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Kriegsdienst? Nö, danke: jetzt.de dokumentiert Verweigerungsschreiben
Peter Tobiassen, Leiter der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer , erläutert, worauf es bei der Verweigerung ankommt: 1. Jeder Jahrgang hat etwa 440.000 Wehrpflichtige - die Bundeswehr kann aber nur 60.000 davon als Grundwehrdienstleistende einstellen. Deshalb wird nur etwa die Hälfte aller tauglichen jungen Männer zum Wehrdienst einberufen. Wer gar nicht erst zur Musterung vorgeladen wird, hat Glück: Er ist bei der Behörde vielleicht fälschlicherweise als Mädchen oder Ausländer registriert. 2. Am besten wartet man deshalb, bis einige Monate nach der Musterung der konkrete Einberufungsbescheid (mit bereits zugeteilter Kaserne und Bahnticket) per Post kommt. So hat man immer noch eine 50-prozentige Chance, nicht dienen zu müssen. Wer schon vor der Einberufung verweigert, muss auf jeden Fall Zivildienst leisten - er meldet sich quasi freiwillig. 3. Wenn der Einberufungsbescheid vorliegt, sollte man schnell handeln. Nun gilt es, seine Gewissensgründe glaubhaft zu formulieren. Dabei ist jede Argumentation erlaubt, die schlüssig ist: man kann politische oder religiöse Gründe angeben, auf die eigene Erziehung oder auf prägende Erlebnisse in der Kindheit hinweisen - wichtig ist nur, dass der Weg hin zur Willensbildung nachvollziehbar ist und nicht dem Lebenslauf widerspricht. Wer zum Beispiel angibt, in der Schule als Leistungskurse Deutsch und Geschichte gewählt zu haben, sollte schlüssiger und fundierter argumentieren als etwa ein Hauptschüler. Erscheint die Begründung unausgereift oder schlampig geschrieben, stellt das Bundesamt für den Zivildienst eine Rückfrage. Dann muss die Verweigerung neu formuliert werden. jetzt.de dokumentiert anonym drei Begründungen, wie sie Abiturienten des Jahrgangs 2005 einreichten. Jeder der Schreiber argumentierte von einem anderen Standpunkt gegen den Dienst an der Waffe. Kleines Rätsel: Eines der Schreiben wurde nicht akzeptiert. Welches, erfahrt ihr auf Seite vier. +++
Schreiben 1: Die historisch-philosophische Begründung Krieg ist der Vater aller Dinge. (Heraklit, 500 v. Chr.) Diese These umschreibt metaphorisch den enormen Einfluss, den der Krieg seit Jahrtausenden auf die Menscheit hat. Seit es den Mensch gibt, gibt es Krieg. Durch ihn haben sich höher entwickelte Kulturen Imperien geschaffen, ganze Kontinente erobert. Durch den Krieg haben sich Feldheren und Könige ins Buch der Menschheitsgeschichte eingetragen. Doch abseits von all dem Ruhm, der Ehre und dem materiellen Gewinn, hat der Krieg immer auch Schmerz, Leid und Elend mit sich gezogen. Selbst Kriege, die in erster Linie der Befreiung der Bevölkerung galten, haben dieser meist mehr geschadet als genützt. Schon in früher Kindheit wurde ich zu Pazifismus und Gewaltlosigkeit erzogen. Meinen Eltern war es wichtig, mir die Lösung von Konflikten auf friedlicher Basis, in Gesprächen und Diskussionen, beizubringen. Ich danke ihnen bis heute dafür, mir die Macht des Wortes im Gegensatz zur Waffe gezeigt zu haben. Die Religion spielte in meiner Erziehung nie eine tragende Rolle: bis heute bin ich ungetauft, weder meine Eltern noch meine Geschwister gehören einer Kirche an. Gerade mein von Konfessionen unabhängiger Blickwinkel hat die Abscheu vor jeglicher Gewalt verstärkt. Der Ethik-Unterricht, aber auch die Schulfächer Geschichte und Deutsch haben in mir immer wieder das Bild vom Krieg als unnötiger, sinnloser Auslöschung des höchsten aller Güter, des Lebens, hervorgerufen. Gerade die deutsche Vergangenheit ist von einer besonders hohen Anzahl blutiger Kriege gekennzeichnet, weshalb der Gedanke daran, mich durch den Wehrdienst in die Kette von Millionen sinnlos Gefallener einzureihen, in mir besonders tiefe Verachtung hervorruft. Trotz des Engagements meiner Eltern, mich von gewaltverherrlichenden Spielen abzuhalten, war