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"Im freien Fall": Über eine Floskel, die zur SPD zu gehören scheint
Die Berichterstattung über Politik verläuft bisweilen aufgeregter als es ihr Gegenstand hergibt. Tage wie jene, an denen Franz Müntefering oder Edmund Stoiber zurück treten, sind nicht alle Tage, weshalb schon eine kleine Neuigkeit aus Berlin gerne skandalisiert und zur Verursacherin eines Erdbebens stilisiert wird. In etwa so: "Steinmeier verschnupft - Große Koalition nun am Ende?" Man muss es wohl auch als Kunst bezeichnen, aus einem recht harmlosen Politikalltag, wie ihn die Große Koalition in Berlin gerade verlebt, Sätze, Bewegungen, Tendenzen zu filtrieren, die mehr über den Zustand der Politik aussagen als ein "naja, passt schon". Im Moment ist es wieder soweit und Nachrichtenmagazine wie Tageszeitungen wundern sich über eine Krise der Volkspartei SPD. Einerseits, weil es den bärtigen Vorsitzenden Kurt Beck vergangene Woche so derart gefuchst hat, wie manchmal über ihn berichtet wird, dass er vor Journalisten mal lauter geworden ist; andererseits, weil die Partei nach Außen linkisch wirkt. Schuld daran, heißt es, sei ein wenig Frau Andrea Nahles wegen ihrer Interessen nach Links und eben wieder der Herr Beck. Krise also. "Die SPD im freien Fall". Stand wieder in der Zeitung. Und in jener Minute, in der wir das gelesen hatten, dachten wir uns: Hm. Das haben wir schon häufiger gesehen, "die SPD im freien Fall". Müssten die als Partei nicht irgendwann aufschlagen? Kann man was über eine Partei lernen, wenn man das Textarchiv der Süddeutschen Zeitung vom Beginn der 90er Jahre an bis heute ausschließlich nach der Begriffskombination "SPD" und "im freien Fall" durchsucht? Waren die anderen Parteien denn auch schon mal "im freien Fall" begriffen? Wenn ja: Wer von allen ist bislang am häufigsten frei gefallen? Das Ergebnis, siehe unten, ist seltsam: Mit keiner der größeren in deutschen Parlamenten vertretenen Parteien wurde die Formulierung vom "Fallen" in der Tages- und Wochenpresse so häufig verknüpft wie mit der SPD. Zerfällt die SPD also? Oder macht es, Kurt Beck zufolge, den Journalisten schlicht mehr Spaß, auf die Roten zu schießen als auf alle anderen? Die Antwort ist zu einem Gutteil Interpretationssache oder der Beginn einer Tagesticker-artigen Diskussion. Klar scheint dagegen, dass die SPD wohl einen Fallschirm vertragen könnte. Sonst haut's die ja wirklich nochmal hin. 1. Archivsuche zu "SPD" & "im freien Fall" Am 5. Oktober 1995 steht in der taz: SPD im freien Fall nach unten Hamburg (dpa) – Nach dem Rücktritt des Bundesgeschäftsführers Verheugen sind die Sozialdemokraten in der Gunst der Wähler weiter gesunken. Wie eine Forsa-Umfrage für die Die Woche ergab, würden nur noch 28 Prozent die SPD wählen. Nie in ihrer Geschichte hatte die Partei bei Bundestagswahlen ein so schlechtes Wahlergebnis. Am 18. November 1996 steht im Focus: Inhaltsverzeichnis Seite 76 Baden-Württemberg: SPD im freien Fall Am 21. September 1999 steht in der taz Die SPD im freien Fall. [...] Die SPD ist mundtot. Ihr Personal erbricht unverdauliche Hilflosigkeit: „bittere Niederlage, Desaster, Katastrophe”. Ihre politische Libido bewegt sich im grauen Bereich. Warum weint Müntefering, der Katholik, nicht in die Kameras? Angeblich gibt es doch für ihn eine Zone, die einfach menschlich bestimmt ist. Warum sagt er nicht, dass er einfach nichts mehr versteht, wenn seine SPD in Sachsen knapp zweistellig landet? Am 5. Januar 2000 steht im stern: Interview mit Heide Simonis stern: Was lief denn schief, als die SPD im freien Fall war? Simonis: Schlechte Koordination, handwerkliche Fehler, Unduldsamkeiten, hochfahrende Pläne. So