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Kalk für Kyoto

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Spätestens seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 wissen wir, dass die Erderwärmung ein Problem ist. Das Verbrennen fossiler Energien lässt den Kohlendioxidgehalt in der Luft steigen. Elektro-Autos oder alternative Energien beugen dem weiteren Ausstoß von Klimagasen vor. Allerdings vermindern sie nicht den vorhandenen CO2-Gehalt der Luft. Deswegen feilte der Engländer Tim Kruger, 36, bereits während seines Chemiestudiums am University College London an dem Projekt „Cquestrate“, das vielleicht alles ändern kann. Der Clou: Die Ozeane sollen das Kohlendioxid schlucken. Das tun sie zwar ohnehin, allerdings nicht ausreichend. Fügt man dem Wasser nun Kalk hinzu, wird der Säuregehalt der Meere vermindert und dadurch die Aufnahme und Speicherung des Kohlendioxids ermöglicht. (Noch genauer beschrieben auf www.cquestrate.com.) Dieses Verfahren hält Dr. Michaela Meyer, Meeresbiologin am Bremer „Institut für nachhaltige Aktivitäten auf See“, für eine gute Zwischenlösung: „Das CO2 ist ein existentes Problem, das man bekämpfen muss. Solange wir verbrennen, wird es weiter produziert. Wir dürfen nicht warten, bis wir Alternativen zu den jetzigen Energien gefunden haben. Wir müssen handeln.“

Die Idee, den pH-Wert saurer Gewässer durch Kalk zu erhöhen und sie damit aufnahmefähiger für Kohlendioxid zu machen, gibt es seit Anfang der 90er Jahre. Doch damals kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass Gewinnung und Produktion des nötigen Kalk-Bestandteils Kalziumoxid mehr CO2 verursachen würden, als die Ozeane aufsaugen könnten. Tim Kruger ist anderer Meinung und fordert auf cquestrate.com zur Debatte auf. „Cquestrate“ ist ein Open-Source-Projekt: Jeder Besucher kann seine Meinung äußern und Experten werden gesucht. Kruger verspricht, jede Kritik zu bedenken und in seine Idee mit einzubeziehen. Ein Kritikpunkt, dem er sich bereits stellen musste, ist die Gefahr für im Ozean lebende Organismen. Die Tiere haben sich dem aktuellen Säuregehalt angepasst und niemand kann vorhersehen, wie sich das Kalken auf die marine Lebensgemeinschaft auswirken würde. Laut Kruger aber schwanken der Säuregehalt und der damit verbundene pH-Wert der Meere ohnehin. Ausserdem würde er das Kalziumoxid erst in regulierten Mengen einführen, so dass Organismen Zeit hätten, sich anzupassen.

In Bremerhaven schüttelt einer den Kopf: Prof. Dr. Viktor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung sagt zu jetzt.de, dass das Kalken der Ozeane nur in riesigen Mengen positive Auswirkungen auf den CO2-Gehalt hätte. Die Menge Kalk, die zur Verringerung des CO2-Gehaltes in der Luft gebraucht würde, entspräche der Größe der Dolomiten. Ganz abgesehen von dem irreversiblen Abbau eines für viele Wirtschafts- und Lebensbereiche wichtigen Rohstoffes, dem Kalk. Smetacek ist Befürworter einer anderen, genauso umstrittenen Theorie: Er will die Ozeane mit Eisen düngen, um das Wachstum des Phytoplanktons, also der im Wasser lebenden Algen, zu erhöhen. Dadurch wird deren Photosyntheseleistung gesteigert. Das Phytoplankton nimmt den Kohlenstoff in sich auf und trägt ihn beim Absterben mit, so dass er für Jahrhunderte in der Tiefsee gespeichert wird. Allerdings ist auch hier unklar, wie sehr das die Weltmeere beeinflusst.

Tim Kruger ist Vater zweier Töchter und hat seinen Job als Unternehmensberater aufgegeben, um sich voll auf das Projekt „Cquestrate“ zu konzentrieren. Ausgerechnet der Mineralölkonzern Royal Dutch Shell will Forschungsgelder zur Verfügung stellen, um eine praktische Umsetzung zu testen. In den Augen der Meeresexpertin Dr. Iris Menn von Greenpeace-Deutschland ist das aber bloß Imagepflege: „Shell will sich damit das grüne Mäntelchen umhängen. Mit dieser Maßnahme werden zwar die Auswirkungen unseres umweltunfreundlichen Lebensstils bekämpft, aber das Problem wird nicht an der Wurzel gepackt. Denn das ist Shell selbst.“ Tim Kruger sieht dies anders: „Wenn ein großes Unternehmen eine so fördernde Unterstützung anbietet, nehme ich dieses Angebot natürlich an. Es geht nicht um Politik oder Idealismus, sondern um die Verbesserung der Situation. Und wenn diese bloß mit Shells Hilfe möglich ist, soll es so sein. Man muss sich doch fragen: Will ich nur ein politisches Statement setzen – oder etwas ändern?“ sagt er zu jetzt.de. Ausschließlich Öl-Unternehmen wie Shell die Schuld an dem Klimawandel zu geben, hält er für unfair: „Ob Konsumenten oder Konzerne – wir alle sind Auslöser des Problems.“

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