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"Ich sah live die Türme einstürzen"
Oliver Wnuk, 35, damals 23
Als ich aus einem Mittagschlaf erwachte, sah ich im Fernseher vor mir die Wiederholung eines Roland Emmerich-Films. Irgend so ein Weltuntergangs-Drama. Ganz schön früh am Nachmittag, dachte ich mir. Früher gab's Raumschiff Enterprise, heute ziehen sich die Kids so was rein. Es dauerte eine Weile bis ich kapierte, dass das jetzt die echte Welt war, und weil ich schon zu viele schlechte Filme gesehen hatte, war mein zweiter Gedanke: „Das sind die Russen!“ und „Das war's.“ und „Jetzt gibt's in wenigen Minuten 'nen Vergeltungsschlag und dann ist Domino Day.“ Ich konnte gar nicht glauben, was da passiert. Dann die zweite Maschine. Die Verzweifelten, die aus den brennenden Türmen sprangen. Ein Freund kam vorbei, da man dachte, zu zweit besser fassen zu können, was da geschieht. Hat auch nicht geholfen. Dann Peter Klöppel. Den ganzen Tag. Die ganze Nacht.
Jasmin Schwiers, 31, damals 19
Ich war zuhause und habe Musik-CDs für meinen damaligen Freund gebrannt. Nebenbei lief nur leise der Fernseher, aber langsam sickerte zu mir durch, dass etwas wirklich Schlimmes passiert ist. Ab diesem Zeitpunkt war es mir unmöglich, den Fernseher auszumachen, also saß ich bis tief in die Nacht davor und habe immer wieder die gleichen Bilder gesehen und versucht, die bruchstückhaften Informationen zu verarbeiten. Trotz dauernden Wiederholungen konnte ich das Ausmaß dieser Katastrophe nicht erfassen und kann es eigentlich bis heute nicht. Jeder, den ich frage, weiß noch ganz genau, wo er war und was er gemacht hat, sei es auch noch so banal.
Mina Tander, 34, damals 22
Mich erreichte die Nachricht der Terroranschläge mitten in einem Shooting mit dem Fotografen Thomas Leidig. Die ersten Probebilder waren gerade im Kasten, als der Anruf kam. Wir verstanden nicht wirklich, waren geschockt, ratlos. Und machten weiter mit den Aufnahmen. Doch anstatt der erwünschten klassischen Schauspielerportraits entstanden surreale Bilder mit Tränen, verwackelt, zwischen Stoffbahnen, ungreifbar. Hinterher telefonierten Thomas und ich noch oft, sprachen über Terrorismus, US-Politik und Afghanistan, aus einer Bekanntschaft wurde eine Freundschaft. Und wir fragten uns, ob es falsch war, das Shooting seinerzeit trotzdem weiterzumachen, aber unser tranceähnlicher Zustand hatte diese Frage gar nicht aufkommen lassen. 18 Monate später wurde dann eine Aufnahme des Shootings für das erste Filmplakat des 9/11-Dramas „Fremder Freund“ verwendet. Den Rest des Tages verbrachte ich übrigens wie die meisten vor dem Fernseher mit jemandem, der mir damals sehr nahe stand. Wir haben irgendwie versucht, durch das unermüdliche Aufsaugen von Informationen, die Dimension zu begreifen. Ich weiß nicht, ob uns das damals gelungen ist.
Nina Gnädig, 35, damals 23
Ich steckte kopfüber in meinen Umzugskisten. Anfang Oktober würde mein Schauspielstudium losgehen und deshalb war ich mit Abschied beschäftigt. Vor allem aber mit jeder Menge Zauber, der ja seit Hesse jedem Anfang innewohnt. Durch den Karton sickerten die Radionachrichten zu mir durch, später dann die Bilder aus dem Fernseher meiner Nachbarin. Ich wusste nicht, wohin damit und mit mir. Da bin ich gelaufen, bis es Nacht war. Das war der erste Dienstag des Jahres, der nach Herbst roch und Berlin nie so leer. Jeder trägt den Tag wohl in Zeitlupe in sich. Wenn ich heute durch die Sredzkistrasse laufe, weiß ich genau, wo ich zum Stillstand kam. Nicht aber die Frage, die bleibt: Was wir da draus gelernt haben.
Susan Hoecke, 32, damals 20
Ich war mit meinem damaligen Freund in Italien und wir wollten uns gerade zu einem Ausflug aufmachen, als wir den Anruf bekamen, den Fernseher einzuschalten. Was ich dort sah, konnte ich im ersten Moment überhaupt nicht begreifen, denn ich war auch der italienischen Sprache nicht mächtig und schrie nur, dass ich nicht verstehen kann, was da gerade passiert! Doch die furchtbaren Bilder sprachen für sich. Den ganzen Tag blieben wir im Hotel, um das grausame Geschehen mitzuverfolgen. Wir weinten und beteten viel. Einer der traurigsten Tage...
Florian Bartholomäi, 26, damals 14
Nach der Schule habe ich mittags durch die Programme gezappt, als plötzlich die erste Eilmeldung reinkam. Ich rief meine Mutter dazu. Als von einem Angriff auf den zweiten Turm berichtet wurde, konnten wir es erst nicht glauben. Ich musste später ins Training, auch im Verein waren wir alle schockiert und konnten die Nachricht noch nicht wirklich einordnen. An die Schweigeminute am nächsten Tag erinnere ich mich auch noch gut. Obwohl ich erst 14 Jahre alt war, wurde mir und meinen Freunden schnell klar, dass dies ein besonders dramatisches Ereignis gewesen ist.
Anna Brüggemann, 32, damals 20
Ich drehte gerade "Ein Dorf sucht seinen Mörder" von Markus Imboden. Es war ein anspruchsvoller Tag, wir standen in einem winzigen, bayrischen Dorf, und ich versuchte, mich zu konzentrieren. Irgendwann merkte ich, dass Team-Mitglieder immer wieder vor einem Watchman Halt machten. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sie irgendeinen amerikanischen Blockbuster ansahen, in dem Flugzeuge ins World Trade Center rasten. Etwas verständnislos ging ich ins Dorfwirtshaus, um zu warten. Das Wirtshaus hatte keinen Fernseher, sondern nur ein Radio. Fassungslos hörte ich, dass die eben gesehenen Bilder Realität waren. Immer mehr Menschen scharten sich um das Gerät, "Wie im Krieg" dachte ich. Als ich abends nach Hause kam, lief mir mein Vater entgegen. „Hast Du gehört, was in Amerika passiert ist?“ fragte er. „Das wird die Welt verändern.“ Er sollte Recht behalten.
Lisa Maria Potthoff, 35, damals 23
Am Morgen des 11. September stand ich am Drehort zu einem Film. Der Tonmeister richtete das Mikrofon an meinem T-Shirt. Ich sah, dass er Tränen in den Augen hatte. Ich guckte ihn an und scherzte: „Hey, es ist nur das Mikro verrutscht, da musst du doch nicht gleich weinen.“ Er guckte mich an und sagte: „Auf Amerika wurde ein Anschlag verübt. Jetzt gibt es den Dritten Weltkrieg.“ Ich war fassungslos und erfuhr, dass Flugzeuge in die Türme des World Trade Center geflogen waren. Ich sah dann live die Türme einstürzen. Die Tage danach waren wie im Nebel.
Text: michele-loetzner - Fotos: dpa (Cover), Stilpirat (Wnuk), Stefan Klüter (Schwiers), Alan Ovaska (Gnädig), Anna Witzel (Brüggemann), Monic Schmidheiny (Potthoff), Screenshot YouTube (Bartholomäi, Tander, Hocke)