. Endstation – aufwachen. Auf dem Hinterhof des Mietshauses mit der Nummer 38 stehen etwa zehn Menschen um einen kleinen Campingtisch, auf dem Teelichte flackern. Es ist kalt, darum wird Rotwein (aus Flaschen) und heißer Tee (wahlweise mit einem Schuss Rum) gereicht. Ich lasse mir von einem netten Mädchen mit einer Sherpamütze einen Grog mixen, denn mir fallen vor Kälte fast die Finger ab. Das angrenzende Rückgebäude ist ein Flachbau, hübsch heruntergekommen, beinahe baufällig – genau so habe ich mir das vorgestellt. Die Ausstellung beinhaltet 15 Werke von vier Künstlern und erstreckt sich über drei sehr große von Neonröhren beleuchtete Räume, in denen sich außer mir jeweils eine bis zwei Personen aufhalten. Die ersten Bilder sind grauenhaft. Dunkle, matschige Töne überlagern sich in öligen Schlieren auf dicken Holzbrettern im geschätzten 15-mal-20-Zentimeter-Format. Formlos, flächig, düster und schlammig und außerdem viel zu klein für meine große Wand. Eher etwas für Nihilisten mit niedrigen Dachzimmerwohnungen. Dazwischen: Großformatige Leinwände mit zerfließenden Neonfarben, grell, hart, very Eighties. Die sehen lustig aus, denke ich zuerst, wahrscheinlich wegen der coolen Titel: „Nexus, Bewegung, Neurose: 8 ist keine Zahl“ finde ich am besten. Nach zweiminütiger Betrachtung beginnt jedoch das Flimmern vor meinen Augen, und mir wird klar: Wenn ich so ein Ding zuhause aufhänge, wohne ich bald allein. Der nächste Raum ist offenbar das ehrgeizige Solostück eines der Aussteller. Es hängen darin ganze drei Bilder, allesamt auf Karton gemalt. Riesige Pappen – wahrscheinlich ehemalige Möbelverpackungen. Die Motive sehen aus wie die Schreckensvisionen misshandelter Kinder: schwarze, geisterhafte Figuren mit fiesen Augen zeigen mit blutigen Fingern auf überfahrene Tiere. Hohe Tannen beugen sich über verlassene Feldwege. Der Stil erinnert an Fingermalereien im Kindergarten. Die Farben sind irgendwie krank – schwefelgelb, neonpink, kadmiumgrün erstrahlen postnukleare Winterlandschaften, die von schwarzen Schatten durchzogen und in die gestreifte Struktur des Papphintergrunds gedrückt werden. Ich bin zwar angewidert, aber gleichzeitig tief beeindruckt.
"Firmament des Schweigens" - Wachsmalkreide auf Backpapier (Toppits) „You like these?“ fragt mich eine Stimme und mahnt mich ungewollt, den Unterkiefer wieder hochzuklappen. Ich fahre herum und spüre den mittlerweile dritten Grog. „Ääh… ja, sure“, stammele ich. Englisch? „Erm - Great work.“ Der junge Mann freut sich professionell über die Kritik. Er stellt sich als der verantwortliche Künstler vor und fragt mich, ob ich auch male. „Ich? Oh nein, haha, ich doch nicht. Nein, nein. So was könnte ich gar nicht. Dazu fehlt mir der Sinn und die ääh … Pappe.“ Mann, dieser Grog. „Oh, you noticed?“, freut sich der Künstler. Er ist klein. Und er trägt einen altmodischen Hut zu einem schwarzen 2nd-Hand-Anzug mit alten Turnschuhen. Er berichtet mir von seiner Arbeit, dass er eigentlich aus Minnesota kommt, aber hier studiert hat und bald sein Studium beendet, seine Freundin auch hier ausstellt (die Grogfrau mit der Sherpamütze – von ihr sind die Neon-Attacken) und dass er Deutschland als Kunsthochburg schätzt. In Amerika sei es viel schwieriger, die Leute an seine Kunst heranzuführen. Auf Pappe malt er am liebsten. Er verwendet Acrylfarben und fixiert sie anschließend mit Haarspray. Seine Art zu reden ist sehr sympathisch und der Grog hat mich hemmungslos gemacht. „Hau matsch for sis one?“, höre ich mich fragen und deute auf eines seiner Werke. Erst dann erkenne ich, dass darauf zwei kopulierende, säugetierartige Wesen unter einem rosa Himmel abgebildet sind. Ich schlage mir innerlich vor die Stirn, doch der Meister erklärt mir geduldig, dass dafür eigentlich sein Galerist hier in der Stadt zuständig sei. Er würde mir das Bild jedoch für 2000 Euro Cash jetzt hier sofort in eine Decke hüllen und mitgeben, weil wir uns so nett unterhalten haben. Über seine Galerie müsste ich eher 3000 Euro für das gleiche Bild hinlegen, könne aber dort auch bequem mit Kreditkarte zahlen. Als mein Hustenkrampf abgeklungen ist, frage ich erschöpft: „Mit Rahmen?“ Der Künstler ist empört. Es gehören keine Rahmen dazu, erklärt er mir. Diese Werke dürften weder gerahmt noch aufkaschiert werden, sondern müssten in ihrer Rohheit direkt an einer weißen Wand hängen – ohne alles. „My work is pure, you know, just as I am.” Schon gut, schon gut. Ich frage ihn, ob er auch etwas Günstigeres hätte oder wenigstens wüsste, wo ich so etwas kriegen kann. Sein Lächeln gefriert. In diesem Augenblick betritt eine grünblonde Frau mit einer gelb gerahmten Brille und einem Mantel aus Kunstrasen den Raum, erblickt meinen Maler, reißt die Arme hoch und schreit: „Daaaaaahling!“ Sie fallen sich in die Arme, küssen sich auf den Mund und verlassen Arm in Arm das Rückgebäude, um sich an der Tee-und-Rum-Bar über doofe, unwissende Vernissagebesucher aus Bayern das Maul zu zerreißen. Ich verlasse schwankend den Hinterhof und höre die Kunstrasenfrau im Gehen noch diverse male „Daaaaahling!“ schreien. Komische Szene, denke ich. Und immer noch kein Bild in Sicht. Wenn ich weiter zu solchen Guerilla-Ausstellungen gehe, werde ich am Ende Alkoholiker oder verrückt. Ich glaub, ich geh lieber mal in eine Galerie. Alle Bilder: Selbstversuche des Autors (Preise auf Anfrage) Wie man sie selbst macht, steht im jetzt.de-Artikel Äktschn Painting wie Jackson Pollock. +++ Hier der erste Teil der Kunst Kauf Rausch-Kolumne.