Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ich und islamophob?!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:



Jetzt habe ich es schwarz auf weiß: Ich bin islamophob. Auf dem Bildschirm vor mir steht eindeutig, dass ich Abneigungen gegenüber Muslimen habe und anderen Menschen gegenüber positiver eingestellt bin:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich habe einen IAT-Test im Internet gemacht. IAT steht für „Implicit Association Test“. Damit misst man unterbewusste Vorurteile. Vorurteile, von denen wir eventuell gar nicht wissen, dass wir sie haben. Und sogar Vorurteile, die wir entschieden von uns weisen – wie ich die Ressentiments gegenüber Muslimen. Das ist ja das Erschreckende: Ich halte die Angst der „patriotischen Europäer“ vor der angeblichen "Islamisierung" für Schwachsinn und die Instrumentalisierung der Terroranschläge in Paris für Fremdenhass und Populismus grauenhaft. Wieso dann dieses Ergebnis?

Der Test ist simpel. Auf dem Bildschirm vor mir blinken auf schwarzem Hintergrund Namen und Begriffe auf. Namen wie Hakim oder Yousef, Ernesto oder Matthias. Positiv behaftete Begriffe wie „Liebe“, „Frieden“, „Schönheit“, negative Begriffe wie „schrecklich“ oder „Tod“. Ich soll die Begriffe mit den Pfeiltasten meiner Tastatur Kategorien zuordnen, zum Beispiel die negativen Begriffe und die europäischen Namen nach links, die positiven und die arabischen Namen nach rechts. Das Ganze wiederholt sich in unterschiedlichen Kombinationen – und bei der zweiten ahne ich schon, dass das Testergebnis mich nicht erfreuen wird.

Denn sobald ich die negativen Begriffe und die arabisch-muslimischen Namen auf dieselbe Seite sortieren soll, reagiere ich schneller. Die Kategorisierung geht mir plötzlich leichter und intuitiver von der Hand: Salim, nach links. Ernesto, nach rechts. Bosheit, links, hässlich, links. Freude, rechts, John rechts.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Entscheidungen fallen in Sekundenbruchteilen, ich soll ja möglichst schnell handeln und habe gar keine Zeit zum Nachdenken. Das heißt: In meinem Gehirn sind die Kategorien „schlecht“ und „muslimisch“ schon so miteinander verknüpft, dass ich sie automatisch leichter miteinander in einen Zusammenhang bringen kann. Egal, ob mir das gefällt oder nicht. Und egal, ob ich mich für offen und tolerant halte oder nicht.

Solche unterbewussten Vorurteile werden in der Psychologie schon länger untersucht. Evolutionstheoretisch ergeben sie sogar Sinn: Unser Gehirn ist ständig damit beschäftigt, die vielen Reize, die wir wahrnehmen, in Kategorien zu pressen, damit wir im Ernstfall instinktiv die richtige Entscheidung treffen. Es ist ja nicht unpraktisch, dass wir automatisch die Flucht ergreifen, wenn uns ein brüllender Löwe begegnet. Dieser Reaktion liegt die Annahme zugrunde, dass alle Löwen uns fressen wollen, und die dürfte der Menschheit insgesamt eher genützt als geschadet haben.

Zum Problem wird es nur, wenn das Gehirn auch bei Menschen nach diesem Muster reagiert und automatisch „Vorsicht!“ schreit. Etwa, wenn wir am Flughafen einen arabisch aussehenden Mann mit langem Bart sehen. Oder wenn ein Polizist in den USA auf einen verdächtigen Jugendlichen mit schwarzer Hautfarbe trifft.

Unser Gehirn signalisiert "Gefahr!" - in der Evolution ist das praktisch, im Alltag ein Problem


In einer dem IAT ähnlichen Versuchsanordnung namens „Weapons Identification Task“ müssen Polizisten sehr schnell entscheiden, ob sie auf die abgebildete Person schießen würden oder nicht. Die Person hält eine Waffe in der Hand oder einen anderen Gegenstand wie eine Coladose oder einen Schraubenschlüssel – und ist schwarz oder weiß. Das Ergebnis: Die Polizisten brauchten länger, einen unbewaffneten Schwarzen als solchen zu identifizieren als im Fall eines unbewaffneten Weißen. Den Schießen-Knopf drückten sie hingegen schneller, wenn der bewaffnete Mann schwarz war als im Fall eines Weißen.

Unser Gehirn merkt sich also auch Falsches. Die Gleichung „arabisch aussehender Mann = Gefahr“ stimmt nicht, aber wir bekommen sie so oft genug zu hören und zu sehen, dass sich diese Fehlinformation einnistet, selbst wenn wir sie als falsch identifizieren und gar nicht an sie glauben. Ich weiß, dass man wegen der Terroristen, die in Paris ein Blutbad angerichtet haben, Muslime auf keinen Fall unter Generalverdacht stellen darf. Meinem Gehirn ist das aber egal. Vermutlich werde ich deshalb früher oder später wieder eine Reaktion zeigen, für die ich mich schon eine Sekunde später schäme: ein kurzes Erschrecken vor einem Mann mit Bart und ein arabischen Gewand zum Beispiel.

Am Ende meines Tests sehe ich, dass ich da bei weitem nicht der Einzige bin. Mir wird angezeigt, wie andere reagiert haben: Die Hälfte der Teilnehmer hatte eine leichte bis starke automatische Abneigung gegenüber Muslimen, ein Viertel zeigte keine Präferenz und ein weiteres Viertel bevorzugte Muslime.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Kritiker des IAT sagen, man dürfe seine Ergebnisse nicht überbewerten. Klar: Wer Schwarze häufiger mit negativen Begriffen assoziiert, wird sie nicht zwangsläufig auch im Alltag benachteiligen. Auch mein Testergebnis macht mich nicht zu einem Rassisten, und ich werde auch weiterhin keine arabisch aussehenden Mitbürger verprügeln. Trotzdem macht mich das Ergebnis nachdenklich: Denn meinen falschen Reaktionen liegen ja Einflüsse zu Grunde – Dinge, die ich lese, sehe, höre und denke. Irgendwo muss mein Gehirn ja gelernt haben, welche Assoziationen es mit Muslimen verbinden soll.

Genau das ist aber auch eine gute Nachricht ist: Denn es bedeutet, dass wir unser Gehirn umerziehen können. Wir können die Einflüsse steuern, indem wir Stereotypen bewusst etwas entgegensetzen. Forscher wiesen ihre Probanden an, jedes Mal bewusst das Wort „safe“ zu denken, wenn sie eine Person mit schwarzer Hautfarbe sahen. Als sie danach im „Weapons Identifications Task“ schnell auf Leute mit oder ohne Waffe reagieren mussten (und man also schießen sollte), waren sie in ihren Entscheidungen 10 Prozent öfter korrekt als eine Vergleichsgruppe. Es ist fast absurd, wie leicht sich unser Gehirn da austricksen lässt

Was lernen wir daraus? Vielleicht, dass es nicht nur wichtig ist, jeder Form von Hetze gegen den Islam als Religion entgegenzutreten. Sondern auch, dass wir alle Vorurteile haben, an denen wir arbeiten können. Auch wenn wir sie bislang gar nicht kannten.


Text: christian-helten - Illustrationen: katharina-bitzl; Fotos: Screenshots

  • teilen
  • schließen