ich, wie die meisten Jungen zwischen 8 und 10 Jahren, begeistert von Pistolen, Schießereien und Kriegsspielen. Dieser kindliche Enthusiasmus rührte von TV-Serien, Wild-West-Filmen und Computerspielen her und ließ mich den Kampf mit Waffen als Abenteuer, die kriegerische Gewalt als männlich-heroische Selbstbehauptung ansehen. Mit zunehmendem Alter wurden mir jedoch immer mehr die realen Auswirkungen von Gewalttätigkeit bewusst. Rangeleien auf dem Pausenhof, an denen ich früher wie selbstverständlich teilgenommen hatte, wurden mir mehr und mehr zuwider. Ich hörte damit auf, mich für Pistolen und Gewehre zu interessieren und verfolgte die Berichterstattung in den Nachrichten über den Krieg in Jugoslawien nicht mehr mit sensationslüsterner Aufmerksamkeit, sondern mit zunehmendem Ekel angesichts der Maschinerie, die der Mensch zur physischen Vernichtung seinesgleichen benutzte. Es entsetzte mich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Menschen einander töteten, sobald sie in Uniformen unterschiedlicher Nationen steckten. Gleichzeitig schämte ich mich, je den Krieg als ein spaßiges Abenteuerspiel verkannt zu haben. Mein Gewissen richtete sich in den Folgejahren weiter gegen die Anwendung von Gewalt, gegen den Krieg als Ballungspunkt menschlicher Aggression, als die extremste Form der Gewalt. Vor allem die Schulkenntnisse der deutschen Geschichte bestätigten mich in meiner Abscheu gegenüber Militär und Tötungsgehorsam. Seit meiner Kindheit war Krieg ein ständiges Gesprächsthema der Familie meiner Mutter gewesen. Ihre Eltern wurden 1945 aus ihrer Heimat, der Tschechoslowakei, vertrieben, der erste Mann meiner Großmutter sowie der Bruder meines Großvaters waren im Krieg gefallen. Das Kriegstrauma hatte einen stetigen Einfluss auf die Erziehung meiner Mutter – und damit auch auf mich. Ich kann es nicht verantworten, in den Wehrdienst zu treten. Erhielte ich den Befehl, auf einen Menschen zu schießen, ich müsste ihn verweigern. Mein Gewissen verbietet es mir, eine Waffe zu benutzen. Daher berufe ich mich auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 4, Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes.
Schreiben 2: Die wirtschaftlich-grundrechtliche Begründung Sehr geehrte Damen und Herren, nach reiflicher Überlegung teile ich Ihnen mit, dass ich aus Gewissensgründen nicht den Dienst an der Waffe leisten kann. Im Folgenden erläutere ich Ihnen meine Gründe: Mein Berufsziel ist es, Geschäftsführer eines mittelständischen Handelsbetriebes in der Münchner Großmarkthalle zu werden. Dort treffen Menschen aus verschiedensten Nationen zusammen. Meine spätere Aufgabe wird sein, mit diesen Leuten aus den unterschiedlichsten Ländern Geschäfte abzuwickeln. Gute Geschäfte setzen voraus, dass die Menschen vertrauensvoll zusammenarbeiten. Im Spannungs- oder Kriegsfall kann die Situation auftreten, dass ich gegen Menschen kämpfen muss, mit denen ich in meinem beruflichen Leben zusammenarbeite. Das wäre mit meinem Gewissen nicht vereinbar. Meine Eltern legten in der Erziehung großen Wert auf die Einhaltung der Menschenrechte. Auch in meiner schulischen Laufbahn lernte ich die enorme Bedeutung der Menschenrechte kennen. Das Grundgesetz basiert auf den Menschenrechten. So haben sich die Menschenrechte tief in mir verankert und eine Missachtung, dieser für das menschliche Zusammenleben so wichtigen Rechtsnormen, ist für mich unvorstellbar und mit meinem Gewissen nicht vereinbar. Nach meiner Auffassung der Menschenrechte hat kein Mensch das Recht über das Leben eines anderen Menschen zu bestimmen. Ein Befehl, die Waffe gegenüber einem anderen Menschen einzusetzen, ist nach meinem Rechtsempfinden, Anstiftung zum Mord. Als Soldat komme ich somit unfreiwillig in eine Zwickmühle: Entweder ich schieße nicht auf den Menschen und mache mich der Befehlsverweigerung schuldig oder ich schieße auf den Menschen und gerate in einen Konflikt mit meinem