konnte, was gut gemeint war, nicht gut gehen. stern: Und das ist plötzlich alles besser? Simonis: Schröder hat jetzt die wichtigsten Sachen im Griff. Am 27. Mai 2002 steht im Spiegel: Inhaltsverzeichnis: Rot-Grün am Ende? Seiten 29, 190 Meinungsumfragen sehen die SPD im freien Fall, Kanzler Gerhard Schröder und SPD-General Franz Müntefering finden bisher kein Gegenmittel: Erstmals in der Bundesrepublik könnte ein Regierungschef nach nur vier Jahren abgewählt werden. Der Wechsel wäre auch das Ende der "Generation Gerd" das 1998 von Schröder und seinem Vize Joschka Fischer ausgerufene Reformzeitalter bliebe Episode. Am 7. Dezember 2003 steht in der Frankfurter Rundschau: Angela Merkel hat Gerhard Schröder erstmals den Rang abgelaufen / Der Abwärtstrend für die Sozialdemokraten hat in den letzten vier Wochen an Tempo gewonnen. [...] Die Krise der SPD ist in einer großen Unzufriedenheit begründet. [...] Wesentlich dafür dürfte die Informationspolitik der Bundesregierung vor der Wahl gewesen sein, denn zwei Drittel der Wähler sind der Überzeugung, dass die SPD den Wählern über die wirtschaftliche Lage des Landes nicht die Wahrheit gesagt hat (66 Prozent). In der Summe führt dies zu einer Glaubwürdigkeitskrise der Partei und ihrer wichtigsten Politiker: Nur 25 Prozent halten die SPD, 32 bzw. 28 Prozent Schröder bzw. Eichel für glaubwürdig. [...] Sonntagsfrage: SPD im freien Fall Am 8. Februar 2003 steht in der Abendzeitung Nürnberg Politbarometer: SPD im freien Fall Rekordtief: Die SPD kommt in der Wählergunst nur noch auf 25 Prozent. Die Union liegt jetzt bei 58 Prozent, hat das ZDF-Politbarometer ermittelt. Die FDP käme derzeit auf 6 Prozent, die Grünen auf 10 Prozent. Am 13. Februar 2003 steht in der Zeit: Deprimiert, wortkarg, nervös: Gerhard Schröder kann den Streit um seine Irak-Politik nicht mehr gewinnen. Die Kanzlerschaft steht auf dem Spiel [...] Macht der Kanzler, eingebunkert in sein Amt, unter solchem Druck, die SPD im freien Fall, alles falsch? Am 22. September 2003 steht in der taz: Die CSU holt bei der Landtagswahl 61,6 Prozent und kann mit einer Zweidrittelmehrheit im Maximilianeum regieren. SPD im freien Fall und im historischen Tief von 18,8 Prozent. [...] Am 24. Januar 2007 steht in der Welt: Führungskrise in der Hamburger SPD: Im freien Fall Die einst erfolgsverwöhnte Hamburger SPD steckt in ihrer schwersten Krise. Ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl wird der Landesvorsitzende Mathias Petersen von der eigenen Partei demontiert [...] Am 27. Februar 2007 steht in der Welt: Der Kommentar: SPD im freien Fall Der Fall der Hamburger SPD ist tief. Und die alte Hamburg-Partei, die die Geschicke der Hansestadt über mehr als vier Jahrzehnte bestimmte, manövriert sich immer weiter in die Krise. [...] Am 3. Mai 2007 steht in der Berliner Zeitung:
Am 13. März 2008 steht in der Passauer Neuen Presse: "Natürlich haben wir jetzt ein Problem": Ohne den Bruch von Wahlversprechen könne in Hessen keine Koalition gebildetwerden, klagt Peter Struck, SPD-Fraktionschef, im PNP-Interview. Die jüngste Umfrage sieht die SPD bei 23 Prozent, Tendenz sinkend. Die SPD im freien Fall - wie wollen Sie sich aus dem Tief wieder herausarbeiten? Struck: Durch sachliche Arbeit, klare Abgrenzung von den konkurrierenden Parteien und inhaltliche Alternativen. Am 22. April 2008 steht im Tagesspiegel: Man kann das als gelungene Integrationsleistung des Parteichefs interpretieren, als Befreiungsschlag oder ersten Schritt aus einer Lage, die eine SPD im freien Fall gezeigt hat. Doch die SPD hat sich mit diesem Kompromiss (zur Bahnreform, Anm. d. Red.) nicht mehr als eine Atempause verschafft. Am 21. Mai 2008 steht in der Frankfurter Rundschau:
