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Klappe halten! Warum es uns gut tun würde, weniger über unsere Probleme zu reden
Wenn es um Probleme und deren Verbalisierung geht, teilt sich die Menschheit grob in zwei Lager: Die einen fressen alles in sich rein. Die anderen kotzen sich aus. Für sie ist dieser Text. Nicht ganz klar ist, wer mit seinem Redeverhalten besser fährt. Auf jeden Fall kommen die einen mit den anderen nur in den seltensten Fällen zurecht. Während die Fresser nie gelernt haben, ihren Gefühlshaushalt ernst zu nehmen und zu artikulieren, steht hinter der Auskotzfraktion die ganze geballte Kommunikationsobsession unserer Zeit.
Über Probleme muss man reden, heißt es immer. Nur indem wir unseren Dämonen einen Namen geben, können wir uns von ihnen befreien. Das ist auch nicht falsch: Für jeden Menschen ist es notwendig und auch schön, über das sprechen zu können, was ihn umtreibt. Aber bei vielen wird dieses Bedürfnis zur Dauerbeschäftigung. Mittlerweile hat so ziemlich jeder halbwegs reflektierte junge Bildungsbürger schon mal eine Therapiesitzung absolviert oder zumindest schon mal laut darüber nachgedacht. Vor allem Mädchen verbringen den Großteil ihrer Freizeit damit, zu reden. Mit Freundinnen über ihre Beziehung, mit ihrer Beziehung über Schule/Job/Uni, mit der Mama über die Freundinnen. Und selbst unter Jungs, denen man ja immer nachsagt, sie seien das wortkarge Geschlecht, finden sich immer mehr Vertreter, die für ordentliche Problembesprechungen vollkommen zu haben sind. Wer sich heute noch vornehm zurück hält, gilt als kommunikationsgestört. Wer sich nicht zu dem äußern will, was ihm eventuell Unzufriedenheit bereitet, wird früher oder später krank vor lauter aufgestautem Kummer. So weit die Alltagspsychologie. Stellt sich heraus, dass eher das umgekehrte der Fall ist: Reden kann krank machen. In einer Langzeitstudie haben amerikanische Forscher festgestellt, dass Mädchen, die viel mit ihren Freundinnen über ihre Probleme sprechen, mit der Zeit zunehmend schwermütige Tendenzen entwickeln. Wundert mich nicht sehr, denn die ganze Kommunikationsfreude hat einen Haken: Probleme werden nämlich durch Reden nicht gelöst. Sie werden bloß größer. Jedes Mal, wenn wir unser Unglück mit irgendeiner Situation erwähnen, machen wir nicht nur den Gesprächspartner darauf aufmerksam – sondern auch uns selbst. Mit jeder neuen Reflektion gewinnt das Thema eine zusätzliche Dimension. Es schwillt in unseren Köpfen an, nimmt immer mehr Raum ein. Und scheint immer weniger lösbar. Ich glaube, wir zerreden uns das Leben. Es gibt eine Menge Situationen, in denen wir impulsiv reden, uns damit aber keinen Gefallen tun. Gerade, wenn eine Entscheidung ansteht, gehört ziemlich viel Mut dazu, Dinge mit sich selbst auszumachen. Bloß verliert man irgendwann die Fähigkeit, aus allen Ratschlägen noch ein eigenes Fazit zu ziehen. Oder auch in Liebesdingen: Wer ein Mal eine Marathonbeziehungsaussprache durch gemacht hat, weiß, wie leer gepumpt man sich danach fühlt. Essen? Lachen? Sex? Vergiss es. Wer sich stundenlang damit beschäftigt, seine Befindlichkeiten zu erklären, hat nur eine Chance, wieder geistig zu gesunden: Schlaf. Auch nicht gerade die beste Voraussetzung, um das Einander-Liebhaben wieder aufzunehmen. Wir tun uns im Endeffekt mit unserer Laberkultur keinen Gefallen. Natürlich ist es wichtig, über Dinge zu reden, die uns wichtig sind. Aber manchmal hilft es auch, die Stille einfach auszuhalten. Dann verbrät man nicht seine ganze Energie darin, sich auseinander zu setzen. Und kann sie dafür nutzen, die Dinge einfach anders zu machen. +++++ Illustration: katharina-bitzl