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“Ich bin Taha!” – “Ich auch!”
Es gibt schönere Orte als diesen Parkplatz am Stadtrand von Osnabrück. Es ist 6 Uhr morgens und noch dunkel, leichter Regen fällt. Hinter einem hohen Zaun liegt die alte Kaserne, die zu einem Sammellager für Asylbewerber umgebaut wurde. Kathrin, 28, steigt aus ihrem Wagen, sie ist heute besonders früh aufgestanden, um weitere Unterstützer abzuholen und hierher zu bringen. In einer Stunde soll die Abschiebung von Taha stattfinden.
Knapp hundert Menschen stehen vor der Flüchtlingsunterkunft, trotz der Uhrzeit. Über Telefonlisten und SMS-Verteiler wurden sie spontan über die Abschiebung informiert. Auch Bewohner des Sammellagers stehen hier, sie verteilen Kekse, Schmalzgebäck und Tee. Kathrin unterhält sich mit den Umstehenden, schielt immer wieder zur Straße. 23 Abschiebungen haben sie und das „Bündnis gegen Abschiebungen“ bereits verhindert. Heute soll die vierundzwanzigste dazukommen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Kathrin frühmorgens vor einer Flüchtlingsunterkunft in Osnabrück. Durch eine Blockade wurde hier heute die Abschiebung des Sudanesen Taha verhindert.
Nur jeder vierte Asylantrag wird in Deutschland gewährt, viele werden gar nicht erst geprüft. Ein Grund dafür ist die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Derzufolge muss ein Flüchtling in dem europäischen Land seinen Antrag stellen, das er nach seiner Flucht zuerst betreten hat. In Tahas Fall sind das die Niederlande. Dort steht ihm allerdings die Obdachlosigkeit bevor. Der Sudanese ist 37 Jahre alt, seine Flucht dauert jetzt schon mehr als fünf Jahre. In den Niederlanden lebte er auf der Straße. Das will er nicht mehr. Seine Zukunft sieht er in Deutschland.
Kurz nach sieben Uhr fährt ein weißer Transporter vor. Es ist der Wagen der Ausländerbehörde. Aus den vielen losen Grüppchen wird sofort eine dichte Menschenmasse. Dazwischen steht Taha. Wie von der Behörde angeordnet, hält er sich pünktlich vor dem Sammellager bereit. Zwischen den vielen Demonstranten ist er allerdings schnell zu übersehen. Ein Beamter ruft seinen Namen. „Hier!“, ruft Taha. „Hier!“, rufen auch alle anderen. Knapp hundert Menschen sind an diesem Morgen Taha. Die Beamten beratschlagen sich, ziehen schließlich ab. Kurz darauf bricht Jubel aus: Eine weitere Abschiebung wurde vorerst verhindert.
Der Protest aus Niedersachsen ist erfolgreich. Mehr als 30 Abschiebungen wurden durch Sitzblockaden und Flashmobs bereits verhindert. Die Aktionen fallen meistens unter "zivilen Ungehorsam" und der ist an sich nicht strafbar, solange sich die Handlungen im gesetzlichen Rahmen bewegen und gewaltfrei sind. Kürzlich versperrten Aktivisten in Göttingen den Zugang zu einem Haus, in dem eine somalische Familie auf ihre Abschiebung wartete. In Hannover wurde ein Treppenhaus belagert, das zu der Wohnung eines Flüchtlings führte. Bis auf einzelne Ausnahmen bleiben die Zusammentreffen von Demonstranten und Polizei friedlich.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Als die Ausländerbehörde vorfährt, schließen sich die verschiedenen Grüppchen zu einer Menschenmenge zusammen.
Der Asylbewerber selbst verstößt dabei nicht gegen Recht. Immerhin befindet er sich zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort. Das ist wichtig, sonst würde er als untergetaucht gelten. Ist seine Abschiebung verhindert, muss ein neuer Termin angesetzt werden – das dauert oft drei bis vier Wochen. Zeit, die der Flüchtling nutzen kann, um juristischen Beistand oder Kirchenasyl zu suchen. Hält sich ein geduldeter Flüchtling zudem sechs Monate in Deutschland auf, gilt die Dublin-Regelung nicht mehr und Deutschland übernimmt die Prüfung des Asylantrags. So kann es schließlich zu einem legalen Aufenthaltsstatus kommen.
„Anfangs war es etwas Persönliches“, sagt Kathrin. Sie ist Angestellte, mit Asylpolitik hat sie sich lange nicht beschäftigt. Dann freundet sie sich mit einem Somalier an, kommt mit anderen Flüchtlingen ins Gespräch. Sie erfährt von der Dublin-Verordnung, dem zahlreichen Hin- und Hergeschiebe. „Ich konnte nicht glauben, dass alle diesen krassen Fluchtweg auf sich nehmen – und dann geht’s hier erst richtig los!“ Obwohl Asylpolitik meist von linken Gruppen aufgegriffen wird, definiert sich Kathrin nicht als links. „Hier geht’s um fundamentale Menschenrechte, die gehen jeden was an.“ Als ein Freund von Kathrin abgeschoben werden soll, der in der Stadt gut vernetzt ist, entsteht eine Solidaritätsbewegung. Seitdem begleitet Kathrin fast jede Abschiebung in Osnabrück, oft eine pro Woche, mitten in der Nacht oder früh morgens. Das zuständige Bundesamt legt die Abschiebetermine möglichst ungünstig, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen.
Dass der Widerstand in Niedersachsen besonders gut funktioniert, liegt vor allem an zwei Faktoren: Zum einen sind die Abschiebungs-Gegner hier besonders breit aufgestellt. Greenpeace, Antifa, Caritas und Kirchengemeinden haben sich in Osnabrück beispielsweise zusammengeschlossen. Ein Bündnis, das durch alle politischen und sozialen Schichten geht. Das macht es schwieriger, sie zu ignorieren – oder als Spartengruppe abzustempeln.
Zum anderen ist aber auch die Einstellung der Landespolitik entscheidend. Der niedersächsische Innenminister betont, dass er die Aktivisten nicht verurteilt. Den friedlichen Einsatz für Flüchtlinge findet er „grundsätzlich gut“, an der zurückhaltenden Polizeistrategie will er nichts ändern. Zudem werden Abschiebetermine dort rechtzeitig bekanntgegeben. Das ist nicht selbstverständlich. In anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Bayern, werden Abschiebungen zwar auch häufiger angekündigt. Die Regel ist es dort aber noch lange nicht. Die Politik hat also gewisse Spielräume – wenn sie diese nutzen will.
Als der Himmel hell wird, bedankt sich Taha bei seinen Unterstützern. Er lächelt sehr breit. Mehrmals wiederholt er, wie glücklich er ist. Selten wird der Erfolg eines Protestes so sichtbar.
Dieser Text erscheint ihm Rahmen von "360 Grad Europas Flüchtlingsdrama", einem Themenschwerpunkt von sueddeutsche.de
Text: armin-wuehle - Fotos: Armin Wühle