Am 6. Juni 2008 steht in Süddeutsche Zeitung Primetime:
2. "CDU" & "im freien Fall" Am 22. Januar 2000 steht in der taz: CDU im freien Fall So steil ist es mit keiner Partei je abwärts gegangen: Innerhalb von zwei Monaten hat die CDU über zwanzig Prozent Wählerpunkte verloren. Die Spendenaffäre nimmt derweil ihren Lauf: Hessens CDU fehlen vier Millionen Mark, in Liechtenstein werden gesperrte Bankkonten freigegeben Am 8. Februar 2000 steht in der Süddeutschen Zeitung: Die FPÖ trifft dabei auf ein Europa, in dem sich viele konservative Parteien (wie die CDU) im freien Fall befinden und rechtskonservative Wähler ihre politische Heimat suchen. [...] Am 15. November 2005 steht in der Berliner Zeitung: Die CDU im freien Fall Die Berliner CDU kommt nicht aus der Krise: Wenn am kommenden Sonntag ein neues Abgeordnetenhaus gewählt würde, käme die Union in der Hauptstadt nur noch auf 19 Prozent der Stimmen. Erstmals seit der letzten Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2001 fällt die CDU damit in den Umfragen unter die 20-Prozent-Marke. Am 30. Oktober 2006 steht in der Berliner Zeitung: Schönbohms Abschiedsvorstellung Brandenburgs CDU im freien Fall Jörg Schönbohm leidet. Gerade erst zurückgekehrt von einer dreiwöchigen Reise durch Feuerland schien der 69-Jährige Abstand gefunden zu haben vom Intrigantenstadel in der heimischen Partei. [...] Nach nur einer Woche in Potsdam aber wirkt der zackige Ex-General am Wochenende schon wieder leicht resigniert. Ihm schwant wohl, dass er dem Verfall der Brandenburger CDU nicht mehr viel entgegenzusetzen hat.
3. "CSU" & "im freien Fall" Am 6. April 1994 steht in der Süddeutschen Zeitung: Für die Opposition stellt sich die CSU-Führung nach den jüngsten Plaudereien des Bäderkönigs und Steuerflüchtlings Eduard Zwick wie ein 'aufgeschreckter Hühnerhaufen' dar. Bayerns Grünen-Chef Gerald Häfner sieht die CSU 'im freien Fall'. Ihre Geschichte müsse 'neu geschrieben werden'. Im Vordergrund der Ära Strauß habe nicht das Wohl Bayerns, sondern die Finanzlage der eigenen Partei und das Wohlergehen ihrer führenden Vertreter gestanden, sagte Häfner [...] Am 16. Juni 1997 steht in der Süddeutschen Zeitung: Inhaltsverzeichnis: Seite 31-36: Die CSU im freien Fall Wenn morgen Kommunalwahl wäre, bekäme Rot-Grün die absolute Mehrheit: Rückgang der CSU um 9,2 Prozentpunkte. Am 27. Dezember 2007 steht in der Abendzeitung: Bei der Klausur in Kreuth kam es zum Showdown. Die Umfragewerte der CSU im freien Fall, die absolute Mehrheit futsch. Nur noch 45 Prozent für die CSU, zwei Drittel gegen Stoiber. Ein Albtraum für die Partei - und der Sargnagel für den Ministerpräsidenten.
4. "FDP" & "im freien Fall" Im September 2002 steht in den Nürnberger Nachrichten: Bundestagswahl 2002 in der Stadt Nürnberg Erfolg für die Grünen, traurige Gesichter bei der FDP: Gefühle wie in der Achterbahn. Passend zum Wahlkampf mit Fallschirm und schwindelerregenden Träumen von 18 Prozent. Punkt 18 Uhr landete die FDP im freien Fall und ohne Fallschirm bei 7,4 Prozent. Am 27. November 2007 steht in der NZZ: Waadtländer FDP im freien Fall Bei den eidgenössischen Wahlen hat die FDP Waadt eine böse Niederlage erlitten. Die Partei ist nur noch «eine unter vielen». Einige Mitglieder verlangen eine radikale Wende, verkörpert durch einen neuen Parteipräsidenten.
5. "Grüne" & "im freien Fall" Am 24. August 1998 steht im Focus: [...] Grüne im freien Fall. [...] Seit ihrem Einzug in den Bayerischen Landtag geht es für die Grünen kontinuierlich bergab. Landtagswahl Ergebnisse 1986: 7,5 Prozent 1990: 6,4 Prozent 1994: 6,1 Prozent 6. "Linkspartei" / "NPD" & "im freien Fall" Befanden sich offenbar noch nicht im freien Fall.