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Ist es okay, wenn Professoren nur Stoff aus ihren Büchern prüfen?
Am Anfang war ein Buch. Wie zu Semesterbeginn üblich, hatte der Leipziger Journalistikprofessor Marcel Machill im Herbst seinen Studenten eine Literaturliste ausgeteilt. Auf dieser fand sich der Hinweis, dass das Buch "Medienfreiheit nach der Wende" in der Klausur als einziges Hilfsmittel zugelassen sei. Schon die Tatsache, dass jenes Buch unter anderen von Machill selbst herausgegeben wurde, hatte für einige der 343 Studenten einen faden Beigeschmack. Darüber hinaus entwickelte sich aber ein anderes Problem: In der Bibliothek standen nur 20 Exemplare des besagten Buches zur Ausleihe zur Verfügung. Sie waren schnell vergriffen. Für den Großteil der Studenten eine blöde Situation. Machill ist angeblich bekannt dafür, in seinen Prüfungen detailliertes Fitzelwissen aus den zugelassenen, also aus seinen eigenen Büchern abzufragen.
Roger Vogel gehörte zu den Studenten, die keine Lust hatten, "Medienfreiheit nach der Wende" für 39 Euro zu kaufen. Er scannte das Buch aus dem Präsenzbestand und stellte es seinen Kommilitonen kostenlos im Internet zur Verfügung. Das war gut gemeint, aber es war ein Verstoß gegen das Urheberrecht. Viele Kommilitonen freute es trotzdem. Professor Machills Buch war nämlich in der Zwischenzeit vergriffen.
Nun könnte die Geschichte an dieser Stelle enden. Der Student kriegt Ärger vom Professor, nimmt das Buch wieder aus dem Netz und zurück bleibt ein etwas zerknautschtes Gefühl. Doch die Geschichte geht weiter und zwischen Professor und Studenten entsteht ein Streit, der einen jedes Klatschmagazin beiseite legen lässt. Eine kleine Chronologie:
Anfang November
Der Student Roger Vogel erhält eine Unterlassungserklärung von einer Stuttgarter Anwaltskanzlei. Er soll insgesamt mehr als 2000 Euro Schadensersatz und Gebühren zahlen, weil er zwei Machill-Bücher eingescannt hat. (Aus Versehen hatte er im ersten Durchgang ein anders Buch eingescannt. In einem zweiten Durchgang stellte er das Buch zur Medienfreiheit online.) Zwar treffen Machill und Vogel regelmäßig in der Studienkommission der Universität aufeinander, zu einem persönlichen Gespräch kommt es aber nicht.
29. November
In der Süddeutschen Zeitung erscheint ein Text über die "Causa Machill". Darin kommt Roger Vogel zu Wort. Auch Machill sollte zu Wort kommen. Aber er beendete das Telefonat vorzeitig mit dem Satz "Ich habe keine Lust, meine Zeit mit irgendwelchen Studenten zu vertändeln". In dem Text wird die Tatsache erwähnt, dass Machills Entscheidung, nur noch seine eigenen Bücher in mündlichen Prüfungen abzufragen, innerhalb der Universität umstritten war. Der Prorektor der Universität Leipzig, Wolfgang Fach, sagt dazu: "Herr Machill ist einmalig, wir haben laufend Probleme mit ihm."
2. Dezember
Nachdem auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung das Thema aufgreift, äußert sich Professor Machill - auf der Homepage seines Lehrstuhls. Dort bezeichnet er Roger Vogels Aussage, er habe das Buch nur vorübergehend ins Netz stellen wollen, bis das Original wieder verfügbar sei, als "Schutzbehauptung". Zudem verweist er auf ein Internetportal, von dem das Buch schon die ganze Zeit kostenlos als E-Paper hätte heruntergeladen werden können. (Ein Hinweis, der den Studenten vorher angeblich nicht bekannt war.) Weiter verlinkt Machill auf eine Kolumne im lehrstuhleigenen Online-Magazin. Ein unbenannter Autor vergleicht dort Roger Vogel mit der Zeichentrickfigur Shrek und bezeichnet ihn als "Alice Schwarzer der deutschen Studierendenbewegung". Über der Kolumne steht: "Achtung Ironie". Unterdessen gründet Roger Vogel gemeinsam mit anderen Studenten eine Facebook-Gruppe, die sich mit Machills Lehre auseinandersetzt. Als Ziel wird ein "breit angelegter Protest gegen das System Machill" angegeben. Die Studenten wollen auf die ihrer Meinung nach unzumutbaren Zustände in Machills Veranstaltungen hinweisen, bei denen es nur um die Abfrage aus dessen thematisch sehr speziellen Büchern ginge.
4. Dezember
Unter dem Titel "Dokumentation der von einigen Studenten initiierten Medienkampagne gegen Professor Machill" veröffentlicht Marcel Machills Lehrstuhl ein mehrseitiges Dokument, das mithilfe von Screenshots aus der Facebook-Gruppe und öffentlich zugänglichen Blogs eine gezielte Demontage des Professors nachweisen soll. Machill schreibt, dass ein Student, der sich von der Kampagne distanzieren wolle, ihm die internen Dokumente zugespielt habe. Andere Stimmen behaupten, ein ehemaliger Lehrstuhlmitarbeiter sei der Gruppe beigetreten um sie auszuspionieren.
6. Dezember
Die Süddeutsche Zeitung druckt eine Stellungnahme des Prorektors Wolfgang Fach, in welcher dieser die Echtheit der von ihm gegebenen und verwendeten Zitate ("Es vergeht praktisch kein Semester, in dem ich mich nicht mit der Causa Machill beschäftigen muss. Es fehlt mir leider der Löffel, um diesen Brei auszulöffeln") bestätigt. Professor Machill hatte diese Zitate zuvor als "in den Mund gelegt" bezeichnet. Auf seiner Lehrstuhlhomepage reagiert er auf die Stellungnahme und rechtfertigt die Verwendung seiner Bücher in Klausuren. Darüber hinaus erläutert er seine Lehrmethoden und rechtfertigt die Abfrage seiner eigenen Literatur in Klausuren ("Ich bin der Überzeugung, dass sich eine Klausur an einer Universität aus Fragen zu Faktenwissen (...) und aus Fragen zu komplexeren Sachverhalten zusammensetzen sollte. Bei Fragen der zweiten Kategorie macht es Sinn, dass sich Studenten im Laufe eines Semesters mit ein bis zwei wissenschaftlichen Werken intensiv auseinandersetzen und es macht auch Sinn, hierzu eigene aktuelle Forschung in die Lehre einzubeziehen"). Zur selben Zeit planen die Studenten T-Shirts, auf denen stehen soll: "Ich habe keine Lust, meine Zeit mit irgendwelchen Studenten zu vertändeln."
Ende?
Streitigkeiten zwischen Professoren und Studenten hat es wohl schon immer gegeben. Am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen Marcel Machill und Roger Vogel kann man eine wesentliche Frage aber ganz gut diskutieren: Wie wichtig darf ein Dozent seine eigene Literatur nehmen? Vielleicht gibt die Leipziger Debatte Anlass, darüber genauer nachzudenken. Dazu muss man sich zusammen setzen und diskutieren und zumindest in Leipzig könnte es bald soweit sein. Schließlich wird die Studienkommission ja irgendwann wieder tagen.
Text: charlotte-haunhorst - Illustration: Katharina Bitzl