Gewissen. Ich bin mir jetzt schon zu 100 Prozent sicher, dass ich dem Befehl nicht Folge leiste. Deshalb verweigere ich den Dienst an der Waffe. Ein wichtiges, meine Einstellung prägendes Erlebnis ereignete sich vor ein paar Jahren in meiner Schule. Meine Tutorin ist ermordet worden. Ihre Familie und unsere Klasse waren sehr betroffen und trauerten sehr lange. Ich erkannte dadurch, welches Leid einer Familie oder Gemeinschaft zugeführt wird, wenn ein Mitglied der Gruppe herausgerissen wird. Ein Soldat muss im Kriegsfall andere Menschen töten. Er verursacht damit Leid in anderen Familien und Gemeinschaften. Ich möchte nicht der Verursacher dieses mutwillig herbeigeführten Leidens sein. Aufgrund der oben von mir dargelegten Gewissensprobleme, berufe ich mich auf Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Ich bitte Sie deshalb, mein Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen und mich für soziale Dienste zum Wohle der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Ich werde durch mein soziales Engagement meine Treue und meine Verpflichtung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zeigen. Mit freundlichen Grüßen
Schreiben 3: Die religiös-politische Begründung Sehr geehrte Damen und Herren, hier meine Begründung zur Kriegsdienstverweigerung: Ein sehr wichtiger und entscheidender Punkt in meiner Entwicklung war und ist meine Erziehung. Ich bin von meinen Eltern sehr tolerant und ohne jegliche Gewalt erzogen worden. Dadurch habe ich gelernt, andere Menschen so zu respektieren, wie sie sind, ihre Meinungen und Religionen zu akzeptieren und niemandem meinen Willen aufzudrängen. Ich bin katholisch getauft und habe außerdem neun Jahre Religionsunterricht in der Schule genossen. Daher empfinde ich Nächstenliebe als eines der wichtigsten Gebote. Durch all die Erfahrungen, die ich in meinem Leben erlangt habe, bin ich zu einem gewaltfreien, hilfsbereiten Menschen geworden. Der Dienst an der Waffe würde mich dazu zwingen, Gewalt als Konfliktlösung anzuwenden und andere Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Dies könnte ich keineswegs mit meinem Gewissen vereinbaren. Jeder Mensch hat das Recht, zu leben: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Meiner Meinung nach sollten alle Konflikte zwischen Ländern friedlich gelöst werden. Das Militär sollte auf keinen Fall bei wirtschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen eine gewalttätige Lösung erzwingen. Ein wesentliches Problem liegt darin, dass es für viele Länder keinen anderen Ausweg mehr gibt, als zur Waffe zu greifen und den Gegner zu töten. Die Länder müssen sich schützen und veranstalten deshalb einen Wettstreit, wer die größte Militärstreitkraft hat. Auch aus Angst, selbst ein Opfer zu werden, führen manche Länder Kriege. Das Schlimme dabei ist, dass nicht nur Soldaten, die freiwillig in den Krieg ziehen wollen, getötet werden, sondern zum Großteil unschuldige Zivilisten sterben. Ich möchte in keinerlei Hinsicht mitverantwortlich sein, wenn die Politik Kriege verschuldet. Selbst wenn ich als Sanitäter im Krieg dienen würde, hätte ich Probleme, mit meinem Gewissen zu Recht zu kommen. Ich würde verwundete Soldaten pflegen und dafür sorgen, dass sie wieder zurück in den Krieg ziehen können, um dort andere Menschen zu töten. Vielmehr habe ich mich entschlossen, Bürgern zu helfen, die in Not sind. Ich bin bereit, meinen Zivildienst mit Ausdauer und Engagement zu leisten, am liebsten bei der Arbeit mit Behinderten oder Kindern. Eigentlich hatte ich zwar vor, mich in einem Entwicklungsland um Flüchtlings- oder Waisenkindern zu kümmern. Ein Freund überzeugte mich aber davon, dass wir hier in Deutschland genügend Bürger haben, die Hilfe nötig haben. Ich bin fest davon überzeugt, dies zu bewältigen. +++ Alle Illustrationen: Dirk Schmidt Welches Schreiben wurde nicht angenommen? Lösung auf Seite vier.
Nicht akzeptiert wurde Schreiben 3.