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"Just another spam"?
Die Internetkultur produziert fortwährend neue Phänomene, die einen innovativen Umgang mit Nostalgie pflegen. Gestern waren es mit dem iPhone geschossene Fotos, die sich in der Analogästhetik der angestaubten Kameras unserer Väter zeigten. Heute sind es aus Pixeln komponierte Krakelepisoden – sogenannte "Rage Comics". Gibt man dies als Suchbegriff bei Wikipedia ein, wird man automatisch zum Eintrag "Internet Meme" geleitet. Was ein Meme ist, hat jetzt.de vor einiger Zeit von Dr. Oliver Vodeb erfahren, der alljährlich das Memefest organisiert: "Ein 'Meme' ist ein kulturelles Gen, wenn man so will. Das kann eine Idee sein, ein Konzept, die Art, wie jemand läuft, wie er spricht, wie er sich gibt. Solche Ausdrucksformen versuchen, sich zu replizieren."
Der "fffffffffffffffffffffffuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu"-Schrei ist ein Klassiker in der Welt der Rage Comics.
Das Online-Gen der Stunde heißt also Rage Comic. Hier geht es vor allem um die Art, wie jemand digital zeichnet. Das repliziert sich recht schnell: Google spuckt bei "Rage Comics" über 2,5 Millionen Ergebnisse aus, Seiten wie Le Rage Comics oder ragecomics.memebase.com können auf riesige Kritzelarchive zurückgreifen und verzeichnen täglich zig neu hochgeladene Episoden. Diese folgen meist einem einfachen Regelwerk: Rage Comics bestehen oft aus nur vier Kästchen, sind in Zeichenstil, Farben und Beschriftung rudimentär bis dilettantisch (bis hingeschmiert) und nehmen sich Alltagsthemen der Zeichner an – von A wie "Autsch, Knie gestoßen", hin zu Z wie "Zwist mit dem Chef".
Von Zwist leitet sich auch die Bezeichnung der Comics her, wie es der 27-jährige Dan Awesome beschreibt, der seinen bürgerlichen Namen nicht nennen möchte und den Comic-Editor Rage Maker entwickelt hat: "Die 'Theorie' dahinter ist, dass man Gesichter per Copy/Paste in ein Comic umwandelt, das auf etwas basiert, was dich sauer macht; daher das Wort 'rage' im Namen. Leute schienen sich in den Anfangstagen mit Rage Comics etwas von der Seele schreiben zu wollen." Sinnbild dieses Entstehungsmythos ist der sogenannte "rage guy", eine Comic-Fratze, die ihrer Wut "fffffffffffffffffffffffuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu"-brüllend Ausdruck verleiht. Dan weiß auch, wo die Keimzelle der Rage Comics liegt, hüllt sich aber im Geheimen: "So weit ich weiß, kam das erste Comic von einer Webseite, über die ich nicht wirklich reden darf. Was ich sagen kann, ist, dass die erste Regel der Seite ist, nicht über diese Seite zu sprechen." Mittlerweile hat sich der inhaltliche Horizont der Comics geweitet, ebenso wie die Auswahlmöglichkeiten an vorgegebenen Zeichnungen und das Vokabular, das man in einer Sequenz verwenden darf. Dogmen verlieren sich nun einmal, wenn etwas an Popularität gewinnt.
Die Masse an Rage Comics lässt sich leicht mit der Losung erklären, die sich die Netzkultur seit der 2.0 klar auf die Pixelfahnen geschrieben hat: Jeder soll mitmachen können. Um zum Comiczeichner zu werden, genügen wenige Klicks zum nächsten Rage Maker, der erlaubt, in wenigen Schritten eine eigene Strichmännchen-Episode zu entwerfen. Dan erklärt, wie sein populärer Editor funktioniert: "Du malst nichts direkt auf die Leinwand. Stattdessen fügst du Elemente darauf hinzu, die du aus den nebenstehenden Feldern ziehst. Die 'rage faces' findest du auf der linken Seite." Oberhalb der digitalen Leinwand gibt es außerdem die Optionen, frei zu zeichnen, Schrift einzufügen oder Bilder von der eigenen Festplatte oder aus den Weiten des Netzes zu laden und in das Comic einzubinden. Der Editor erlaubt es einem, die Vorlagenschnipsel frei anzuordnen und u.a. in Größe und Farbe zu verändern. Am Ende nur noch auf den "SAVE / LOAD"-Button klicken und fertig ist der eigene Beitrag zum Rage Comic-Kosmos.
Was dabei herauskommt, wirkt gleich doppelt nostalgisch: in einem analogen Sinne erinnern Rage Comics an alte Krakeleien im Schulheft, den digitalen Romantiker an seine ersten Versuche mit dem Programm Paint. Für den einen mag es zeittotschlagender Nonsens sein, vergleichbar mit geometrischen Formen, die man aus Langeweile während der Vorlesung im Collegeblock verewigt. Manch anderer verwendet einen breiteren Kunstbegriff und hat schnell die Zeichnungen des schottischen Kritzelkünstlers David Shrigley vor Augen. Dan Awesome hat seine eigene Sicht: "Rage Comics sind eine ganz eigene Ausdrucksform. Sie sind eine Art moderner Emoticons – mit wesentlich mehr Gesichtern, die man zur Verfügung hat. Mir gefällt auch, dass jeder die Möglichkeit hat, ein Comic zu machen. Sogar Leute mit eingeschränkter künstlerischer Begabung können ein unterhaltsames Comic zeichnen, indem sie sich der vorgezeichneten Gesichter bedienen." Führt das auf die Dauer nicht zu einer Form von visuellem Spam? "Wenn Rage Comics immer populärer werden, wie es gerade der Trend ist, ja, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie irgendwann 'just another spam' sind."
Unser Autor hat sich als Rage Comic-Zeichner versucht. Kritzel selbst – z.B. auf ragemaker.com.
Text: jurek-skrobala - Comics: ragemaker.com