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In der Stadt mit den 13 Gefängnissen
Einen Einblick in das amerikanische Strafvollzugssystem zu bekommen ist alles andere als leicht. David Dufresne und Philippe Brault versuchen es in ihrem Web-Dokumentarfilm Prison Valley. Die Reporter nehmen den Zuschauer mit auf eine Bildungsreise durch Cañon City in Colorado, USA. Ein Ort, der von und mit seinen 13 Gefängnissen lebt. 'Prison Valley' beginnt da, wo die US-amerikanische Actionserie 'Prison Break' aufhört", sagt Dufresne auf der Website von "Arte". "Der Film fragt, wie sich das Land selbst sieht und inwieweit es seinem eigenen Wahnwitz erliegt." Die Kamera zeigt die Landschaft und die Straßenzüge größtenteils im Vorbeifahren aus dem Wagen heraus. Wie ein roter Faden zieht sich diese Fahrt durch den Film, der aus Berichten und Interviews besteht. Zum Beispiel mit Brenda, der Frau eines Häftlings, oder Jim, dem Sheriff der Stadt. Kritiker und Verfechter der amerikanischen Gefängnisse kommen gleichermaßen zu Wort. Und nach jedem Beitrag entscheidet der Zuschauer, was er als nächstes möchte: Mehr Hintergrundinfos? Mit anderen diskutieren? Einfach weiterfahren? Eine Diskussion wünschen sich die Macher des Projekts. Der Wunsch wurde erfüllt, zumindest in den zahlreichen Foren von Prison Valley. Einige User feiern das Projekt schon als „progressive Entwicklung des Journalismus“. Denn Prison Valley paart Fotografie, Dokumentar-Road Movie und Web-Design mit den Reaktionen der User. Nach jeder Etappe auf der Strecke durch das County, die man übersichtlich auf einer Straßenkarte mitverfolgen kann, stoppt der Film und lädt den Zuschauer ein, seine Meinung zu äußern. Die Gedenkfeier für im Dienst getötete Gefängnisaufseher zum Beispiel halten demnach 31 Prozent der mehr als dreitausend Zuschauer für aufgesetzt. Nur 15 Prozent finden sie würdevoll.
Die Macher des Films erklären immer wieder, dass sie die Bewertung des Gesehenen den Zuschauern überlassen. Und die finden drastische Vergleiche für die Haftbedingungen: Von "Arbeitslager" und gar "Auschwitz" ist da die Rede. Eine „Sicherheitsarchitektur der Entmenschlichung“ nennt User illucre das Supermax, ein Gefängnis für die gefährlichsten Verbrecher der USA. Die Zellen sind 3,5 mal 2 Meter groß und akustisch isoliert. Das Konzept, das dahinter steht, heißt "sensorische Deprivation". Die Häftlinge verbringen darin 23 Stunden pro Tag, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt.
Wer sich „Prison Valley“ in allen Einzelheiten zu Gemüte führen will, sollte sich am besten einen ganzen Nachmittag freihalten. Die Fülle an Informationen, die am Wegesrand warten, ist riesig. Der Zuschauer mietet sich am Anfang der Reise in das Riviera Motel ein, in das er über das Menü immer wieder zurückkehren kann. Dort werden automatisch die Personen des Films und einzelne Themen versammelt. Die entsprechenden Beiträge kann sich der Zuschauer dort, leider etwas zusammenhangslos, nochmal ansehen.
Die Website zu Prison Valley vermittelt eine trostlose Stimmung aus Cañon City, dem Ort mit den vielen Gefängnissen. „Die Hölle – nur in clean“, urteilen Kommentatoren. Einen Effekt, den die Macher aber auch bewusst herbei führen. Teilweise werden die Fahrten und Clips mit düsterer Western-Musik oder mit dumpfen Klängen aus dem Autoradio untermalt. Deswegen sehen sie sich in den englischsprachigen Foren (die auf der Website leider von den französischen und deutschen getrennt sind) harscher Kritik ausgesetzt. Einige Einwohner von Cañon City fühlen sich selbst und ihre Stadt beleidigt: „...you bashed us“ lautet ein Kommentar. Die heftigen Reaktionen zeigen zwar, dass die Foren bei den Usern beliebt sind. Doch in den deutschen Diskussionen verlaufen sich die Argzmentationsstränge häufig wegen fehlender Gegenpositionen: Man ist sich einfach einig über die Verkommenheit des amerikanischen Strafvollzugs.
Was ist Prison Valley nun? Doch ein Film? Ein Webprojekt? Eine Art multimedialer Unterrichtseinheit? Nun, ein Film im eigentlichen Sinne ist Prison Valley nicht. Zu viele Klicks und Wartezeiten und die teilweise unübersichtliche Steuerung unterbrechen den Fluss der Geschichte. Prison Valley ist deshalb sicher kein Fernsehfilmersatz. Es ist vielmehr so etwas wie ein unterhaltsames Informationsportal zum amerikanischen Gefängnissystem. Und als solches unbedingt sehenswert. Wer durch die Vielfalt auf der Website überwältigt ist und die Geschichte des Ortes lieber aufbereitet erfahren will, wartet am besten noch bis September. Dann erscheint das Buch zum Film.
Text: timo-stukenberg - Foto: Screenshot